SPD-Ortsverein Wasserburg hatte zu Info-Abend in die Paulanerstuben geladen

Der SPD-Ortsverein Wasserburg hatte am gestrigen Montag zu einem spannenden Abend eingeladen, der die Entwicklung der Einkommens- wie Vermögensverteilung in den letzten Jahrzehnten und die fälligen Antworten der Politik beleuchten sollte. Pankraz Schaberl, der Bundestagsdirektkandidat der SPD für den Wahlkreis Rosenheim stellte in seinem Grußwort klar, dass ein „Weiter so“ in der Wirtschafts- und Sozialpolitik angesichts der sozialen und gesellschaftlichen Verwerfungen komplett ausgeschlossen sein müsse. Zentrale Forderungen der SPD wie die deutliche Erhöhung des Mindestlohns, ein gerechteres Steuersystem sowie die Einführung einer Bürgerversicherung würden den Zeitgeist treffen und von einer Mehrheit der Bevölkerung geteilt.

 

Walter Linner, ein gebürtiger Wasserburger und langjähriger hauptamtlicher Bildungssekretär in der Gewerkschaft NGG stellte in seinem zentralen Referat den zahlreichen Anwesenden die Ausprägungen der massiven Schieflage der Vermögensverteilung vor, die nicht nur gewaltigen Sprengstoff für die Gesellschaft biete, sondern auch eine Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland darstelle.

Als anschauliches Bild wählte er das Bild vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Kuchen, den es zu verteilen gelte. Es handele sich um einen stetig wachsenden Kuchen, von dem aber nicht alle Beteiligten im Wirtschaftskreislauf vergleichbar profitierten. In den letzten 27 Jahren sei der durchschnittliche Arbeitslohn um 7,5% gestiegen, während das BIP um über 37% gewachsen sei (jeweils inflationsbereinigt). Unternehmensgewinne und Einkommen aus Vermögen seien also im benannten Zeitraum massiv gestiegen, diese zusätzlichen Einkommen würden zunehmend nicht mehr investiert und damit dem allgemeinen Wirtschaftskreislauf weitgehend entzogen.

Beispielhaft führte der Referent die beiden Hauptanteileigner der BMW AG, Susanne Klatten und Stefan Quandt an, die für das Jahr 2019 Dividenden von annähernd 800 Millionen Euro erhalten hätten, Summen, für die beispielsweise eine Krankenschwester über 22.000 Jahre arbeiten müsste. Verschärfend wirke die privilegierte Besteuerung von Kapitaleinkommen, Sozialversicherungsbeiträge seien – anders als in der Schweiz – auf Dividenden nicht zu zahlen.

Generell führten eine Vielzahl von steuerlichen Änderungen der letzten Jahre (Wegfall der Vermögenssteuer, Senkung des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer, der Erbschafts- wie der Körperschaftssteuer), aber auch selbstauferlegte Fesseln wie die Schuldenbremse wie die „Schwarze Null“ zu einer deutlichen Unterfinanzierung des öffentlichen Bereichs.

„Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten“, so brachte es Walter Linner prägnant auf den Punkt. Der Finanzbedarf des Staates werde angesichts der vielfältigen und zunehmenden Aufgaben wie der sozial-ökologischen Transformation der Wirtschaft, der Schaffung besserer Bildungschancen für alle oder der Notwendigkeit der Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus nicht zu decken sein. Den diskutierten Wegfall des Solidaritätszuschlags für das wohlhabendste Zehntel der Bevölkerung lehnte Walter Linner entschieden ab.

Negativ wirkten auch die Beitragsbemessungsgrenzen der gesetzlichen Sozialversicherung, Leistungskürzungen und höhere Zuzahlungen beispielsweise in der Krankenkasse auf die Verteilungssituation. Weitere Ursachen für die zunehmend sich öffnende Schere seien die Zunahme prekärer Beschäftigung (Missbrauch von Leiharbeit, Umwandlung von Normalarbeitsverhältnissen in Werkverträge und Minijobs), abnehmende Tarifbindung, die Hartz-IV-Regelungen und die ungeregelte Globalisierung.

Die Kapitaleinkommen seien zunehmend, anstelle in Investitionen, in die unproduktiven Finanzmärkte gegangen sind, verbunden mit der Gefahr der Bildung von spekulativen Blasen. Das reichste Zehntel der Bevölkerung besitzt laut „Global Wealth Report“ 2017 der Credit Suisse 66% des Geldvermögens in Deutschland, 45 Menschen haben mehr als die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung. Eine gerechtere Verteilung von Einkommen und Vermögen stärke insgesamt den Konsum und hätte damit positive Auswirkungen auf den Wirtschaftskreislauf.

Nach dieser Bestandsaufnahme formulierte Walter Linner klare Forderungen an eine zukünftige Bundesregierung, die in der folgenden lebhaften Diskussionsrunde aufgegriffen wurden. Ein Investitionsprogramm der öffentlichen Hand, umfassende Änderungen im Steuer- wie Sozialversicherungsrecht (Einführung einer Vermögens- und einer Finanztransaktionssteuer, Erhöhung des Spitzensteuersatzes und Absenkung der Einkommensteuer für die Normalverdienenden, Einführung einer Bürgerversicherung und Wegfall der Beitragsbemessungsgrenzen in der gesetzlichen Sozialversicherung), aber auch die Regulierung des Arbeitsmarkts seien unbedingt notwendig.

Pankraz Schaberl machte deutlich, dass Fehlentwicklungen wie die Auswirkungen der Hartz-IV-Gesetzgebung dringend seitens einer neuen Bundesregierung korrigiert werden müssten. Auf das in den letzten vier Jahren Erreichte könne die Sozialdemokratie aber sehr stolz sein. Ohne Aktivposten in der Bundesregierung wie Olaf Scholz und Hubertus Heil hätten die Auswirkungen der Corona-Pandemie nicht annähernd so gut geschultert werden können, für viele Branchen waren die Hilfen des Staats lebensnotwendig und die weltweit einmalige Kurzarbeitsregelung verhinderte Massenentlassungen. Zukünftig sei die Verbindung von Klimaschutz, sozialem Ausgleich und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit die entscheidende Richtschnur für eine zukunftsorientierte Politik.

 

Wolfgang Untergehrer