Der Opfer des Nationalsozialismus gedacht – Am Mahnmal und mit einem Vortrag zur „Euthanasie" im Gimplkeller
Mit so einer Resonanz habe er gar nicht gerechnet, meinte der Bürgermeister der Stadt Wasserburg, Michael Kölbl, als er die Besucher an der Gedenkstätte für die Wasserburger Opfer des Nationalsozialismus am Heisererplatz in Wasserburg begrüßte. Genau drei Jahre nach der feierlichen Einweihung der Gedenkstätte am 27. Januar 2020 konnte nun zum ersten Mal eine Gedenkveranstaltung durchgeführt werden. Die Covid19-Pandemie hatte das bisher unmöglich gemacht.
Umso mehr freute sich Kölbl, dass nun trotz widriger Wetterbedingungen so viele gekommen seien. Auch einige junge Menschen, Schülerinnen und Schüler der Anton-Heilingbrunner-Realschule Wasserburg, waren unter den Anwesenden, was der Bürgermeister mit dem Hinweis ergänzte, dass das Stadtarchiv Wasserburg eine Handreichung für die Schulen erstellt habe, um dieses Denkmal angemessen würdigen zu können.
Er zitierte Max Mannheimer, jenen Überlebenden der Shoah, der auch häufig im Wasserburger Gymnasium den Schülerinnen und Schülern von seinen Erlebnissen während der nationalsozialistischen Gewaltdiktatur erzählte, der einst den Menschen den Satz vorhielt: „Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschehen ist, wohl aber, dass es nie wieder passiert!“ Nach seiner Begrüßung und seinen gedenkenden Worten legte Kölbl am Mahnmal ein Blumengebinde nieder. Alle Besucher hielten in stillem Gedenken an die Opfer schweigend inne.
Würde versus Diktatur
Daran anschließend begaben sich die Gedenkenden zum Gimplkeller, wo der Heimatverein zu einer Vortragsveranstaltung zum Thema „Euthanasie“ eingeladen hatte. In seiner Begrüßung ging der Vorsitzende des Heimatvereins, Peter Rink, auf den Artikel 1 des Grundgesetzes ein, in dem es heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Dieser Grundsatz setze den einzelnen Menschen ins Zentrum der Betrachtung und sei Grundlage geworden für eine freiheitliche, rechtsstaatliche Gesellschaft, in der niemand von vornherein ausgegrenzt werde. In der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltdiktatur habe demgegenüber der Grundsatz gegolten: „Du bist nichts, Dein Volk ist alles“, was den Einzelnen in den Hintergrund stelle. Und wenn eine Ideologie dem Einzelnen Vorschriften machen will, wie man zu existieren habe, dann sei eine totalitäre Diktatur nahe.
Die Geschichte von Maria Linner // Tarnname „Aktion T4″
Nikolaus Braun, Bezirksarchivar des Regierungsbezirks Oberbayern, hielt anschließend einen eindringlichen Vortrag über die „Euthanasiemaßnahmen“ an Patienten, die in Gabersee und Attel untergebracht waren. Am 7. November 1940, es war ein Donnerstag, wurde Maria Linner von der „Heil- und Pflegeanstalt Gabersee“ mit anderen Patienten in einem bereitstehenden Bahnwaggon von Gabersee über Rosenheim und Salzburg nach Linz und von dort mit einem Bus zum Schloss Hartheim gebracht, wo man auf die Patienten wartete, sie ins Schloss brachte und dort mit Hilfe von Kohlenmonoxid vergaste. Die 1899 geborene Maria Linner entwickelte sich anfangs ganz normal, bis sie nach einer Verletzung am Bein im Alter von 13 Jahren eine schwere Ohrenentzündung bekam und später unter psychischen Störungen litt. Sie wurde nach Gabersee gebracht und von hier aus zu ihrer Ermordung nach Hartheim gebracht.
Die Ermordung psychisch kranker Menschen hatte den Tarnnamen „Aktion T4“, ein Hinweis auf die Adresse Tiergartenstraße 4 in Berlin, wo die „Kanzlei des Führers“ untergebracht war. Diese Ermordung, der in Deutschland mehr als 70.000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen von 1940 bis 1941 zum Opfer fielen, dieser Massenmord wurde von den Verantwortlichen auch gezielt zu verschleiern versucht, wie der Bezirksarchivar weiter berichtete. So habe man das Tötungsdatum und den Tötungsort verändert, wenn den Angehörigen mitgeteilt worden ist, dass ein Patient verstorben war. Somit war die Einäscherung vollzogen, bevor Angehörige Verdacht schöpfen konnten, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen geschehe. Aus diesen Gründen wurde auch die Veröffentlichung von Todesanzeigen verboten. Wegen der Unruhe in der Bevölkerung und nach intensiven Protesten gerade aus der katholischen Kirche ordnete Hitler im August 1941 die Beendigung der Tötung der Patienten an.
„Erlösung vom Leid“
Dabei waren die Tötungsmaßnahmen, wie Braun weiter informierte, ganz im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie. Man wollte, ausgehend von der „Eugenik“, „lebensunwertes Leben“ beenden, um „rassisch“ „hochwertige“ Menschen zu züchten. Auf diese Weise wollten die Nationalsozialisten die Menschen Glauben machen, dass „Ballast-Existenzen“ und „unheilbar Blödsinnige“ von ihren Leiden erlöst würden, wenn man sie tötete. „Euthanasie“ nannten sie diese Maßnahmen, zu deutsch „der gute Tod“.
Der Bezirksarchivar berichtete auch von Friedrich Hölzel, der seit 1925 als Arzt in Haar tätig war und am Anfang des Zweiten Weltkrieges die Leitung übernehmen sollte, was er abgelehnt habe. Er habe dann als Musiklehrer gearbeitet und sei 1953 Ärztlicher Direktor in Gabersee geworden. Auch wenn mancher Arzt Skrupel wegen der Ermordungen der Patienten hatte, habe er doch die Gewaltherrschaft überleben können. Das Kloster Attl wiederum wurde Braun zufolge 1941 von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und als Wehrmachtslazarett geführt. Ungefähr 230 Menschen mit Behinderung wurden nach offizieller Darstellung verlegt. Auch sie wurden in Hartheim vergast.
Aus dem Bereich der Stadt Wasserburg (Gabersee und Attl) sind 742 Patienten ermordet worden.
Ihre Namen sind an der Gedenkstätte eingraviert worden.
Braun schloss seine Ausführungen mit dem Hinweis, dass der Bezirk Oberbayern heute zu seiner Verantwortung stehe und die Aufarbeitung dieser Verbrechen auch weiterhin vorantreiben wolle.
RP
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