Schwabs „Die Präsidentinnen" im Theater Wasserburg eindrucksvoll auf die Bühne gebracht

Mariedl, Erna und Grete (Bild, von links) sind gefangen. Das Publikum kann es sofort erkennen.

Um was für eine Art von Gefangensein es sich drehte und wie die drei „Präsidentinnen“ mit ihrem vergitterten Dasein umgingen, wurde den Besuchern der Premiere am Freitagabend  im Theater Wasserburg eindrücklich vor Augen geführt.

Sie sitzen also in einem Käfig, aus dem es scheinbar kein Herauskommen gibt. Und weil sie in einem Käfig sitzen, haben sie sich Rituale von Gefangenen angeeignet. In schöner Regelmäßigkeit kochen sie sich Kaffee, trinken ihn aber nicht, sondern stellen die Kaffeebecher an die Rampe ihres Käfigs, wo Grete sie in regelmäßigen Abständen wegkippt.

Erna benutzt statt der Filtertüten Toilettenpapier. Das sei sparsamer, äußert sie. Mariedl, hervorragend und eindringlich gespielt von Rosalie Schlagheck, beginnt ihren Bühnenpart mit „Laudate omnes gentes“, jenem Kurzgesang, den Jacques Berthier 1978 für die Communauté von Taizé komponiert hat und der seither in 13 Sprachen übersetzt in der gesamten christlichen Welt bekannt und beliebt ist. Damit will Mariedl aber nur ihre bigotte Lebenseinstellung veranschaulichen, denn auch sie ist in ihrem Alltag und damit in sich gefangen. Als Klofrau ist es ihre Aufgabe, die Toiletten zu säubern, wenn diese verstopft sind. Dies tut sie mit Begeisterung, ja Hingabe, vielleicht auch hier der Bezug zum vermeintlich Religiösen. Denn die Mission, die Toiletten sauber zu halten, ist bei ihr wohl religiös motiviert. Deshalb ist sie auch stolz darauf, diese Reinigung ohne Gummihandschuhe durchzuführen. Für sie ist es eine Form des sich Opferns. „Das Leben zeigt dem Menschen, woraus er gemacht ist“, sagt Mariedl laut und unterstreicht damit ihre Mission als Klofrau. Wenn sie zuweilen eine Konservendose mit Gulasch und eine geschlossene Bierflasche aus der Kloschüssel, sie spricht stets von der „Muschel“, zutage fördert, so vereint sich die Mission mit dem täglichen Handeln.

Erna, sehr eindrücklich verkörpert von Amelie Heiler, und Grete, höchst gekonnt dargestellt von Susan Hecker, stellen zwei betagtere Frauen dar, die desillusioniert auf ihr Leben zurückblicken (Bild, von links). Erna ist ohne Enkel geblieben, weil ihr Sohn Hermann jeglichen Verkehr ablehnt, während Grete die Tatsache, dass ihre Tochter von ihrem Mann missbraucht wurde, verniedlicht.

Wenn das Leben dem Menschen zeigt, woraus er gemacht ist, wie Mariedl (Bild, links) eindringlich in den Abend hineinrief, ist der Weg zum „Fäkaliendrama“, wie Werner Schwabs „Die Präsidentinnen“ auch gerne genannt wird, nicht mehr weit. Das einzige Vergnügen, das die beiden alternden Frauen noch haben, dürfte wohl die Sehnsucht nach der Vergangenheit sein, die aber auch alles andere als erbaulich erscheint. Erna hat ihre Pelzmütze auf der Mülldeponie gefunden, Grete beschäftigt sich mit ihrem Dackel, der auf einem Bild während des gesamten Abends präsent bleibt. Sie hadert mit der Tatsache, dass ihr Mann sie mit einer jungen Asiatin betrogen und deshalb verlassen hat. Sie hängt ihren eher derben erotischen Phantasien genüsslich nach. Und so dreht sich das ganze Stück um Stuhlgang, um Sehnsüchte.

Verständnis füreinander haben die drei Frauen im gemeinsamen Käfig aber kaum. Sie sind die „Präsidentinnen“ ihrer Lebenslügen, ihrer unerfüllten Sehnsüchte, aber auch ihres religiösen Wahns. Und so nimmt es nicht wunder, dass Udo Jürgens’ Lieder „Ich war noch niemals in New York“ und „Griechischer Wein“ gesungen werden, damit dieses Gefangen-Sein im eigenen Käfig erträglich wird. Sie sprechen viel vom Essen, essen aber nicht, sie sprechen viel vom Trinken, kippen ihren Kaffee aber regelmäßig weg. Sie sprechen gerne von ihren „leibeigenen“ Kindern, wissend, dass sie es nicht geschafft haben, ihre Kinder für sich zu gewinnen.

Einen kleinen aktuellen Verweis auf den Krieg in der Ukraine gibt es auch, wenn gesagt wird: „Wir haben einen Siegeswillen im Krieg; essen, trinken und schon bekommt das Leben ein friedliches Gesicht“. Der kleine Exkurs, als sie sich gegenseitig als „Nazi“ beschimpfen, soll wohl eine Anspielung auf die Sprachregelung in Putins Russland sein, war aber im Grunde entbehrlich. Als Mariedl über das Zutagefördern der Konservendose aus der „Muschel“ spricht, und darüber, dass der darin enthaltene Gulasch anschließend gegessen wurde, da bringen die Akteure das Anliegen auf den Punkt: „Eine Frau sollte so gut riechen wie das Lieblingsessen ihres Mannes!“

Annett Segerer lässt die drei Darstellerinnen glänzen: In ihren emotionalen Ausbrüchen, in ihren verzweifelten Sehnsüchten, in ihrer Ausweglosigkeit der Gefangenschaft im Tempel. Es ist den vier Frauen in sehr eindrucksvoller Weise gelungen, Werner Schwabs Drama auf die Bühne und dem Publikum nahezubringen. Die zahlreichen Lacher aus dem Publikum während der Aufführung mögen Beleg sein, dass das Lachen, das einem manchmal im Halse stecken bleiben konnte, eben doch herausgelassen werden wollte.

Werner Schwab, jener steirische Schriftsteller, der im Alter von 35 Jahren an einer schweren Alkoholvergiftung starb, hat ganz bewusst Traditionen gebrochen: Er verwendet bewusst eine Sprache, in der Fäkalien als etwas ganz Normales eine dramatische Bedeutung erhalten, und er setzt sich ganz bewusst von Konventionen auch des Theaters ab. Diese Provokation gelingt an diesem Abend zum Teil, wahrscheinlich, weil sich das Publikum auf das Erlebte ein wenig vorbereiten konnte.

Nach dem Stück bedankte sich Nik Mayr im Namen des gesamten Teams am Theater Wasserburg beim Publikum fürs Kommen. Es war die erste Premiere des eigenen Ensembles nach dem plötzlichen Tod von Uwe Bertram im vergangenen Jahr. Aber es klangen auch der sehr starke Wunsch und die große Zuversicht mit, dieses Theater weiterzuführen, fortleben zu lassen, um zwischen München und Salzburg Theater zu bieten, das auf ein Publikum trifft, das diesen Einsatz zu honorieren weiß. Lang anhaltender, nicht enden wollender Applaus bestätigte, dass das Team des Theaters Wasserburg hier auf einem guten Wege zu sein scheint.

PETER RINK

 

Das Theater Wasserburg zeigt diese Produktion noch am 12., 24., 25., 26. März, am 28., 29. und 30. April sowie am 12. und 13. Mai.
Beginn ist jeweils um 20 Uhr (an Sonntagen um 19 Uhr).
Der Eintrittspreis beträgt 24 Euro, am 28. April, dem Theatertag, beträgt er 14 Euro.