70 Jugendlichen mal zugehört - „Unser See verschwindet“ und „Nehmt den Asyl-Zaun weg"

Politik selbst gestalten und mitwirken – das konnten knapp 70 Jugendliche aus dem Landkreis Rosenheim bei der diesjährigen Jugendbeteiligungskonferenz „#myvision23“. Drei Tage diskutierten sie in der Chiemseehalle in Breitbrunn, was ihrer Meinung nach gut läuft, was schlecht ist und formulierten Vorschläge für die Politik, was geändert werden sollte und vor allem wie.

Die Bürgermeister einiger Gemeinden und Landrat Otto Lederer kamen jetzt dazu – und hörten zu. 

Die Mädchen und Buben im Alter von 13 bis 17 Jahren hatten eine große Bandbreite an Themen bearbeitet und ihre Probleme und Lösungsvorschläge auf Plakaten gestaltet.

Die Politiker kamen an den verschiedenen Stationen ins Gespräch mit den Jugendlichen. Sie nahmen die Anregungen auf, besprachen die Hintergründe und gaben einen ersten Ausblick, ob oder wie eine solche Lösung in der Praxis aussehen könnte.

Dabei waren die Themen vielfältig:

In mehreren Gemeinden wünschen sich die Jugendlichen mehr Freizeitmöglichkeiten wie den Bau von Skaterparks oder öffentlich zugängliche Basketballplätze sowie Beachvolleyball-Felder – oder wie in der Gemeinde Rimsting – eine dringende Sanierung des bestehenden Beachvolleyball-Platzes.

 

Auch das Radwegenetz war ein großes Thema. So wünschen sich die Jugendlichen eine Verbesserung der Radwege im Inntal, da verschiedene Baustellen eine nahtlose Verbindung derzeit unmöglich machen.

Besseres W-LAN wurde an der ein einer anderen Stelle gefordert – vor allem im öffentlichen Raum und in Schulgebäuden.

Auch der öffentliche Nahverkehr war ein Thema, so wünschten sich die Jugendlichen mehr Busplätze und überdachte Haltestellen.

An zwei Stationen wurde der Wunsch nach einem Büchercafé oder einem Safe Place geäußert – einem Raum, an dem man sich zurückziehen, sich austauschen und auch mal das Handy beiseitelegen kann.

An anderer Stelle gab es Vorschläge, wie ein bestehendes Jugendzentrum mit Leben gefüllt und so für Jugendliche attraktiver werden könne.

Eine Jobbörse für Jugendliche stand ebenfalls auf der Agenda, ebenso wie der Wunsch nach organisierten Jugendreisen ins Ausland.

Bei der Ausstattung an Schulen kam vor allem das Thema Hitze und Ventilatoren auf. Die Jugendlichen wünschen sich einen persönlichen Ventilator pro Schüler und gaben Lösungsvorschläge, wie dies umzusetzen wäre.

Am Nachbarstand erläuterten drei Schülerinnen den Politikern die Notwendigkeit von frei zugänglichen Binden und Tampons auf öffentlichen und Schultoiletten. Weitere ernste Themen wie Mobbing an der Schule und fehlende Freiheiten wurden ebenfalls diskutiert.

Aber auch die Natur beschäftigt die Jugendlichen sehr.

Während an einer Stelle über weitere Bienenwiesen diskutiert wurde, machte ein Schüler aus Breitbrunn auf ein wichtiges Problem am Chiemsee aufmerksam. „Unser See verschwindet!“ titelte er auf seinem Plakat.

Durch die Alz-Brücke in Seebruck fließe wieder mehr Wasser aus dem See, was bereits am Badestrand in Breitbrunn zu sehen sei.

Seine Lösung sind Pyramidensteine, speziell geformte und angefertigte Steine, die den Wasserpegel regulieren sollen. Bei niedrigem Wasserstand werde so Wasser zurückgehalten, bei hohem Wasserstand könne viel Wasser durch, da die Steine wie bei einer Pyramide nach oben hin spitz zu laufen.

Bernaus Bürgermeisterin Irene Biebl-Daiber zeigte sich beeindruckt von dem Engagement und der Idee des 13-Jährigen und nahm die Idee mit zur Prüfung, denn: „Der Chiemsee betrifft uns alle.“

Beeindruckt waren auch die anderen Bürgermeister, die Jugendbeauftragten der Gemeinden und der Landrat.

In einer Abschlussrunde fragte Moderator Erik Flügge in der Runde nach den Eindrücken und was die Bürgermeister selbst realisieren wollen.

Reihum waren die Beteiligten beeindruckt vom Engagement, vom Ideenreichtum und von der Diskussionsfähigkeit der Teilnehmer.

Landrat Otto Lederer (Bild unten am Mikro) betonte in seinen Abschlussworten: „Man sieht heute einmal mehr, dass junge Menschen an ihrer Umgebung und an Politik interessiert sind, dass sie Wünsche haben, aber diese eben nicht nur fordern, sondern bereit sind, mitzuhelfen und sich zu engagieren. Das ist großartig.“

Beschäftigt hat ihn vor allem die Forderung von Schülern, deren Schulturnhalle derzeit eine Flüchtlingsunterkunft ist (wir berichteten). Zum einen bemängelten die Jugendlichen, dass dadurch der Schulsport ausfalle – das größere Problem aber sahen sie in der Isolation der geflüchteten Menschen und im mangelnden Kontakt dadurch …

So äußerten sie den Wunsch, doch den extra errichteten Zaun wegzunehmen, um den Kontakt zu den Jugendlichen aus anderen Ländern zu fördern.

Als Fazit äußerten die Politiker mehrheitlich, dass die Themen in diesem Jahr deutlich praktischer, aber auch sehr viel persönlicher geworden seien als noch die Jahre zuvor. Die gewünschten Themen würden sie mit in die Gespräche in den jeweiligen Gemeinden nehmen und sich auch von Anregungen aus anderen Gemeinden inspirieren lassen.

Bei der Verwirklichung der Projekte in den kommenden Wochen und Monaten sollen den Jugendlichen die jeweiligen Jugendbeauftragten der Gemeinden zur Verfügung stehen – sowie Hauptamtliche aus der Offenen Jugendarbeit und der Jugendsozialarbeit an Schulen und nicht zuletzt die Organisatorin aus der Kommunalen Jugendarbeit, Stephanie Meier.

2014 wurde die Jugendkonferenz „#myvision“ erstmals organisiert und findet in diesem Jahr zum zehnten Mal statt.

In dieser Zeit konnten viele Projekte realisiert werden, die auch heute noch Bestand haben – so zum Beispiel das Jugendmedienprojekt „aROund“. Unter Anleitung von erfahrenen Journalisten schreiben Jugendliche seit vier Jahren von 14 bis 27 Jahren über das, was sie bewegt im Landkreis.

„#myvision23“ wird in diesem Jahr erstmals auch wissenschaftlich begleitet. Ein Student der Hochschule Düsseldorf hat davon gehört und schreibt nun seine Masterarbeit über das Projekt und hat die zurückliegenden drei Tage mit den Jugendlichen verbracht.

Diese Form der Jugendbeteiligung war in Deutschland über viele Jahre einmalig.

Inzwischen haben andere kreisfreie Städte und Landkreise begonnen,

die von der Kommunalen Jugendarbeit im Landkreis Rosenheim entwickelte Idee ganz oder teilweise zu kopieren.