Serie: Wasserburg vor 100 Jahren – Teil 15

Der Monat September macht deutlich, dass die Krise des Deutschen Reiches sich 1923 dem Höhepunkt nähert: Die Ernährungslage der Menschen ist verheerend, junge, nicht selten alleinstehende Frauen auch mit Kindern wollen sich das Leben nehmen, Menschen greifen auf der Suche nach Nahrung zu giftigen Pilzen und töten sich damit selbst, Zucker wird rationiert und nur gegen Berechtigungsscheine abgegeben. Der Wert der Mark verfällt ins Uferlose.

Musste man Anfang September noch 11 Millionen Mark für einen US-Dollar aufbringen, so waren es nachzwischenzeitlichem Verfall auf ca. 200 Millionen Mark am Monatsende immerhin noch 150 Millionen Mark. Diebstähle häufen sich, Obst- und Gemüsehändler werden bestohlen, ein kinderwagen vor einem Geschäft wird geraubt, das Baby im Hauseingang abgestellt und viele solcher Straftaten mehr ereignen sich auch in Wasserburg beinahe täglich.

Gleichzeitig wird das Rhein-Ruhrgebiet durch Frankreich und Belgien besetzt. Der Wasserburger Anzeiger wird auch nicht müde, täglich über die Gräueltaten der Besatzer eindringlich zu berichten, was seine Wirkung nicht verfehlt. Die Sympathie für rechtsnationalistische Parteien und die NSDAP steigt stetig. Bayern weigert sich, das Verbot der NSDAP umzusetzen. Obwohl nach dem Ausrufen des Ausnahmezustandes in ganz Bayern politische Versammlungen verboten werden, dürfen Hitler und Ludendorff ihre Kundgebung in Bayreuth abhalten.

Gleichzeitig werden die Auseinandersetzungen zunehmend militanter. Die völkischen Parteien verlangen sogar von der Regierung, dass sie Schusswaffen nach Gutdünken einsetzen dürfen.

Zwar beendet die Regierung Stresemann im September 1923 den passiven Widerstand gegen Frankreich und Belgien, ein Ende der Inflation und der Besatzungspolitik sind aber noch nicht in Sicht, wenngleich eine gewisse Müdigkeit bei den Besatzern eingetreten sein mag, zumal auch Großbritannien und die USA die Politik Frankreichs und Belgiens zunehmend kritisch beurteilen.

Hier nun die Chronik:

Samstag, 1. September 1923

Großbritannien annektiert Südrhodesien (heute Simbabwe) formell als selbstregierende Kronkolonie. Die Britisch-Afrikanische Gesellschaft, die das Gebiet bisher verwaltete, wird entschädigt, behält jedoch die Rechte an den Bodenschätzen. Am 1. Oktober tritt die neue Verfassung in Kraft.

Ein schweres Erdbeben in Japan fordert 143 000 Todesopfer und macht eine halbe Million Menschen obdachlos. Die Städte um Tokio und Yokohama werden weitgehend zerstört. Dem Erdbeben folgen große Brände, die weitere Verheerungen anrichten und erst nach Tagen unter Kontrolle gebracht werden können.

Da die griechische Regierung nicht bereit ist, die Verantwortung für die Ermordung der italienischen Grenzkommission an der griechisch-albanischen Grenze zu übernehmen, wird die griechische Insel Korfu von den Italienern besetzt.

Im Wasserburger Anzeiger wird von einer neuen Verordnung berichtet, wonach es seit dem 29. August 1923 jedem Deutschen verboten ist, sich den Zollwachen im besetzten im Rhein-Ruhr-Gebiet näher als einen Kilometer zu nähern. Jede Person, die in dem gesperrten Gebiet angetroffen werde, werde verhaftet oder auf sie geschossen. (Wasserburger Anzeiger Nr. 199/1923 vom 1. September 1923)

In Berlin werden „fast alle Führer der kommunistischen Partei verhaftet“. (Wasserburger Anzeiger Nr. 199/1923 vom 1. September 1923)

Die Landesvorsitzenden der DNVP (Deutschnationale Volkspartei) fordern „außerordentliche Machtvollkommenheiten einer vom Druck der Straße, der Parteien und Parteikoalitionen unabhängigen Stelle“. Letztendlich wird damit die Einführung einer Diktatur in Deutschland gefordert. (Wasserburger Anzeiger Nr. 199/1923 vom 1. September 1923).

Der US-Dollar notiert bei 11.111.111 Mark. (Wasserburger Anzeiger Nr. 199/1923 vom 1. September 1923)

Pünktlich zum Monatsbeginn werden auch die Preise bei den öffentlichen Verkehrsmitteln erhöht. So kostet also ab sofort eine Busfahrt von Wasserburg nach Schnaitsee 350.000 Mark, die Mitnahme eines Fahrrades zusätzlich 100.000 Mark. (Wasserburger Anzeiger Nr. 199/1923 vom 1. September 1923)

Der Stadtrat beschließt zur Behebung der großen Bargeldknappheit die Ausgabe von Notgeld der Stadt Wasserburg. Die Gutscheine haben einen Wert von 500.000 Mark und einer Million Mark. (Wasserburger Anzeiger Nr. 199/1923 vom 1. September 1923)

Differenzen zwischen Griechenland und dem faschistisch regierten Italien unter Benito Mussolini führen dazu, dass Italien die griechische Insel Korfu beschießt und zeitweise annektiert. (Wasserburger Anzeiger Nr. 201/1923 vom 4. September 1923).

Sonntag, 2. September 1923

In einer Rede in Stuttgart betont Reichskanzler Gustav Stresemann die deutsche Verständigungsbereitschaft gegenüber Frankreich. Die angebotene Garantie der deutschen Wirtschaft sei ein dem Ruhrgebiet gleichwertiges produktives Pfand für die Reparationen.

In Nürnberg veranstalten die Vaterländischen Verbände mit dem Deutschen Tag (Sedantag-Gedenkfeier), die erste Massendemonstration der vereinigten Rechten, an der rund 100.000 Menschen teilnehmen. Die rechtsradikalen Kampfbünde (u.a. Bund Oberland und die nationalsozialistische SA) gründen den Deutschen Kampfbund, dessen politische Führung Adolf Hitler am 25. September 1923 übernimmt.

Exkurs:

Nürnberg hatte 1923 etwa 350.000 Einwohner, einen roten Stadtrat, einen liberalen Oberbürgermeister und als eine der ersten Städte in Deutschland einen Rathenauplatz, mit dem an den 1922 von nationalistisch gesinnten, antisemitisch eingestellten Aktivisten ermordeten Außenminister der Weimarer Republik erinnert werden sollte. Dass man einen Platz nach dem liberalen jüdischen Außenminister benennt, damit waren viele Menschen in Deutschland, besonders in Bayern, nicht einverstanden. Man brachte den Hinweis auf den „Rathenauplatz“ deshalb in schwindelnder Höhe an, was aber nationalistische Kreise nicht daran hinderte, die Schilder zu demolieren. Das Hinweisschild in Nürnberg wird deshalb rund um die Uhr von einem Polizisten bewacht, der Volksmund nennt den Platz deshalb auch „Schutzmannplatz“.

An diesem 2. September, dem „Sedantag“, gedenken nationalistische Kreise gerne der Schlacht von Sedan am 2. September 1870, als die deutschen Truppen Frankreich besiegten.

Hier in Nürnberg erscheinen Abordnungen der „Vaterländischen Verbände“ und anderer rechtsextremer Organisationen, die außerhalb Bayerns verboten sind und deshalb ihre Aktivitäten auf Bayern konzentrieren.

Die NSDAP mit Adolf Hitler an der Spitze, die SA unter Hermann Göring und der Bund Oberland schließen sich zum „Deutschen Kampfbund“ zusammen. Optisch dominieren die Nationalsozialisten Adolf Hitlers, die mit großen roten Fahnen und dem Hakenkreuz auf weißem Grund durch die Straßen Nürnbergs ziehen, dabei ihre „Heil“-Rufe lautstark zum Besten geben und jeden auch körperlich bedrohen, der kein „Festabzeichen“ trägt. Dieses Festabzeichen konnte man für 150.000 Mark erwerben, das Geld floss den Vaterländischen Verbänden zu.

An diesem Festtag nehmen auch Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha und Prinz Schönaich-Carolath, der jüngste Stiefsohn des ehemaligen Kaisers Wilhelm II. teil.

Es gibt eine große Parade, dann einen Feldgottesdienst und dann spricht General Ludendorff zu den Menschen, er fordert die Schaffung „eines neuen deutschen Blutsgefühls“, beruhend auf dem deutschen Volkstum. Alles Undeutsche soll ausgeschieden werden. Von einem ausländischen Journalisten befragt, ob seine Aussagen als Aufruf zu den Waffen zu deuten seien, erklärt Ludendorff: „Die Berliner Regierung mit ihrem ewigen Verhandeln schafft es nicht. Freiheit kann man nicht erhandeln, man kann sie nur erkämpfen.“

Die Drohung mit einem Umsturz ist unmissverständlich, doch die Polizei hört sie anscheinend nicht. Denn das Staatspolizeiamt Nürnberg-Fürth schrieb in seinem Bericht über den „Sedantag“: „Die Straßenzüge waren in ein Meer von schwarzweißroten und weißblauen Fahnen gehüllt, brausende Heilrufe der Straßen, zahllose Arme strecken sich ihm entgegen. Es war wie ein freudiger Aufschrei hunderttausender Verzagter, denen sich ein Hoffnungsstrahl aus Befreiung aus Knechtschaft und Not offenbarte.“

Die sowjetische Regierung beschließt, die 1922 ausgeschriebene Goldanleihe (100 Millionen Rubel) wegen ungenügender Zeichnung in eine Zwangsanleihe umzuwandeln. Außerdem soll die allgemeine Schulpflicht innerhalb der nächsten zehn Jahre eingeführt werden.

Die Reichsbank kündigt die Herausgabe einer Geldnote mit dem Wert von einer Milliarde Mark an. Der Wasserburger Anzeiger fragt, wie lange das so noch weitergehe: „Wo ist da noch ein Ende? Muß auch noch der Billionenschein über uns kommen?“ (Wasserburger Anzeiger Nr. 200/1923 vom 2. September 1923)

Auch in Wasserburg findet am „Sedanstag“ eine große Veranstaltung statt, und zwar als Fest der „Fahnenweihe“. Der Tag werde eine „besondere Note“ erhalten „durch die Anwesenheit zweier Mitglieder unseres erlauchten Wittelsbacher Hauses.“ (Wasserburger Anzeiger Nr. 200/1923 vom 2. September 1923)

Montag, 3. September 1923

Der Dollarkurs hat einen Stand von 10 Millionen Mark (pro US-Dollar) überschritten. Wegen des rapiden Wertverfalls der Mark steigen die Preise im Deutschen Reich fortwährend an. Ein Brot ist derzeit für 900 000 Mark zu haben. Die Reichsbank steigert ständig den Banknotenumlauf.

Dienstag, 4. September 1923

Aufgrund des Republikschutzgesetzes vom 21. Juli 1922 wird die Zeitung „Die Rote Fahne”, Zentralorgan der Kommunistischen Partei Deutschlands, wegen scharfer Angriffe gegen die Reichsregierung in Preußen verboten. Das Verbot gilt für die Dauer von acht Tagen.

Unter der Schlagzeile „Ruhrfront am Abbröckeln?“ berichtet der Wasserburger Anzeiger, dass auf mehreren Zechen im Ruhrgebiet ein Ende des passiven Widerstandes geplant ist. Man wolle die „sofortige Aufnahme der Arbeit für die Franzosen“. (Wasserburger Anzeiger Nr. 201/1923 vom 4. September 1923)

Mittwoch, 5. September 1923

Das 25-Jährige Regierungsjubiläum der niederländischen Königin Wilhelmina wird in Amsterdam großartig gefeiert. Wilhelmina erhält als Nationalgeschenk des niederländischen Volkes eine goldene Equipage.

Sehr euphorisch berichtet der Wasserburger Anzeiger über den Deutschen Tag in Nürnberg am vergangenen Sonntag. „Besonders gefeiert wurden Generalfeldmarschall Prinz Leopold, General Ludendorff, Admiral Scheer u.a. Ludendorff sprach unter tosendem Beifall den Satz: ‚Deutsch sind wir geboren und als Deutsche wollen wir leben‘ und übermittelte die wärmsten Grüße Hindenburgs.“ Dass es auch erhebliche bewaffnete Auseinandersetzungen gab, wird nur in einem Halbsatz berichtet: „Einige unbedeutende Zwischenfälle taten dem Gelingen keinen Abbruch“ (Wasserburger Anzeiger Nr. 202/1923 vom 5. September 1923)

Nationaler Überschwang beherrscht auch die Berichterstattung über den Fahnenweihetag in Wasserburg am vergangenen Sonntag. Im Wasserburger Anzeiger kann man hierzu folgendes lesen: „Herr, der du bei uns warst bei Sedan und Tannenberg, geleite du uns dann hinaus. Dann wollen wir ein Sedan und ein Tannenberg schlagen und frei machen unser Vaterland. Dann sollen frei werden auch unsere Brüder in Ost und West und Süd und Nord. Dann wollen wir mit Fug und Recht sagen können: Deutschland über alles von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt! Das walte Gott!“ (Wasserburger Anzeiger Nr. 202/1923 vom 5. September 1923)

Der Wechselkurs des Dollars ist aus deutscher Sicht ein klein wenig positiver ausgefallen. Heute notiert der US-Dollar bei 9.724.250 Mark. (Wasserburger Anzeiger Nr. 202/1923 vom 5. September 1923)

Donnerstag, 6. September 1923

Reichsfinanzminister Rudolf Hilferding (SPD) wird vom Reichsrat zur Aufnahme eines 1200-Billionen-Mark-Kredits ermächtigt, um die Beschaffung dringend benötigten Brotgetreides zu ermöglichen.

 

Auf der Strecke Hannover- Wunstorf kommt es zu einem schweren Eisenbahnunglück mit 18 Todesopfern.

Ein US-Dollar ist heute 33,2 Millionen Mark wert.

Freitag, 7. September 1923

Per Notverordnung ermächtigt Reichspräsident Friedrich Ebert die Reichsregierung, einen Kommissar für die Devisenerfassung mit außerordentlichen Vollmachten zu bestellen. Um die galoppierende Inflation zu bekämpfen, beginnt die Reichsregierung mit einer totalen Devisenbewirtschaftung.

 

Während der Wasserburger Anzeiger mit der Schlagzeile aufwartet: „Dollarmittelkurs 20 Millionen“, wird an der Devisenbörse der US-Dollar zeitweise auch mit 53 Millionen Mark notiert. (Wasserburger Anzeiger Nr. 204/1923 vom 7. September 1923)

Samstag, 8. September 1923

Ein Schnellzug entgleist in der Nähe der sowjetischen Stadt Omsk. Bei dem Unglück kommen 82 Personen ums Leben, 150 werden verletzt.

 

In Wien beginnen die Weltmeisterschaften im Gewichtheben (bis 9. 9.).

Der Liederkranz Heideröslein veranstaltet eine große Standartenweihe mit Empgans-Kommers und Herbstkonzert im Danningersaale in Wasserburg mit anschließendem Festzug durch die Stadt. Zu dieser Veranstalltung wird die gesamte Einwohnerschaft Wasserburgs eingeladen, verbunden mit der Bitte, „durch Beflaggen der Häuser und durch zahlreiche Beteiligung das Fest verschönern zu helfen.“ (Wasserburger Anzeiger Nr. 204/1923 vom 7. September 1923)

Der Wasserburger Anzeiger meldet, dass der Wechselkurs für den US-Dollar heute bei 44,5 Millionen Mark liege. Im Münchner Freiverkehr werde hingegen der US-Dollar bereits für 68 Millionen Mark gehandelt. (Wasserburger Anzeiger Nr. 205/1923 vom 8. September 1923)

Der Stadtrat der Stadt Wasserburg teilt mit, dass der Milchpreis ab sofort auf 42.000 Mark pro Liter festgesetzt werde. (Wasserburger Anzeiger Nr. 205/1923 vom 8. September 1923)

In einer Rede beim christlichen Bauernverein fordert der Abgeordnete Dr. Wohlmuth eindringlich die Wiederaufrüstung Deutschlands, das Fehlen einer Wehrpflicht in Deutschland sei „die Quelle der wirtschaftlichen und politischen Verwirrung“. „Unser Unglück ist einzig und allein die Militärlosigkeit […] Es ist ein für jedes männliche Empfinden unerträglicher Zustand.“ Daher müsse Deutschland wieder ein Heer aus Wehrpflichtigen haben. (Wasserburger Anzeiger Nr. 205/1923 vom 8. September 1923)

Sonntag, 9. September 1923

In Dresden versammeln sich etwa 8000 Mann der kommunistischen und sozialdemokratischen “Abwehrorganisationen” zu einem Generalappell.

Der französische Ministerpräsident Raymond Poincaré lehnt in den Ansprachen, die er anlässlich der Einweihung von Kriegerdenkmälern in Damvillers und Houdainville hält, jedes Zugeständnis an das Deutsche Reich bezüglich der Reparationsfrage und der Ruhrbesetzung ab.

Im Berliner Ufa-Palast hat “Die Flamme”, ein Film von Ernst Lubitsch, Premiere.

 

Den Großen Preis von Italien für Automobile gewinnt der Italiener Carlo Salamano auf Fiat. Das Rennen wird seit 1922 in Monza ausgetragen.

Griechenland bricht seine Handelsbeziungen zu Italien ab. Der Wasserburger Anzeiger berichtet, dass die griechische Handelskammer beschlossen habe, alle Handelsbeziehungen mit Italien und den in Griechenland ansässigen Italienern abzubrechen. (Wasserburger Anzeiger Nr. 206/1923 vom 9. September 1923)

Montag, 10. September 1923

Einstimmig beschließt die Reichsregierung, die Währungsfrage (Inflation) durch die Einrichtung einer Goldnotenbank, die in enger Verbindung mit der Reichsbank stehen soll, zu lösen. Am 12. September befürwortet der Reichswirtschaftsrat das Projekt einer von der Reichsbank getrennten Geldnotenbank als Zentralinstitut einer neuen Währung.

 

Sieben Zerstörer der US-amerikanischen Kriegsflotte erleiden vor der kalifornischen Küste auf der Höhe von Santa Barbara wegen dichten Nebels Schiffbruch, wobei 25 der Besatzungsmitglieder umkommen und 18 verletzt werden. Dieser ungewöhnliche Unfall erregt allgemeines Aufsehen.

Dienstag, 11. September 1923

Die sozialdemokratische Landesregierung Thüringens wird durch ein von Kommunisten und bürgerlichen Parteien unterstütztes Misstrauensvotum gestürzt.

 

Reichskanzler Gustav Stresemann nimmt über die Botschafter in Berlin inoffiziellen Kontakt zu den alliierten Regierungen auf, um deren Zugeständnisse im Falle des Abbruchs des passiven Widerstands zu sondieren. Vergeblich bemüht sich Stresemann, u.a. die Rückkehr der Ausgewiesenen durchzusetzen.

Der deutsche Stahlbund beginnt mit der Einführung von Goldmarkpreisen.

 

Der Geheimbericht eines sowjetischen Agenten an den sowjetischen Außenminister Georgi W. Tschitscherin wird im “Sozialdemokratischen Parlamentsdienst” veröffentlicht. Darin wird die Kommunistische Partei Deutschlands als anarchisch und unfähig geschildert.

Der Wasserburger Anzeiger meldet, dass es dem erkrankten Führer der Sowjetunion, Wladimir Iljitsch Lenin, besser gehen solle. Die Zeitung bezweifelt aber diese Meldung, da Lenin nach Ansicht des Anzeigers „unheilbar krank und vollkommen verblödet“ sei, sodass „von einer Besserung in seinem Befinden keine Rede sein kann. Es ist völlig ausgeschlossen, daß Lenin, der an vorgeschrittener Gehirnerweichung krankt, je wieder ins politische Leben zurückkehren könnte.“ (Wasserburger Anzeiger Nr. 207/1923 vom 11. September 1923)

Auf einen Stand von 66,2 Millionen Mark ist der Dollarkurs angestiegen. Die Aufwärtsbewegung des Dollarkurses unvermindert hält an.

Mittwoch, 12. September 1923

Seinen Mut zur Unpopularität beweist Reichskanzler Gustav Stresemann mit seiner Rede vor Berliner Pressevertretern. Um die Wirtschaftskrise zu überwinden, seien noch stärkere Eingriffe in “Besitz und Wirtschaft” sowie die Verlängerung der Arbeitszeit notwendig. Außerdem müsse der Ruhrkonflikt beigelegt werden, was bei einer Fortsetzung des passiven Widerstands nicht möglich sei.

Der französische Ministerpräsident Raymond Poincaré hält eine Rede vor der französischen Nationalversammlung, in der er, so der Wasserburger Anzeiger, deutlich neue Töne anklingen lasse. So sei er auf die Rede des Reichskanzlers Stresemann eingegangen, zum anderen „hat er einen für ihn merkwürdig gemäßigten Ton angeschlagen“. Der Wasserburger Anzeiger schließt daraus, dass auch Frankreich spüre, dass die Ruhrbesetzung nicht erfolgreich sein könne. (Wasserburger Anzeiger Nr. 208/1923 vom 12. September 1923)

Infolge der Unterernährung der Bevölkerung gehen immer mehr Menschen Pilze suchen. Der Wasserburger Anzeiger meldet hierzu die lebensgefährliche Erkrankung einer Wasserburgerin, die nur „durch rechtzeitiges Eingreifen des Arztes“ habe gerettet werden können. Die Zeitung mahnt: „Darum Vorsicht mit Schwämmen und lasse jeder die Hand davon, der sie nicht genau kennt.“ (Wasserburger Anzeiger Nr. 208/1923 vom 12. September 1923)

Die Kraftpostlinie Wasserburg-Schnaitsee gibt neue Fahrpreise bekannt: So koste die einfache Fahrt ab sofort 1,4 Millionen Mark, das Reisegepäck bis 20 kg 200.000 Mark und die Mitnahme eines Fahrrads 400.000 Mark. (Wasserburger Anzeiger Nr. 208/1923 vom 12. September 1923)

Der US-Dollar erreicht einen Wechselkurs von 50.573.000 Mark (Wasserburger Anzeiger Nr. 208/1923 vom 12. September 1923)

Donnerstag, 13. September 1923

General Miguel Primo de Rivera y Orbaneja putscht gegen die parlamentarische Regierung Spaniens, die erst am 4. September neugebildet worden war. Eine der Ursachen für den Putsch ist die Unzufriedenheit der Armee mit der Marokkopolitik der Regierung. Im Einvernehmen mit dem spanischen König Alfons XIII. errichtet Primo de Rivera eine Militärdiktatur.

 

In Bulgarien brechen kommunistische Unruhen aus, die nach ungefähr einer Woche niedergeschlagen sind. Die Anführer der Erhebung (sog. Septemberaufstand) werden erschossen. Bei dem Kampf mit der überlegenen Armee werden 2000 Kommunisten getötet und 5000 geraten in Gefangenschaft.

Die Händler der Berliner Markthalle tragen der Inflation Rechnung. Erst um 11.30 Uhr, wenn die Kurse der Vorbörse bekannt sind, eröffnen sie ihre Stände. Ein eigens eingerichteter Dienst informiert die Händler halbstündlich über die Kurse, denen die Preise unmittelbar angepasst werden, so dass eine fünf- bis sechsmalige Preisänderung pro Tag keine Seltenheit ist.

Der Wasserburger Anzeiger sieht das Ende des „Ruhrwiderstandes“ gekommen, seit die Reichsregierung auf eine diplomatische Außenpolitik setze. (Wasserburger Anzeiger Nr. 209/1923 vom 13. September 1923)

Aus Kalkutta in British-Indien wird ein schweres Erdbeben gemeldet, bei dem zahlreiche Menschen getötet oder verletzt wurden. (Wasserburger Anzeiger Nr. 209/1923 vom 13. September 1923)

Die Arbeitslosigkeit nimmt wieder stark zu. In Rosenheim bezögen ca. 150 Arbeitslose und ungefähr 250 in Kurzarbeit Tätige städtische Unterstützung. Es sei zu befürchten, dass sich diese Zahl noch vermehren werde. (Wasserburger Anzeiger Nr. 209/1923 vom 13. September 1923)

Ein US-Dollar wird heute zum Kurs von 92,4 Millionen Mark gehandelt.

Freitag, 14. September 1923

In seinem veröffentlichten Befehl an die Reichswehr weist Reichswehrminister Otto Geßler alle Gerüchte über Verbindungen der Reichswehr mit verfassungsfeindlichen Organisationen der Rechten zurück. Derartige Verbindungen seien längst durch klare Befehle verboten. Geßler droht die entschlossene Abwehr aller Umsturzversuche an.

Reichskanzler Stresemann führt „Vorverhandlungen“ mit dem französischen und dem belgischen Botschafter in Berlin zur Lösung des Reparationsproblems. Es gebe eindeutige Hinweise, dass man sich „in Frankreich auf Verhandlungen vorbereitet.“ (Wasserburger Anzeiger Nr. 210/1923 vom 14. September 1923)

In den besetzten Gebieten kommt es vermehrt zu Raub, Diebstahl und Vergewaltigungen. Der Wasserburger Anzeiger berichtet, dass in Buer (heute Ortsteil von Gelsenkirchen) eine Abteilung Belgier auf dem Rathaus erschienen sei und etwa 70 Milliarden Mark mitgenommen habe. In Düsseldorf seien von Franzosen 25 Milliarden Mark an Lohngeldern geraubt worden und in Gelsenkirchen weitere 41,9 Millarden Mark aus der städtischen Hauptkasse von Franzosen gestohlen worden. In Buer sei eine 16jährige Klavierspielerin von einem belgischen Feldwebel und einem belgischen Rekruten überfallen und vergewaltigt worden. (Wasserburger Anzeiger Nr. 210/1923 vom 14. September 1923). Meldungen dieser Art werden täglich veröffentlicht und man kann den Eindruck gewinnen, sie werden zahlreicher.

Ein Brot kostet in Berlin zur Zeit 4,5 Millionen Mark. Die Berliner Straßenbahnen kann man für 600.000 Mark (einfache Fahrt) oder 700.000 Mark (Umsteigetarif) benutzen.

Boxweltmeister Jack Dempsey (USA) besiegt den Argentinier Luis Angel Firpo durch K. o. in der zweiten Runde. Über 80 000 Zuschauer verfolgen in den Polo Grounds von New York diesen äußerst dramatischen Kampf.

An der New Yorker Devisenbörse notiert der US-Dollar heute mit 114.285.714 Mark, also knapp 115 Millionen Mark. (Wasserburger Anzeiger Nr. 210/1923 vom 14. September 1923)

Samstag, 15. September 1923

Hugo Stinnes, Reichstagsabgeordneter der Deutschen Volkspartei und einflussreicher Großindustrieller, informiert den US-amerikanischen Botschafter in Berlin, Alanson B. Houghton, über die Hintergründe einer “in zwei bis drei Wochen” bevorstehenden politischen Umwälzung im Deutschen Reich. Ausführlich erläutert Stinnes die Pläne für eine rechtsnationalistische Diktatur.

Die bayerische Regierung warnt die Reichsregierung vor dem Abbruch des passiven Widerstands, den man in Bayern als “zweites Versailles” und als eine “Auflösung des Reichs” auffassen werde. Eine solche Kapitulation gegenüber Frankreich” lasse schwere innenpolitische Auseinandersetzungen befürchten.

In Aibling hält der BVP-Abgeordnete Dr. Schlittenbauer eine Rede, in der er davon spricht, dass „der Untergang der deutschen Volkswirtschaft […] vor der Türe“ stehe. (Wasserburger Anzeiger Nr. 211/1923 vom 15. September 1923)

 

Der Terror des Ku-Klux-Klans, eines Geheimbundes weißer Farmer im Süden und Mittleren Westen der USA, der gegen religiöse und rassische Minderheiten gerichtet ist, und zwar insbesondere gegen Katholiken, Juden, Schwarze oder Iren, nimmt derartig Ausmaße an, dass in Oklahoma das Kriegsrecht ausgerufen wird.

In der Sowjetunion kommt es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen dem Heiligen Synod, der regierungsfreundlichen neuen Kirchenverwaltung, und den Anhängern des Patriarchen Tichon, die der Regierung kritisch gegenüberstehen. Gottesdienste und Prozessionen der an Tichon orientierten Russisch-Orthodoxen Gemeinschaft werden gestört.

Der Wasserburger Anzeiger meldet, dass die morgige Ausgabe nur verkleinert erscheinen kann, weil ab 12 Uhr der Strom gesperrt wird. (Wasserburger Anzeiger Nr. 211/1923 vom 15. September 1923)

Der Liter Milch kostet heute 2,3 Millionen Mark. (Wasserburger Anzeiger Nr. 211/1923 vom 15. September 1923)

Sonntag, 16. September 1923

Empört reagiert die Bevölkerung auf die in Aachen unter dem Schutz der französischen und belgischen Besatzung veranstalteten Separatistenversammlungen.

Das größte Stadion Europas wird in Köln-Müngersdorf eingeweiht. Die Großkampfbahn für 80 000 Zuschauer ist Teil eines großzügigen Sportparks, zu dem ferner zwei kleinere Stadien für Fußball und Leichtathletik, eine Radrennbahn, ein Schwimmbecken und Tennisplätze gehören.

Der Anführer der NSDAP, Adolf Hitler, prophezeit in München ein Blutbad für Deutschland. Die „Novemberrepublik“ müsse „zugrunde gehen. […] Sie werde zugrunde gerichtet durch ihre eigenen Gründer. Sie sei reif zum Untergang.“ (Wasserburger Anzeiger Nr. 212/1923 vom 16. September 1923)

Der Stadtrat Wasserburg gibt bekannt, dass die Ausgabe der Brotmarken für die nächste Versorgungsperiode am Montag, den 17. September zwischen 14 und 17 Uhr stattfinde. (Wasserburger Anzeiger Nr. 212/1923 vom 16. September 1923)

Montag, 17. September 1923

Italien setzt in Fiume (heute Rijeka) einen Militärgouverneur ein. Auf Fiume, das 1920 Freistaat wurde, erheben sowohl Italien als auch das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (das spätere Jugoslawien) Anspruch.

Während des Besuchs des österreichischen Bundeskanzlers Ignaz Seipel in Warschau (17. 9.-20. 9.) wird der Entwurf eines österreichisch-polnischen Schiedsgerichtsvertrags vereinbart. Die polnische Presse begrüßt ausdrücklich den Besuch des österreichischen Bundeskanzlers in Polen.

Der Dollarkurs ist auf 200 Millionen Mark gestiegen. Eine Goldmark entspricht damit knapp 50 Millionen Papiermark.

Dienstag, 18. September 1923

Das Reichsfinanzministerium hat einen Entwurf für die geplante Währungsreform zur Schaffung eines wertbeständigen Zahlungsmittels erarbeitet. Von einer zu gründenden Bank soll ein neues gesetzliches Zahlungsmittel ausgegeben werden, das zu einem festgesetzten Einheitskurs gegen die Papiermark einlösbar ist. (Wasserburger Anzeiger Nr. 214/1923 vom 19. September 1923)

Auf einer Versammlung des Bayerischen Bauernbundes in Tuntenhausen äußert der bayerische Ministerpräsident Eugen Ritter von Knilling “ernste Bedenken” gegen die Reichsregierung besonders wegen ihres “sozialistische[n] Einschlag[s]”. Für die Reichsregierung sind die Ausführungen von Knillings alarmierend, weil er die Möglichkeit einer süddeutschen Separation im Falle der Aufgabe des passiven Widerstands im Ruhrgebiet andeutet.

Ein bis zum 26. September andauernder Druckerstreik in New York verhindert das Erscheinen der Zeitungen.

An der Börse in New York wird der Dollar zum Preis von 111 Millionen Mark gehandelt. (Wasserburger Anzeiger Nr. 213/1923 vom 18. September 1923).

Der Wasserburger Anzeiger meldet, dass der TSV Wasserburg und der SSV Wasserburg sich zu einem Verein zusammenschließen wollen und dass diesbezügliche Gespräche schon sehr weit gediehen seien. Für den 20. September laden beide Vereine zu einer gemeinsamen Mitgliederversammlung ein, in der dieser Zusammenschluss beschlossen werden soll. Beide Vereine teilen mit, dass „die verantwortungsvolle und ebenso bedeutende Tagesordnung […] es jedem Mitgliede zur Ehrenpflicht“ mache, „an der Versammlung teilzunehmen“. (Wasserburger Anzeiger Nr. 213/1923 vom 18. September 1923)

Mittwoch, 19. September 1923

Scharfen Einspruch gegen den außenpolitischen Kurs von Reichskanzler Gustav Stresemann, der die Aufgabe des passiven Widerstands anstrebt, erheben die in Berlin versammelten deutschnationalen Fraktionen des Reichstags, des preußischen und des bayerischen Landtags.

Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, der sich aus Urlaubsgründen in Bayern aufhält, warnt Hermann Bauer, den Präsidenten der Vereinigung der Vaterländischen Verbände Bayerns, mit großer Eindringlichkeit vor bayerischen separatistischen Bestrebungen.

Stanley Baldwin, britischer Premierminister, trifft in Paris mit dem französischen Ministerpräsidenten Raymond Poincaré zusammen, um das weitere Vorgehen der Alliierten gegenüber dem Deutschen Reich zu erörtern. Poincaré ist nicht zu Zugeständnissen bereit.

Die seit dem 3. September in Genf tagende vierte Völkerbundsversammlung (bis 29. 9.) verzichtet auf Drängen Frankreichs darauf, die Reparationsfrage zu behandeln.

Ernst Tollers “Der deutsche Hinkemann” (seit 1924 “Hinkemann”), eine Tragödie in drei Akten, wird im Alten Theater in Leipzig uraufgeführt.

Das Reichsfinanzministerium erwägt, die Beamtengehälter künftig wöchentlich auszubezahlen und der allgemeinen Inflation anzupassen. (Wasserburger Anzeiger Nr. 214/1923 vom 19. September 1923)

Im besetzten Ruhrgebiet in Essen hätten die Franzosen eine Billion Mark Reichsgelder gestohlen, die den deutschen Beamten für Entschädigungszwecke zur Verfüung gestanden hätten. (Wasserburger Anzeiger Nr. 214/1923 vom 19. September 1923)

Die Italien-freundliche Regierung des seit 1920 als „Freistaat Fiume“ (heute Rijeka) existierende staatliche Gebildes tritt zurück. Man möchte wohl Teil des faschistischen Italiens werden. (Wasserburger Anzeiger Nr. 214/1923 vom 19. September 1923)

An der New Yorker Devisenbörse wird für den US-Dollar ein Gegenwert von 153.846.814 Mark (also fast 154 Millionen Mark) festgesetzt. (Wasserburger Anzeiger Nr. 214/1923 vom 19. September 1923)

Aus Hallstadt wird gemeldet, dass eine 21-jährige Frau nach dem Genuss von Knollenblätterpilzen „unter großen Schmerzen“ verstorben sei. (Wasserburger Anzeiger Nr. 214/1923 vom 19. September 1923)

Donnerstag, 20. September 1923

Der US-Dollar ist heute mit 222.222.222 Millionen Mark notiert.

Der Wasserburger Anzeiger meldet, dass es in Plauen während eines Aufmarsches nationalkonservativ Gesinnter zu Auseinandersetzungen mit Kommunisten gekommen sei, die in eine handfeste Schlägerei mit zahlreichen Verletzten mündete. (Wasserburger Anzeiger Nr. 215/1923 vom 20. September 1923)

Freitag, 21. September 1923

Die Rheinlandkommission beginnt im besetzten Rheingebiet mit der Ausgabe von Notgeld.

Innerhalb der nächsten fünf Jahre will der Wiener Stadtsenat Gemeindebauten mit insgesamt 25 000 Wohnungen errichten lassen. Auf diese Weise soll der massiven Wohnungsnot begegnet werden.

An der New Yorker Devisenbörse notiert der Gegenwert von einem US-Dollar bei 200 Millionen Mark. (Wasserburger Anzeiger Nr. 216/1923 vom 21. September 1923)

Der 1. Bürgermeister von Prien am Chiemsee, der Apothekenbesitzer Dr. Paul Weinhart, erklärt „aus rein wirtschaftlichen Gründen seinen Rücktritt“ vom Amte des 1. Bürgermeisters. Dieser Schritt löst in Prien erhebliche Unruhe aus. (Wasserburger Anzeiger Nr. 216/1923 vom 21. September 1923)

Samstag, 22. September 1923

Wegen umlaufender Putschgerüchte lässt die Reichsregierung verlautbaren, “dass gegenüber jedem Versuch, die Staatsgewalt zu erschüttern, von welcher Seite er auch kommen mag”, die ihm zur Verfügung stehenden Machtmittel (Reichswehr) eingesetzt würden.

In Dresden brechen Unruhen aus, in deren Verlauf es zu Schusswechseln zwischen bewaffneten Kommunisten und der Polizei kommt.

George Brittings Komödie “Die Stubenfliege” wird im Münchner Residenztheater uraufgeführt.

Korvettenkapitän Ehrhardt wird polizeilich gesucht. Auf seine Ergreifung war eine Belohnung von 15 Millionen Mark ausgesetzt. Diese wurde jetzt „in aller Stille“ auf 300 Millionen Mark erhöht. (Wasserburger Anzeiger Nr. 217/1923 vom 22. September 1923)

Sonntag, 23. September 1923

In Köln, Aachen, Trier und Wiesbaden sorgen Demonstrationen der Rheinland-Separatisten, die sich von Deutschland lossagen wollen, für erhebliche Unruhe in der Bevölkerung.

Die krisenhafte Lage des Deutschen Reichs spitzt sich weiter zu. Blutige Zusammenstöße zwischen den bewaffneten Verbänden der Rechts- und Linksradikalen sind an der Tagesordnung, so z. B. in Oberbayern zwischen nationalistischen Kampfverbänden und kommunistischen Hundertschaften.

In Hamburg findet ein zweistündiger Generalstreik statt.

Kurz nach dem Start zur internationalen Freiballonwettfahrt (Gordon-Bennett-Preis) in Brüssel geraten die Ballons in ein heftiges Gewitter. Der spanische, schweizerische und US-amerikanische Ballon werden vom Blitz getroffen, brennen aus und stürzen ab. Nur einer der sechs Piloten dieser Ballons überlebt.

Die Reichspost kündigt an, dass das Porto für einen Standardbrief ab 1. Oktober 1923 zwei Millionen Mark betragen werde. (Wasserburger Anzeiger Nr. 217/1923 vom 22. September 1923)

Der Wert der Mark stabilisiert sich. An der New Yorker Devisenbörse notiert der US-Dollar heute bei 133.333.000 Mark. (Wasserburger Anzeiger Nr. 218/1923 vom 23. September 1923)

Das Reichsbankdirektorium teilt mit, dass die neuen 500-Millionen-Mark-Scheine in den nächsten Tagen in den Verkehr kämen. (Wasserburger Anzeiger Nr. 218/1923 vom 23. September 1923)

In Wasserburg hätten sich zwei streunende Hunde nächtens „raufend und bellend in den Straßen der Stadt“ umhergetrieben und „durch ihr ständiges Gekläffe lästigste Ruhestörung“ verursacht, „so daß die Bewohner der betroffenen Gegend der Ruhe beraubt wurden“. (Wasserburger Anzeiger Nr. 218/1923 vom 23. September 1923)

Montag, 24. September 1923

Reichskanzler Gustav Stresemann verhandelt mit den Führern der fünf großen Parteien (SPD, DDP, DVP, Zentrum, DNVP) und Vertretern der von Frankreich und Belgien besetzten Gebiete über den Abbruch des passiven Widerstands, der, so der Kanzler, angesichts der finanziellen Misere des Deutschen Reichs, keinen Aufschub mehr dulde. Dem stimmen alle Parteien außer der DNVP zu.

Ein Liter Vollmilch kostet in Berlin zur Zeit 7,6 Millionen Mark. Für ein Brot müssen die Berliner 10,37 Millionen Mark zahlen und ein Kilogramm Kartoffeln geht für 1,24 Millionen Mark über den Ladentisch; Fleisch ist kaum erschwinglich, ein Kilogramm Rindfleisch kostet heute 76 Millionen Mark.

In der Berliner Alhambra wird der Tonfilm “Das Leben auf dem Dorfe” uraufgeführt und ist wochenlang ausverkauft. Das von den Ingenieuren Hans Vogt, Joseph Massolle und Jo Beneict Engl entwickelte Lichttonverfahren (Triergon) setzt sich aber erst nach einigen Jahren zunächst in den USA durch.

Dienstag, 25. September 1923

Die Ministerpräsidenten der Länder in Deutschland akzeptieren die Notwendigkeit, die bisherige Widerstandspolitik in den besetzten Gebieten abzubrechen. Die Reichsregierung fasst einstimmig einen entsprechenden Beschluss.

Die Reichsregierung erörtert eine Währungsreform und die Schaffung einer „Bodenmark“. (Wasserburger Anzeiger Nr. 219/1923 vom 25. September 1923)

In Bayern wendet sich die „Kampfgemeinschaft Bayern des deutschen Kampfbundes“ an den Ministerpräsidenten mit der Forderung zur Vermeidung einer marxistischen Revolution der Kampfgemeinschaft den Waffengebrauch zu gestatten, denn „in kurzer Zeit würden alle vaterländisch Gesinnten genötigt sein, die marxistischen Verbände mit der Waffe in der Hand niederzukämpfen“. Die Kampfgemeinschaft hoffe auf „unbedingtes Vertrauen“ der Bayerischen Regierung zu ihr, denn nur so könne die marxistische Bedrohung bekämpft werden. (Wasserburger Anzeiger Nr. 219/1923 vom 25. September 1923)

Umfangreiche staatliche Mittel stellt die preußische Regierung für eine Volksspeisungsaktion bereit, nachdem sich die Ernährungslage erneut dramatisch verschlechtert hat.

Thüringen steckt in einer Regierungskrise, nachdem die Verhandlungen zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten gescheitert sind. Auch in Sachsen haben die Kommunisten Verhandlungen zur Bildung einer Regierung scheitern lassen. (Wasserburger Anzeiger Nr. 219/1923 vom 25. September 1923)

Der ehemalige Chef der Obersten Heeresleitung (OHL) im Ersten Weltkrieg, General Ludendorff, bekennt sich offen zu Adolf Hitler. Der Wasserburger Anzeiger meldet, dass „das Bündnis Ludendorff-Hitler […] in aller Öffentlichkeit durch den General beglaubigt“ sei. (Wasserburger Anzeiger Nr. 219/1923 vom 25. September 1923)

An der Devisenbörse in New York wird der Gegenwert des US-Dollar mit knapp 144 Millionen Mark angegeben. (Wasserburger Anzeiger Nr. 219/1923 vom 25. September 1923)

„Im Fieberwahn“ habe eine Wasserburgerin mit ihren drei Kindern den Tod „in den Wellen des Inns“ gesucht, sei aber von einem Mann entdeckt worden, der die Frau mit ihren Kindern gerettet  und nach Hause gebracht habe. (Wasserburger Anzeiger Nr. 219/1923 vom 25. September 1923)

[Bild der Banknote anbei] Die Reichsbank informiert darüber, dass die Banknoten, die im Dezember 1922 mit einem Nennwert von 1000 Mark in Umlauf gekommen seien, nunmehr mit dem Nennbetrag „Eine Milliarde Mark“ überdruckt werden und anschließend in den Verkehr kämen. (Wasserburger Anzeiger Nr. 219/1923 vom 25. September 1923)

In Landshut hat eine Frau in einem Laden einen Einkauf getätigt und den Kinderwagen mit ihrem Baby davor abgestellt. Als sie zurückkam, war der Kinderwagen gestohlen und das Baby in den Hausgang gelegt worden. (Wasserburger Anzeiger Nr. 219/1923 vom 25. September 1923)

Der Wasserburger Anzeiger stellt fest, dass der Kurs der Mark sich in der vergangenen Woche zwar etwas stabilisiert habe, dass diese Entwicklung aber nicht bei den Warenpreisen ankomme. „Es muß im Gegenteil festgestellt werden, daß die Preise aller Artikel noch immer im Steigen begriffen sind.“ (Wasserburger Anzeiger Nr. 219/1923 vom 25. September 1923)

Der Stadtrat von Wasserburg gibt noch bekannt, dass der Michaelimarkt, der für den 30. September und 1. Oktober vorgesehen war, heuer nicht abgehalten werde. (Wasserburger Anzeiger Nr. 219/1923 vom 25. September 1923)

Mittwoch, 26. September 1923

In einem Aufruf an das deutsche Volk teilen Reichspräsident Friedrich Ebert und die Reichsregierung den Abbruch des passiven Widerstands gegen die Besetzung des Rhein-Ruhrgebietes duch Frankreich und Belgien mit.

Da sie Ausschreitungen wegen der Aufgabe des passiven Widerstands befürchtet, erklärt die bayerische Regierung den Ausnahmezustand und ernennt den ehemaligen Ministerpräsidenten Gustav Ritter von Kahr zum Generalstaatskommissar, auf den die gesamte vollziehende Gewalt übergeht. Daraufhin überträgt Reichspräsident Friedrich Ebert Reichswehrminister Otto Geßler vorübergehend die vollziehende Gewalt und erklärt den Ausnahmezustand für das gesamte Deutsche Reich.

Donnerstag, 27. September 1923

Die Maßnahmen für den passiven Widerstand werden außer Kraft gesetzt. Am folgenden Tag werden die Reparationslieferungen an Frankreich und Belgien wieder aufgenommen.

Der Wasserburger Anzeiger meldet hierzu, dass nunmehr „die letzte Waffe“ dahin sei. Duch den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz am Vortage habe Deutschland sich jetzt bedingungslos Frankreich ausgeliefert. (Wasserburger Anzeiger Nr. 221/1923 vom 27. September 1923)

Der Wasserburger Anzeiger berichtet weiterhin, dass Frankreich plane, seine Besetzung des Ruhrgebiets „unsichtbar“ zu machen, „sodaß die Deutschen in der Lage wären, ihre Arbeiten selbst zu organisieren.“ (Wasserburger Anzeiger Nr. 221/1923 vom 27. September 1923)

Die Mark scheint sich leicht zu erholen, so wird der US-Dollar in New York bei knapp 122 Millionen Mark notiert. (Wasserburger Anzeiger Nr. 221/1923 vom 27. September 1923)

Bayern ruft den Ausnahmezustand aus. Der deshalb ernannte bayerische Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr verbietet 14 geplante Kundgebungen der Nationalsozialisten, was bei diesen eine sehr große Empörung hervorruft. In seiner „Kundgebung“ teilt von Kahr darüber hinaus mit, dass er „gegen alle vaterlandsfeindlichen Handlungen und jeden Widerstand gegen meine Anordnungen […] meine Machtmittel rücksichtlos einsetzen“ werde. (Wasserburger Anzeiger Nr. 222/1923 vom 28. September 1923)

Im Berliner Marmorhaus wird der Film “Mutter, Dein Kind ruft” uraufgeführt. Es handelt sich um eine Verfilmung der Novelle “Das brennende Geheimnis” von Stefan Zweig.

Freitag, 28. September 1923

Reichswehrminister Otto Geßler verbietet Druck und Vertrieb des “Völkischen Beobachters” wegen eines Artikels, der Reichskanzler Gustav Stresemann und den Chef der Heeresleitung, Hans von Seeckt, sehr schwer verunglimpft. Das Verbot löst einen schweren Konflikt zwischen Bayern und dem Reich aus, weil die bayerische Regierung dieses Vorgehen gegen die NSDAP nicht billigt.

Die Führer der Verbände „Oberland“ und „Reichsflagge“ beschließen, „angesichts des Ernstes der politischen Lage“ dem Führer der NSDAP, Adolf Hitler, die politische Leitung des „Deutschen Kampfbundes“ zu übertragen. (Wasserburger Anzeiger Nr. 222/1923 vom 28. September 1923)

Bei der Eröffnung der Automobilausstellung in Berlin (bis 7. 10.) wird neben anderen Neuheiten auch das „Stromlinienauto“ vorgestellt.

Arbeitssuchende aus Deutschland würden infolge der Not im Deutschen Reiche immer häufiger nach Österreich reisen, um hier Arbeit zu finden. Die Polizeidirektion in Salzburg sei täglich gezwungen, „Reichsdeutsche, die mit ordentlichen Pässen als Arbeitsuchende nach Oesterreich kommen, zurückzuweisen, weil die Leute oft nicht einmal das Fahrgeld zur Reise an den Arbeitsort besitzen.“ (Wasserburger Anzeiger Nr. 222/1923 vom 28. September 1923)

Samstag, 29. September 1923

Der bayerische Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr lässt den Vollzug des Republikschutzgesetzes  vom 21. Juli 1922 in Bayern einstellen. Gleichzeitig verbietet er bis auf weiteres alle politischen Versammlungen. Der Wasserburger Anzeiger berichtet, dass deshalb „auch die für heute Abend angekündigten 14 Versammlungen der Nationalsozialistischen Partei unterbleiben“. (Wasserburger Anzeiger Nr. 223/1923 vom 29. September 1923)

Die Thüringer Kommunisten erklären sich bereit, unter bestimmten Bedingungen vorübergehend die sozialdemokratische Minderheitsregierung zu tolerieren. (Wasserburger Anzeiger Nr. 223/1923 vom 29. September 1923)

Hugo Stinnes, Großindustrieller und Reichstagsabgeordneter der DVP, fordert die Reichsregierung im Namen der Schwerindustrie auf, den Achtstundentag aufzuheben und ein Streikverbot für lebenswichtige Betriebe zu erlassen.

Die letzte Postkutsche wird in Hannover aus dem Verkehr gezogen.

Die Mark verliert wieder stark an Wert. In New York wird der Wechselkurs für den US-Dollar mit 147 Millionen Mark festgesetzt. (Wasserburger Anzeiger Nr. 223/1923 vom 29. September 1923)

Aus Traunstein wird ein kommunistischer Überfall auf drei Mitglieder vaterländischer Verbände gemeldet. „Herumstreichende Bürschchen“ hätten eine Handgranate geworfen, die aber nicht explodiert sei. (Wasserburger Anzeiger Nr. 223/1923 vom 29. September 1923)

Sonntag, 30. September 1923

In Düsseldorf kommt es zu einem blutigen Zusammenstoß zwischen den etwa 20.000 demonstrierenden Separatisten und der Polizei, wobei 17 Personen getötet werden.

Die deutschen Bischöfe verurteilen in einem in allen katholischen Kirchen verlesenen Hirtenbrief den Nationalismus und rufen zur Völkerverständigung auf.

Obwohl eigentlich alle politischen Veranstaltungen in Bayern verboten sind, kann der „Deutsche Tag“ in Bayreuth, bei dem die beiden Redner, General Erich Ludendorff und der Führer der NSDAP, Adolf Hitler, zu ihren Anhängern sprechen, stattfinden. (Wasserburger Anzeiger Nr. 224/1923 vom 30. September 1923)