Fall „Hanna“: 21-jährige Schulfreundin von Sebastian T. zum zweiten Male im Zeugenstand

Am 7. Verhandlungstag im Mordfall „Hanna W.“, dem „Eiskellerprozess“, musste die Vorsitzende Richterin die Verfahrensbeteiligten und die erschienenen Besucher zunächst um Geduld bitten. Die als Zeugin geladene Schulfreundin war durch die Befragung am 5. Verhandlungstag derart aufgewühlt, dass Richterin Aßbichler ihr Hausaufgaben mit auf den Weg gab. Sie möge sich Notizen machen, was genau in den fraglichen Tagen Anfang Oktober 2022 geschehen ist. So könne sie präziser aussagen. Und genau diese Aufzeichnungen habe die Zeugin daheim vergessen, erklärt die Richterin den Prozessbeteiligten und der Öffentlichkeit, sodass der Verhandlungsbeginn sich um ungefähr 45 Minuten verzögere. Ihre erste Vernehmung am 19. Oktober muss die 21-jährige Zeugin so sehr aufgewühlt haben, dass die Richterin eine Vernehmung auf audiovisueller Basis beantragte, womit Staatsanwaltschaft und Verteidigung sich einverstanden erklärten.

Und so wurden gestern Monitore und ein Beamer im Gerichtssaal aufgebaut, die Technik geprüft, der audiovisuelle Kontakt mit dem Nebenraum, in den sich die Zeugin dann setzen sollte, hergestellt. Ziel sei es, mit dieser Form der Vernehmung der Zeugin den Druck von ihr zu nehmen, dem Angeklagten in die Augen schauen zu müssen, denn dies stellt anscheinend eine schwere seelische Belastung für die Zeugin dar.

Gestern spricht die Zeugin dann tatsächlich deutlich freier. Natürlich war sie angespannt, man merkte das daran, dass sie recht schnell sprach und viel redete. Den Angeklagten nannte sie einen „guten Spezl“ und sie berichtete recht freimütig von einem Treffen an jenem 3. Oktober 2022, jenem Tag, an dem Hanna W. am späteren Nachmittag in der Prien bei Kaltenbach tot gefunden worden war. Sie sei mit dem Angeklagten spazieren gewesen, bis gegen 22 Uhr. Und es seien ihr verschiedene Sachen aufgefallen, Dinge, die er zuvor nie gemacht habe. So habe er einen Hoody getragen, was er noch nie gemacht habe. Und dann habe er ihr eine merkwürdige Frage gestellt: „Hast Du gewusst, letzte Nacht ist ein Mädchen in Aschau umgebracht worden.“ Diese Frage habe sie irritiert. Später wurde bekannt, dass zu diesem Zeitpunkt die tote Hanna W. noch gar nicht geborgen war und dass sie in Aschau getötet worden war, konnte auch niemand wissen.

Als sie dann noch den Friedhof passiert hätten, seien sie zu einem Waldstück gekommen, wo ein Hirsch geröhrt habe, das hätten sie gehört. Der Angeklagte schmunzelte, nachdem die Zeugin dieses Erlebnis in einer eher romantischen Art schilderte.

Zwei Tage später habe sie sich gefragt, woher er das mit dem Tod von Hanna W. habe wissen können. Er habe es gewusst, bevor sie gefunden worden sei und bevor ermittelt werden konnte, dass sie in Aschau getötet worden sei. Außerdem habe er seit dem 3. Oktober ständig Witze über den Tod gemacht, was sonst nie seine Art gewesen sei. Sie sagt: „Für mich war das sehr komisch.“

Die Zeugin berichtet auch, dass der Angeklagte als Autofahrer immer „ein Raser“ sei, überholt habe, „wo man nicht überholt“.  Nach dem 3. Oktober sei er häufig in die Wohnung der Zeugin und ihrer Familie gekommen, sei häufiger ungemeldet gekommen, was er sonst nie gemacht habe. Das sei „immer ganz komisch“ gewesen.

Bei der Polizei habe sie etwas anders ausgesagt, wurde die Zeugin gestern mit ihrer eigenen Aussage konfrontiert. Und dann räumte sie ein: „Damals bei der Polizei hab‘ ich untertrieben. Was ich heute sage, stimmt.“

Auch als der Angeklagte ihr am 3. Oktober sein Taschenmesser an den Hals gehalten habe, habe sie ihn zunächst nicht so ernst genommen, Angst habe sie davon dennoch bekommen.

Und einen Tag vor seiner Festnahme, am 17. November 2022, sei man beieinander gesessen und da sei Hanna W. wieder einmal das Gesprächsthema gewesen und da habe der Angeklagte ein „Ja, dann war ich’s halt“ gesagt. Das habe sie sehr verstört. „Das hat er einfach so gesagt“, meinte sie sich zu erinnern. Danach habe der Angeklagte so viel Pfefferminzschnaps getrunken, dass er sich habe erbrechen müssen.

Das Gericht beendete die Vernehmung und Richterin Aßbichler redete dem Angeklagten nochmals ins Gewissen: „Wollen Sie eine Erklärung abgeben? Wir haben hier eine Bandbreite: Zwischen kaltblütigem Mord und Verzweiflungstat ist manches möglich. Ihre Freundin wird bei der Konfliktbefragung durch Staatsanwaltschaft und Verteidigung in die Mangel genommen. Ob das passieren muss, entscheiden Sie.“ Der Angeklagte zog es vor, vor Gericht zu schweigen.

Zwei weitere Zeugen vernommen

Im Anschluss daran wurden zwei Zeugen vernommen, eine Mutter mit ihrer 20-jährigen Tochter. Sie wohnen in der Nähe von Freiburg im Breisgau, also etwa 500 Kilometer von Rosenheim entfernt. Die Tochter kenne den Angeklagten, habe den Angeklagten auf einem Bundespfadfindertreffen kennengelernt, man habe die Nummern ausgetauscht und sich anschließend geschrieben und miteinander telefoniert. Eineinhalb Jahre, nachdem man sich kennengelernt habe, habe er sie in Baden-Württemberg besucht. Man habe sich unterhalten, zu Abend gegessen und dann sei man schlafen gegangen. Der Angeklagte habe nicht bei der Tochter der Familie geschlafen, weder Mutter noch Tochter konnten präzise sagen, wo er geschlafen habe. Die Zeugen wurden befragt, ob er im Auto oder im Gästezimmer geschlafen habe, sie wussten es nicht.

Am nächsten Tag habe die Tochter beschlossen, keinen Kontakt mehr zum Angeklagten zu wollen. Das Gericht befragt die Zeugin, aus welchen Gründen sie jedweden Kontakt abbrechen wollte und sie habe ihn auch gleich bei „what’s app“ geblockt. Sie habe einfach ein blödes Gefühl gehabt, mehr sei nicht passiert. Nach den Gründen befragt, nannte sie nur ihr „Bauchgefühl“.

Die junge Zeugin hatte das Gericht darum gebeten, den Angeklagten nicht anschauen zu müssen, deshalb wurde eine Sichtschutzwand in den Gerichtssaal gebracht und anschließend wieder entfernt. Nach den Gründen für diese Maßnahme befragt, äußert sie nur lakonisch: „Ich will’s einfach nicht.“ Sie seien am ersten Tag noch Eis essen gewesen. Worüber sie da gesprochen hätten, wusste die Zeugin nicht mehr zu sagen. Und schließlich sagt sie noch: „Ich kann nicht mehr sagen, als das, was ich schon gesagt hab.“

Der Verhandlungstag vor dem Landgericht endet mit einer weiteren Zeugenvernehmung. Eine 19-jährige Frau war zwei Jahre lang Klassenkameradin der Schwester des Angeklagten. Sie habe aber mit ihrer Klassenkameradin keinen außerschulischen Kontakt gehabt. Sie hätten sich 2018 und 2019 mehrfach unterhalten und da habe die Schwester des Angeklagten ihr erzählt, dass es in der Familie des Angeklagten „nicht gut läuft“. Der Vater trinke viel und komme „stockbetrunken“ nach Hause und ihr Bruder sei „manchmal nicht so nett“. Er flippe bei geringsten Anlässen einfach aus und könne schon auch mal aggressiv werden. Näheres wisse sie aber nicht. Die Schwester des Angeklagten habe deshalb schon vor Jahren zur Tante ziehen wollen. Seit etwa vier Jahren habe sie aber keinen Kontakt mehr zur Schwester des Angeklagten.

Richterin Aßbichler schloss die Verhandlung. Das Verfahren wird am 7. November fortgesetzt. Da sollen die Zeugen aus der Disko „Eiskeller“ vernommen werden.

Der Verhandlungstag ließ den Beobachter ein wenig ratlos zurück. Beim Verlassen des Gerichtssaales rief ein Zuschauer dem Angeklagten laut zu: „Super, Sebastian, Du schaffst das.“

RP