Serie: Wasserburg vor 100 Jahren – Teil 16

Der Monat Oktober 1923 steht unter dem Zeichen der unglaublichen Geldentwertung. Erhielt man am Monatsanfang noch einen US-Dollar für 200 Millionen Mark, so waren es am Monatsende bereits 80 Milliarden Mark. Damit verlor die Mark in einem Monat mehr als 99 Prozent ihres Wertes. Die Reichsregierung unter Gustav Stresemann, seit 12. August 1923 im Amt, gibt zum zweiten Male, und diesmal endgültig auf. Zu Stresemanns Nachfolger wird am 30. November der Zentrumspolitiker Wilhelm Marx ernannt. Am 8. November 1923 will der bayerische Generalstaatskommissar, der mit diktatorischen Vollmachten ausgestattet worden war, Gustav von Kahr, eine Rede im Bürgerbräukeller in München halten. Zahlreiche Mitglieder der NSDAP unter ihrem Führer Adolf Hitler stürmen den Bürgerbräukeller. Hitler verkündet: „Die nationale Revolution ist ausgebrochen!“ Doch schon nach zwei Tagen bricht der Putsch in sich zusammen und Hitler und seine Gefolgsleute werden festgenommen und angeklagt.

 

In Bayern übernimmt ein mit Gustav von Kahr ein Generalstaatskommissar die Regierungsgeschäfte und wird mit teilweise diktatorischen Vollmachten ausgestattet. Zwischen dem Reich und Bayern eskaliert ein Konflikt um General von Lossow, der sich weigert, die Absetzung durch den Reichswehrminister anzuerkennen.

Diebstähle, Einbrüche und Betrug werden immer häufiger. Viele Menschen können sich das normale Essen nicht mehr leisten. Die Ersparnisse, vor allem des kleinen Mittelstandes, werden durch die Inflation praktisch annulliert. Nicht wenige Menschen retten sich dadurch, dass sie Pilze sammeln gehen und kommen zu Tode, weil sie giftige Pilze von Speisepilzen nicht unterscheiden können.

Frankreich unterstützt Separationsbestrebungen in der bayerischen Pfalz, was zu weiteren, teilweise militanten Konflikten führt.

 

Die Chronik für Oktober 1923:

Montag, 1. Oktober 1923

In Küstrin und Spandau unternehmen Einheiten der Schwarzen Reichswehr (friedensvertragswidrige geheime Reserveformationen der Reichswehr) unter der Führung von Major Bruno Ernst Buchrucker einen Putschversuch, der von der regulären Reichswehr recht rasch niedergeschlagen wird.

Reichskanzler Gustav Stresemann fordert ein Ermächtigungsgesetz, damit die Reichsregierung ohne die Verzögerungen des normalen Gesetzgebungsverfahrens die zur Überwindung der Wirtschaftskrise notwendigen finanziellen und sozialpolitischen Maßnahmen ergreifen kann. Da die SPD ihre Zustimmung verweigert, kommt es am 3. Oktober zur Regierungskrise.

Das Porto für einen Brief kostet im Ortsverkehr zur Zeit 800 000 Mark und im Fernverkehr zwei Millionen Mark.

Für einen US-Dollar werden an der Devisenbörse 242 Millionen Mark gezahlt.

Dienstag, 2. Oktober 1923

Papst Pius XI. richtet an die US-amerikanischen Bischöfe einen Aufruf zur Hilfeleistung für Mitteleuropa, wo eine Hungersnot drohe.

In der Erwartung eines Bürgerkriegs im Deutschen Reich fordern zahlreiche Kundgebungen in der Sowjetunion zur Unterstützung der deutschen Kommunisten auf.

Nachdem die letzten britischen Truppen Konstantinopel (heute Istanbul) verlassen haben, wird dort feierlich die türkische Flagge gehisst.

Auf Veranlassung des Bayerischen Landwirtschaftsministeriums wird es zur Abhilfe der Engpässe bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln in Bayern größere Lieferungen an Kartoffeln aus Norddeutschland geben. Die ersten Waggons sollen schon bald anrollen.

(Wasserburger Anzeiger Nr. 225/1923 vom 2. Oktober 1923)

Der Wechselkurs des US-Dollar liegt bei 200 Millionen Mark. (Wasserburger Anzeiger Nr. 225/1923 vom 2. Oktober 1923)

Mittwoch, 3. Oktober 1923

Da die SPD dem von Reichskanzler Gustav Stresemann geforderten weitgefassten Ermächtigungsgesetz nicht zustimmt, tritt die Reichsregierung zurück. Stresemann wird mit der Neubildung der Regierung beauftragt.

Der seit 26. September für Bayern eingesetzte und mit diktatorischen Vollmachten ausgestattete Generalstaatskommissar von Kahr erlässt eine Streikverordnung, wonach jeder Streik als Landesverrrat gewertet und mit empfindlichen Haftstrafen belegt wird. (Wasserburger Anzeiger Nr. 226/1923 vom 3. Oktober 1923)

Der Wechselkurs des US-Dollar liegt bei 242 Millionen Mark (Wasserburger Anzeiger Nr. 226/1923 vom 3. Oktober 1923)

Donnerstag, 4. Oktober 1923

Die Reichstagsfraktion der Deutschnationalen Volkspartei teilt offiziell mit, sie werde auch einer neuen Regierung unter Gustav Stresemann kein Vertrauen entgegenbringen. Daraufhin tritt die Reichsregierung zurück. (Wasserburger Anzeiger Nr. 228/1923 vom 5. Oktober 1923)

Bayern lebt wie die anderen Länder auch im Ausnahmezustand. Politische Versammlungen sind danach strengstens verboten. (Wasserburger Anzeiger Nr. 227/1923 vom 4. Oktober 1923)

Weil ein Bäckermeister aus der Nähe von Wasserburg verbotswidrigen Handel mit Getreide trieb, wurden ihm 1000 Zentner Getreide beschlagnahmt. (Wasserburger Anzeiger Nr. 227/1923 vom 4. Oktober 1923)

Aus Duisburg wird gemeldet, dass erneut 185 Eisenbahner ausgewiesen worden seien, „obgleich der passive Widerstand aufgeboben ist. In den Lohnbüros der Firma Krupp in Essen werden 700 Milliarden Mark beschlagnahmt. In Dortmund seien sogar 9,4 Billionen Mark an Lohngeldern von den Franzosen beschlagnahmt worden. (Wasserburger Anzeiger Nr. 227/1923 vom 4. Oktober 1923)

Der Winterfahrplan für die Bahn wird bekannt gegeben. Danach benötigt man 3 Stunden und 25 Minuten, um mit dem Zug von Wasserburg nach München zu fahren, nach Rosenheim dauert es eine Stunde. (Wasserburger Anzeiger Nr. 227/1923 vom 4. Oktober 1923)

Ein Liter Vollmilch kostet derzeit 14 Millionen Mark.

Der Gegenwart für einen US-Dollar wird in Berlin mit 320 Millionen Mark fixiert. (Wasserburger Anzeiger Nr. 227/1923 vom 4. Oktober 1923)

Freitag, 5. Oktober 1923

Der am Sturz des Präsidenten Li Yüan-hung am 14. Juni maßgeblich beteiligte General Ts’ao K’un wird zum Präsidenten Chinas gewählt. Ts’ao K’un ist einer der militärischen Machthaber im Norden des Landes.

Die Kommunistische Partei Deutschlands ist bereit, in die sozialdemokratischen Landesregierungen Sachsens und Thüringens einzutreten. “Angesicht der großen Gefahr, die dem deutschen Proletariat und vor allem der sächsischen und thüringischen Arbeiterschaft droht”, fasst sie diesen Beschluss.

Obwohl die Herausgabe verboten worden ist, erscheint das Organ der NSDAP, der „Völkische Beobachter“ weiterhin. Sanktionen bleiben anscheinend aus. (Wasserburger Anzeiger Nr. 228/1923 vom 5. Oktober 1923)

Ein bayerischer Offizier hetzt gegen die in Bayern regierende Bayerische Volkspartei, was den Wasserburger Anzeiger seinerseits empört. Die Zeitung schreibt, manche Leute „meinen, die ationale Gesinnung in Erbpacht genommen zu haben.“ (Wasserburger Anzeiger Nr. 228/1923 vom 5. Oktober 1923)

Italien verbietet den Gastronomen den Begriff „Tiroler Knödel“ zu verwenden. Stattdessen ist der Begriff „Oberetscher Knödel“ zu verwenden. (Wasserburger Anzeiger Nr. 228/1923 vom 5. Oktober 1923)

Der Wechselkurs des US-Dollar liegt bei 440 Millionen Mark (Wasserburger Anzeiger Nr. 228/1923 vom 5. Oktober 1923).

Samstag, 6. Oktober 1923

Der Schriftsteller Heinrich Mann appelliert an Reichskanzler Gustav Stresemann, eine Diktatur des Rechts und der Vernunft zu errichten: “Beugen Sie doch vor! Die deutsche Tragik vollzieht sich immer auf Grund versäumter Gelegenheiten. Die soziale Demokratie soll endlich gewappnet und als Rächer dastehen.”

Mit einer Niederlage der Arbeiter endet der große Bergarbeiterstreik (seit 10.08.) in der Tschechoslowakei. Die Bergarbeiter akzeptieren eine Lohnherabsetzung von 9 bis 30%.

US-Präsident Calvin Coolidge lehnt die Streichung der alliierten Kriegsschulden – Großbritannien und Frankreich haben während des Weltkriegs umfangreiche US-amerikanische Kredite aufgenommen – ab, betont jedoch die Bereitschaft zu großzügigen Regelungen.

Der bayerische Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr erlässt ein Streikverbot und verbietet gleichzeitig kommunistische Zeitungen und Zeitschriften in Bayern.

Nach dem Einlenken der SPD in der Frage des Ermächtigungsgesetzes wird die neue Reichsregierung unter Reichskanzler Gustav Stresemann (DVP) vereidigt. Die bisherigen Koalitionsparteien (SPD, DDP, DVP, Zentrum) sind an ihr beteiligt. An die Stelle von Rudolf Hilferding (SPD) tritt der parteilose Hans Luther als Finanzminister.

Auch in Bayern wird das Erscheinen des „Völkischen Beobachters“ erneut für 10 Tage verboten. (Wasserburger Anzeiger Nr. 229/1923 vom 6. Oktober 1923)

in Bayern werden Mieter verpflichtet, Mietern, die soziale Fürsorge erhalten, zu gestatten, ihre Miete wöchentlich zu bezahlen. (Wasserburger Anzeiger Nr. 229/1923 vom 6. Oktober 1923)

Amtliche Kreise in Großbritannien sind der Überzeugung, dass in Deutschland „eine wirkliche politische Diktatur beinahe unvermeidlich“ sei. (Wasserburger Anzeiger Nr. 229/1923 vom 6. Oktober 1923)

Der Wechselkurs für den US-Dollar liegt bei 551 Millionen Mark. (Wasserburger Anzeiger Nr. 229/1923 vom 6. Oktober 1923)

Sonntag, 7. Oktober 1923

Ein Kongress der Betriebsräte Thüringens beschließt die Mobilisierung aller Arbeiter, Angestellten und Beamten. Die sog. Proletarischen Hundertschaften sollen überall verstärkt werden zur Abwehr der “faschistischen Reaktion” Bayerns.

Der französische Ministerpräsident Raymond Poincaré weist die Behauptung, die französischen Behörden hätten die blutigen Separatistenunruhen in Düsseldorf am 30. September mitverschuldet, entschieden zurück.

Der Wasserburger Anzeiger teilt seinen Abonnenten mit, dass der Abopreis ab sofort wöchentlich zu entrichten sei und bis spätestens Montag bezahlt sein muss. „Jeden Verzugstag müssen wir künftig berechnen“. „Auf Rechnung können wir die Zeitung nicht mehr setzen“. (Wasserburger Anzeiger Nr. 230/1923 vom 7. Oktober 1923)

Ab 10. Oktober gelten neue Postgebühren. ein Brief kostet dann zwei Millionen Mark, eine Postkarte eine Million Mark.  (Wasserburger Anzeiger Nr. 230/1923 vom 7. Oktober 1923)

Der Gegenwert des US-Dollar liegt bei 601.500.000 Mark  (Wasserburger Anzeiger Nr. 230/1923 vom 7. Oktober 1923)

 

Montag, 8. Oktober 1923

Auf dem Tempelhofer Feld wird der neue Berliner Flughafen eröffnet und den Luftverkehrsgesellschaften Junkers und Aero Lloyd AG zur regelmäßigen Nutzung übergeben.

 

Ein US-Dollar ist derzeit 838 Millionen Mark wert. Für ein Brot müssen in Berlin 64 Millionen Mark gezahlt werden.

 

Heftig protestieren die Arbeiterorganisationen gegen den Beschluss der rheinisch-westfälischen Zechenbesitzer, die Arbeitszeit zu verlängern (auf 8,5 Stunden unter Tage und 10 Stunden über Tage). Nachdem das preußische Handelsministerium den staatlichen Zechen eine solche Verlängerung untersagt hat, zieht der Zechenverband seine Anordnung zurück.

 

 

Dienstag, 9. Oktober 1923

Die Preußische Bergwerks- und Hütten-AG (Preussag AG) wird gegründet. Das Unternehmen vereinigt und betreibt die bisherigen preußischen Staatsbetriebe.

 

Vor dem Volksgericht in Traunstein wird ein Rosenheimer zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, weil er auf einem Maiumzug eine Sowjetfahne mit sich führte und der Gendarmerie Widerstand entgegensetzte, als man ihm die Fahne wegnehmen wollte.  (Wasserburger Anzeiger Nr. 231/1923 vom 9. Oktober 1923)

 

Die stärksten Fleischesser der Welt findet man in Argentinien, gefolgt von den weißen Australiern und den Neusseländern. Die USA stehen auf dem vierten Platz. (Wasserburger Anzeiger Nr. 231/1923 vom 9. Oktober 1923)

Ein US-Dollar entspricht heute dem Gegenwert von 1.203 Millionen Mark. (Wasserburger Anzeiger Nr. 233/1923 vom 11. Oktober 1923)

 

 

Mittwoch, 10. Oktober 1923

Im Deutschen Theater in Berlin findet die deutsche Erstaufführung des Schauspiels “Anna Christie” von Eugene O’Neill statt (Uraufführung 20. 11. 1921 in New York).

 

Sprunghaft ist der Dollarkurs auf den heutigen Stand von 2,9 Milliarden Mark (pro US-Dollar) gestiegen. (Wasserburger Anzeiger Nr. 234/1923 vom 12. Oktober 1923)

 

Die französische Regierung lehnt das Angebot der Reichsregierung, über die Wiederherstellung des normalen Wirtschafts- und Verkehrslebens im Ruhrgebiet zu verhandeln (27.09.) ab. Dagegen wolle sie mit den lokalen deutschen Behörden und Wirtschaftsvertretern in entsprechende Verhandlungen eintreten.

 

Der Reichstag billigt den vierten Nachtragsetat. Durch Anleihen und Schatzanweisungen sollen 578.416 Billionen Mark für den Aufkauf von Brotgetreide, die Bezahlung der Ruhrschäden und die Auszahlung der Beamtengehälter aufgebracht werden.

 

In Sachsen wird eine sozialdemokratisch-kommunistische Regierung durch Aufnahme der KPD gebildet. Dem “revolutionären Kampfkabinett” gehören die Kommunisten Paul Böttcher (Finanzminister) und Fritz Heckert (Wirtschaftsminister) an.

 

 

Donnerstag, 11. Oktober 1923

Bis auf weiteres verbietet Reichswehrminister Otto Geßler das kommunistische Zentralorgan “Die Rote Fahne”, weil die Zeitung am Vortag zur Vorbereitung des politischen Generalstreiks aufgerufen hat.

 

Reichspräsident Friedrich Ebert erlässt eine Verordnung über Steueraufwertung, die für Zahlungspflichten aus Reichssteuern die Umrechnung in Goldmarkwerte vorsieht. Damit wird eine entscheidende Grundlage für die Sanierung des Reichshaushalts geschaffen.

 

Die Reichsbank kündigt die Herausgabe von Banknoten mit dem Nennwert von fünf und zehn Milliarden Mark an.  (Wasserburger Anzeiger Nr. 233/1923 vom 11. Oktober 1923)

 

„Winter wird’s“ meldet der Wasserburger Anzeiger. Das sei eigentlich kein Problem, aber wenn der Kohlenpreis 200 Millionen Mark erreiche, fehle das wohlige Gefühl, das ein warmer Ofen am Abend gibt. Und so sei der Herbst „für viele Qual und Schrecken“. (Wasserburger Anzeiger Nr. 233/1923 vom 11. Oktober 1923)

 

Im Deutschen Reichstag wird die Vorlage eines „Ermächtigungsgesetzes“ beraten, wodurch die Regierung ermächtigt werden soll, vorübergehend ohne die Zustimmung des Parlaments regieren zu dürfen. Der Wasserburger Anzeiger ist überzeugt: „fällt es [das Ermächtigungsgesetz], dann stehen wir im Bürgerkrieg.“ (Wasserburger Anzeiger Nr. 235/1923 vom 13. Oktober 1923)

 

Der Wert des US-Dollars wird mit 5,06 Milliarden Mark festgesetzt, in Frankfurt wird er bereits mit 7,2 Milliarden Mark gehandelt. (Wasserburger Anzeiger Nr. 235/1923 vom 13. Oktober 1923)

 

Freitag, 12. Oktober 1923

 

In der Wasserburger Zeitung wird die Planung für eine neue Währung erwähnt, die „Neumark“ genannt wird. (Wasserburger Anzeiger Nr. 234/1923 vom 12. Oktober 1923)

 

Im unter britischer Mandatsherrschaft stehenden Palästina kommt es zu jüdisch-arabischen Spannungen. Die Araber fordern die Abschaffung der Jewish Agency for Palestine (politische Vertretung der jüdischen Bevölkerung), womit sie gegen die massive Einwanderung der Juden protestieren.

 

Ein französisches Dekret hebt die Genfer Freihandelszonen auf, die ab 10. November der französischen Zollverwaltung einverleibt werden sollen. Diese einseitige Veränderung der französisch-schweizerischen Zollgrenze erregt in der Schweiz heftige Kritik.

 

An der Frankfurter Devisenbörse notiert der US-Dollar bei 5,3 Milliarden Mark. (Wasserburger Anzeiger Nr. 236/1923 vom 14. Oktober 1923)

 

Samstag, 13. Oktober 1923

Nach heftiger Debatte verabschiedet der Reichstag das von Reichskanzler Gustav Stresemann geforderte Ermächtigungsgesetz mit der wegen seines verfassungsdurchbrechenden Charakters erforderlichen Zweidrittelmehrheit (316 Ja-Stimmen bei 24 Nein-Stimmen und sieben Enthaltungen).

 

Reichsverkehrsminister Rudolf Oeser fordert die Eisenbahner im besetzten Ruhrgebiet auf, am 17. Oktober den Dienst bei der französischen Eisenbahnregie aufzunehmen.

 

Nachdem der sächsische Finanzminister Paul Böttcher (KPD) in Leipzig die Bewaffnung der Proletarischen Hundertschaften gefordert hat, verfügt der Reichswehrbefehlshaber in Sachsen, Generalleutnant Alfred Müller, das Verbot und die Auflösung dieser Organisationen. Diese ist der Anlass für einen tiefgreifenden Konflikt zwischen Sachsen und der Reichsregierung.

 

Über 100 Todesopfer fordert die Explosion eines Pulvermagazins in der Warschauer Zitadelle.

 

Max Liebermann, Präsident der Preußischen Akademie der Künste, eröffnet in Berlin die Schwarz-Weiß-Ausstellung, bei der Käthe Kollwitz’ Holzschnittzyklus “Der Krieg” (entstanden 1922/23) zu sehen ist.

 

 

Sonntag, 14. Oktober 1923

In Basel tagt der Internationale Kongress für Arbeitsschutz.

 

Der aus Kiew stammende Bildhauer Alexander Archipenko verlässt Berlin, wo er seit 1921 eine Bildhauerschule betrieben hat, um in die Vereinigten Staaten auszuwandern.

 

Es gelten neue Preise beim Zug- und Busverkehr. So kostet eine einfache Fahrt von Wasserburg nach Rosenheim 84 Millionen Mark und nach Traunstein 228 Millionen Mark. (Wasserburger Anzeiger Nr. 236/1923 vom 14. Oktober 1923)

 

 

 

Montag, 15. Oktober 1923

Mit großer Mehrheit ernennt die türkische Nationalversammlung Angora (heute Ankara) zur Hauptstadt der Türkei, weil die bisherige Hauptstadt Konstantinopel (heute Istanbul) nicht zentral genug liege.

 

In verschiedenen Städten des Deutschen Reichs (Leipzig, Mannheim, Berlin) finden Demonstrationen gegen die Inflation und die zunehmende Arbeitslosigkeit statt, die z.T. in blutige Kämpfe zwischen Arbeitslosen und der Polizei übergehen.

 

Wegen der Finanzkrise verzichtet Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) auf die Hälfte der ihm zustehenden Aufwandsgelder. Mit dieser Geste will Ebert der deutschen Öffentlichkeit die Dringlichkeit einer Währungssanierung vor Augen führen.

 

Der Kurs des US-Dollar liegt bei 8,75 Milliarden Mark. (Wasserburger Anzeiger Nr. 238/1923 vom 17. Oktober 1923)

 

 

 

Dienstag, 16. Oktober 1923

Die Reichsregierung gibt die Errichtung der Deutschen Rentenbank bekannt, womit die Voraussetzung für den Übergang zu einer neuen Währung, sog. Rentenmark, geschaffen ist. Das Kapitel dieser Bank (32 Milliarden Rentenmark) haben Landwirtschaft, Industrie, Gewerbe und Handel durch Grundrenten aufzubringen.

 

Wie am 10. Oktober in Sachsen wird nun auch in Thüringen eine Koalitionsregierung der SPD und KPD gebildet. Die Kommunisten übernehmen das Justiz- und Wirtschaftsministerium. Am 11. September war die sozialdemokratische Landesregierung durch ein Misstrauensvotum gestürzt worden.

 

Ein Generalstreik im polnischen Teil Oberschlesiens endet mit der Niederlage der Arbeiter.

 

Der expressionistische Film “Schatten – eine nächtliche Halluzination” von Arthur Robison wird im Theater am Nollendorfplatz (Berlin) uraufgeführt. Fritz Kortner und Alexander Granach spielen die Hauptrollen.

 

Die Portogebühren steigen ab sofort erneut an: Eine Postkarte im Ortsverkehr kostet jetzt 2 Millionen Mark und ein Standardbrief im Ortsverkehr 4 Millionen Mark. (Wasserburger Anzeiger Nr. 237/1923 vom 16. Oktober 1923)

 

Das Eisenwarengeschäft Wilhelm Beyer in der Neustraße öffnet erstmals. (Wasserburger Anzeiger Nr. 237/1923 vom 16. Oktober 1923)

 

Der Wechselkurs des US-Dollar liegt bei 5,5 Milliarden Mark. (Wasserburger Anzeiger Nr. 240/1923 vom 19. Oktober 1923)

 

 

 

 

Mittwoch, 17. Oktober 1923

In Berlin werden von der städtischen Volksspeisung zur Zeit täglich 20 000 Portionen Mittagessen ausgegeben. Mit der Schulspeisung soll möglichst bald begonnen werden.

 

Der „Völkische Beobachter“, Organ der NSDAP, darf wieder erscheinen. (Wasserburger Anzeiger Nr. 238/1923 vom 17. Oktober 1923)

 

Für Unruhe in der Bevölkerung sorgt die Ankündigung, dass schon sehr bald mit einer „ganz erheblichen Verteuerung des Brotpreises“ gerechnet werden müsse. (Wasserburger Anzeiger Nr. 238/1923 vom 17. Oktober 1923)

 

Die Meldungen über Diebstahl von Nahrungsmitteln häufen sich stark. So berichtet der Wasserburger Anzeiger von einem Diebstahl aus Hadorf, wonach einem Landwirt zwei Schweine und zahlreiche Hühner gestohlen worden seien. Diese Taten sind auch Folge der allgemeinen Ernährungslage. (Wasserburger Anzeiger Nr. 238/1923 vom 17. Oktober 1923)

 

Es wird gemeldet, dass eine Entscheidung über eine neue Währung unmittelbar bevorstünde. (Wasserburger Anzeiger Nr. 238/1923 vom 17. Oktober 1923)

 

Im Rheinland soll als Währung der Französische Franc eingeführt werden, was zu enormen Protesten führt. (Wasserburger Anzeiger Nr. 238/1923 vom 17. Oktober 1923)

 

Der Kurs des US-Dollars steigt auf 12 Milliarden Mark. (Wasserburger Anzeiger Nr. 242/1923 vom 21. Oktober 1923)

 

 

 

Donnerstag, 18. Oktober 1923

Die eher nationalistisch gerichtete Regierung in Bayern bricht die diplomatischen Beziehungen zur SPD-KPD-Regierung in Sachsen ab.

 

Die Reichsregierung beschließt die Einführung der „Rentenmark“. Dadurch soll „ein wertbeständiges Zahlungsmittel geschaffen“ werden, das von allen Kassen in Zahlung genommen werden wird. (Wasserburger Anzeiger Nr. 239/1923 vom 18. Oktober 1923)

 

Aus Bad Reichenhall wird gemeldet, dass in sehr vielen Geschäftszweigen die Kurzarbeit eingeführt wurde. Es gebe Schuhmachereien, die nur insgesamt 4 Gehilfen in Kurzarbeit beschäftigten, während dieser Betrieb früher mehr als 60 Beschäftigte gehabt habe. (Wasserburger Anzeiger Nr. 239/1923 vom 18. Oktober 1923)

 

Freitag, 19. Oktober 1923

Seine erste Hauptrolle spielt Willy Fritsch in dem Film “Seine Frau, die Unbekannte”, der im Tauentzienpalast (Berlin) uraufgeführt wird.

 

Henrik Ibsens “Der Volksfeind” hat mit Eugen Klöpfer als Hauptdarsteller am Berliner Schillertheater Premiere.

 

Der sprunghafte Anstieg des Dollarkurses hält an. Ein US-Dollar entspricht zur Zeit zwölf Milliarden Mark.

 

In Griechenland kommt es wegen der Proteste gegen Wahleinschränkungen und Zensur zur Regierungskrise. Im letzten Augenblick zieht die Regierung ihren Rücktrittsentschluss zurück und ersetzt die bereits zurückgetretenen Minister durch die verbleibenden Kollegen.

 

Der Wasserburger Anzeiger meldet, dass der „Kampf gegen die mitteldeutschen Sowjetstaaten“ nötiger sei denn je. Gemeint ist die Beteiligung der KPD an den Regierungen in Thüringen und Sachsen. (Wasserburger Anzeiger Nr. 240/1923 vom 19. Oktober 1923)

 

Die Preise im Zugverkehr werden erneut erhöht. So kostet eine Bahnfahrt von Wasserburg nach Rosenheim ab sofort 420 Millionen Mark und nach Berchtesgaden 1,98 Milliarden Mark. (Wasserburger Anzeiger Nr. 240/1923 vom 19. Oktober 1923)

 

Samstag, 20. Oktober 1923

Das Briefporto im Ortsverkehr kostet derzeit vier Millionen Mark und im Fernverkehr zehn Millionen Mark.

 

In Berlin brechen Lebensmittelunruhen aus. Wegen des empfindlichen Brotmangels werden besonders die Bäckerläden von erregten Menschen umlagert.

 

Die KPD beschließt die Ausrufung eines Generalstreiks.

 

Der Stellvertreter des bayerischen Generalstaatskommissars Gustav Ritter von Kahr, Hubert Friedrich Karl Freiherr von und zu Aufseß, bezeichnet die Reichsregierung als “Judenregierung mit einem Matratzeningenieur an der Spitze” (Reichspräsident Friedrich Ebert ist gelernter Sattler). In Berlin sei alles “verebert und versaut”.

 

Da sich der General Otto von Lossow, bayerischer Reichswehrkommandeur, weigert, das von Reichswehrminister Otto Geßler erlassene Verbot des “Völkischen Beobachters” (28. 9.) umzuetzen, wird er seines Kommandos enthoben. Die bayerische Regierung reagiert auf diese Maßnahme des Reichspräsidenten Friedrich Ebert, indem sie die siebte (bayerische) Reichswehrdivision auf Bayern verpflichtet (22. 10.) und General von Lossow ihrerseits zum Divisionskommandeur ernennt.

 

Die Bayerische Regierung bricht ihre Beziehungen zu Sachsen ab, nachdem dort zwei Mitglieder der Kommunistischen Partei zu Ministern ernannt wurden, die auch zu Mitgliedern des Reichsrates ernannt wurden. (Wasserburger Anzeiger Nr. 241/1923 vom 20. Oktober 1923)

 

Es wird berichtet, dass die Zahl der Auswanderer aus Deutschland rasant ansteigt. So seien in der ersten Hälfte des Jahres 1923 ca. 16.000 Menschen mehr ausgewandert als vor Jahresfrist. (Wasserburger Anzeiger Nr. 241/1923 vom 20. Oktober 1923)

 

Der Wechselkurs des US-Dollar liegt bei 16 Milliarden Mark. (Wasserburger Anzeiger Nr. 243/1923 vom 23. Oktober 1923)

 

Sonntag, 21. Oktober 1923

In Aachen rufen Separatisten eine vom Deutschen Reich unabhängige Rheinische Republik aus. Rasch weitet sich der Separatistenputsch im besetzten Rhein- und Ruhrgebiet aus.

 

Die österreichischen Nationalratswahlen bestätigen die christlich-soziale Regierung unter Bundeskanzler Ignaz Seipel. Wie die Regierungspartei steigern auch die oppositionellen Sozialdemokraten ihren Stimmenanteil.

 

Die Landesregierungen von Sachsen und Thüringen erklären sich mit der Reichsregierung solidarisch, was die Abberufung des Generals von Lossow als Oberbefehlshaber der bayerischen Reichswehrtruppen betrifft. (Wasserburger Anzeiger Nr. 242/1923 vom 21. Oktober 1923)

 

Bayern weigert sich, mit Reichswehrminister Geßler zu sprechen, nachdem dieser angekündigt hatte, „Bayern von Reichsgelb, Reichseisenbahn- und Telegraphenverkehr abzuriegeln, wenn die bayerische Regierung Herrn v. Lossow halte“. Bayern weigert sich weiterhin, die Abberufung von General von Lossow umzusetzen. (Wasserburger Anzeiger Nr. 242/1923 vom 21. Oktober 1923)

 

 

Die Reichsregierung sieht sich außer Stande, die Reparationsforderungen Frankreichs weiterhin zu erfüllen und verlangt neue Verhandlungen, denn Deutschland könne derzeit nichts weiter tun, „als seine allerdringendsten eigenen Lebensbedürfnisse zu bestreiten.“ (Wasserburger Anzeiger Nr. 242/1923 vom 21. Oktober 1923)

 

Auf 40,1 Milliarden Mark ist der Wechselkurs des US-Dollar hochgeschnellt.

 

 

Montag, 22. Oktober 1923

Der Devisenhandel ist gemäß einer Verordnung des Reichspräsidenten Friedrich Ebert von nun an nur noch zum amtlichen Kurs zulässig.

 

Obwohl der Chef der Heeresleitung, General Hans von Seeckt, in seinem Befehl an die Reichswehr die Verfassungswidrigkeit des bayerischen Eingriffs in die militärische Kommandogewalt ausdrücklich festgestellt hat, wird die bayerische Reichswehrdivision auf die bayerische Regierung verpflichtet.

 

Wegen der angeblich verfassungswidrigen Bestrebungen der sächsischen KPD, die an der Landesregierung beteiligt ist, rücken Reichswehrtruppen auf Weisung des Reichswehrministers Otto Geßler in Leipzig, Meißen, Dresden und Pirna ein.

 

Der Wechselkurs des US-Dollar notiert bei 45,45 Milliarden Mark. (Wasserburger Anzeiger Nr. 244/1923 vom 24. Oktober 1923)

 

 

Dienstag, 23. Oktober 1923

Nach schweren Kämpfen schlägt die Hamburger Polizei einen Kommunistenaufstand nieder. Die letzten Barrikaden im Nordosten der Stadt fallen am 25. Oktober. Kommunistenführer Ernst Thälmann gelang es nicht, die streikenden Dockarbeiter für die Erhebung zu gewinnen.

 

Die Austreibung”, ein Film von Friedrich Wilhelm Murnau, wird im Berliner Ufa-Theater am Kurfürstendamm uraufgeführt. Eugen Klöpfer, Lucie Mannheim und Wilhelm Dieterle spielen die Hauptrollen.

 

In Traunstein wird für alle beschäftigten Arbeiter Kurzarbeit angeordnet. (Wasserburger Anzeiger Nr. 243/1923 vom 23. Oktober 1923)

 

In Ruhpolding wird egen der „zunehmenden öffentlichen Unsicherheit“ eine Notpolizei ins Leben gerufen. (Wasserburger Anzeiger Nr. 243/1923 vom 23. Oktober 1923)

 

Der Wasserburger Anzeiger veröffentlicht die Aufrufe der Reichsregierung und des Bayerischen Staates in der Angelegenheit von General von Lossow. Berlin besteht auf Abberufung, Bayern lehnt das als Eingriff in Bayerische Hoheitsrechte ab. (Wasserburger Anzeiger Nr. 243/1923 vom 23. Oktober 1923)

 

Zwischen München, Berlin, Erfurt und Dresden laufen Verhandlungen zur Deeskalation der Beziehungen. Weder das Reich noch die Landesregierungen wünschen die Ausweitung des Konflikts um General von Lossow. (Wasserburger Anzeiger Nr. 243/1923 vom 23. Oktober 1923).

 

Der Wechselkurs zum US-Dollar wird mit 100 Milliarden Mark festgesetzt. (Wasserburger Anzeiger Nr. 245/1923 vom 25. Oktober 1923)

 

Mittwoch, 24. Oktober 1923

Die in Berlin versammelten Ministerpräsidenten und Gesandten der Länder beraten die durch die bayerischen Maßnahmen (20. 10.) geschaffene Lage und stellen sich in dem Konflikt zwischen Bayern und dem Reich einstimmig auf die Seite des Reiches.

 

General Otto von Lossow, bayerischer Landeskommandeur und Oberbefehlshaber der Reichswehr in Bayern, erwägt mit hohen bayerischen Militärs und den Führern der Vaterländischen Verbände den Marsch auf Berlin und die Errichtung einer nationalen Diktatur im Deutschen Reich.

 

In Berlin kommt es fortdauernd zu größeren Unruhen wegen der Lebensmittelversorgung. Zwischen München, Berlin, Erfurt und Dresden laufen Verhandlungen zur Deeskalation der Beziehungen. Weder das Reich noch die Landesregierungen wünschen die Ausweitung des Konflikts um General von Lossow. (Wasserburger Anzeiger Nr. 244/1923 vom 24. Oktober 1923)

 

Die wirtschaftliche Lage der Menschen wird immer dramatischer: Der Wasserburger Anzeiger spricht von der „Verelendung der Gehalts- und Lohnempfänger“. Die Entlohnungsbasis hinke der Inflation stets hinterher, sodass die Verelendung immer größer werde. (Wasserburger Anzeiger Nr. 244/1923 vom 24. Oktober 1923)

 

Aus Rosenheim wird gemeldet, dass die Kleinkriminalität bedrohliche Ausmaße annehme. So seien einem Eisenbahnschaffner neben 11 Hühnern auch 50 Blaukrautköpfe aus dem Garten gestohlen worden. Außerdem gebe es zunehmend Jugendliche, die Frauen Handtaschen entrissen. (Wasserburger Anzeiger Nr. 244/1923 vom 24. Oktober 1923)

 

Der US-Dollar wird mit dem Gegenwert von 100 Milliarden Mark notiert. (Wasserburger Anzeiger Nr. 246/1923 vom 26. Oktober 1923)

 

Donnerstag, 25. Oktober 1923

Wegen der Stockungen in der Geldversorgung wird die Reichsbank in Berlin regelrecht von wartenden Geldkurieren belagert. Obwohl die Notenpresse ununterbrochen in Betrieb ist, kann der immense Zahlungsmittelbedarf nicht befriedigt werden.

 

Der britische Premierminister Stanley Baldwin sagt auf dem Parteitag der Konservativen Partei, die britische Regierung erwarte die baldige Wiederaufnahme der Reparationsverhandlungen, nachdem das Deutsche Reich am 26. September den passiven Widerstand im Ruhrgebiet abgebrochen hat.

 

Der US-Dollar notiert heute bei 99 Milliarden Mark. (Wasserburger Anzeiger Nr. 247/1923 vom 27. Oktober 1923)

 

Freitag, 26. Oktober 1923

Die Reichsregierung ersucht die bayerische Regierung, in kürzester Frist die verfassungsmäßige Befehlsgewalt im bayerischen Teil der Reichswehr wiederherzustellen.

 

Der Wasserburger Anzeiger meldet, dass die Bayerische Staatsregierung fordert, die Finanzhoheit vollständig den Ländern zu übertragen, damit der Verfassungskonflikt zwischen Bayern und dem Reiche beigelegt werden kann. (Wasserburger Anzeiger Nr. 246/1923 vom 26. Oktober 1923)

 

Aus München wird gemeldet, dass der Stadtrat beschlossen hat, die im August 1923 gedruckten 50-Millionen-Mark-Scheine durch Überdruck in 5-Milliarden-Mark-Scheine zu verwandeln. (Wasserburger Anzeiger Nr. 246/1923 vom 26. Oktober 1923)

Der Dollarkurs hat einen derzeitigen Stand von 83 Milliarden Mark (pro US-Dollar).

 

Samstag, 27. Oktober 1923

Die Personal-Abbau-Verordnung sieht die Einsparung von 20% der in der Reichsverwaltung tätigen Beamten und Angestellten (insgesamt 1 594 000) bis zum 1. April 1924 vor.

Major Bruno Ernst Buchrucker, Anführer des Putsches der Schwarzen Reichswehr in Küstrin am 1. Oktober, wird zu zehn Jahren Festungshaft verurteilt.

In Wasserburg kostet ab 26.10.1923 eine Semmel 200 Millionen Mark und ein Pfund Schwarzbrot 1,5 Milliarden Mark. (Wasserburger Anzeiger Nr. 247/1923 vom 27. Oktober 1923)

Der Währungsverfall macht eine kleine Pause. Der US-Dollar wird mit 65 Milliarden Mark notiert. (Wasserburger Anzeiger Nr. 249/1923 vom 30. Oktober 1923)

 

Sonntag, 28. Oktober 1923

Erich Zeigner, sächsischer Ministerpräsident, lehnt den am Vortag von der Reichsregierung geforderten Rücktritt der KPD-Minister und damit seiner Regierung ab. In einem Flugblatt der KPD wird der Reichsregierung der Gehorsam aufgekündigt und mit dem Generalstreik gedroht.

Erstmals wird in Spanien (Sitges) ein Grandprix-Rennen für Automobile veranstaltet. Sieger ist der Franzose Albert Divo auf Sunbeam.

Der Wasserburger Anzeiger meldet, dass Reichskanzler Stresemann zum Konflikt Bayerns mit dem Reiche Stellung bezogen habe. In einer Rede in Hagen äußerte sich der Kanzler dahingehend, dass er davon ausgehe, dass dieser Konflikt baldmöglichst friedlich beigelegt werden könne. Zu den Bestrebungen Frankreichs, die Pfalz von Bayern abzutrennen und einen separaten, von Frankreich abhängigen Staat zu begründen, meinte Stresemann, dass es niemals sein dürfe, dass ein Volk gegen seinen Willen und gegen den Buchstaben der Verfassung einem anderen Staat zugeordnet werden dürften. (Wasserburger Anzeiger Nr. 248/1923 vom 28. Oktober 1923)

 

Infolge der rasanten Geldentwertung hat die Reichsbank beschlossen, auf die 5.000-Mark-Banknote den Aufdruck „500 Milliarden Mark“ aufzudrucken und in den Verkehr zu bringen. (Wasserburger Anzeiger Nr. 248/1923 vom 28. Oktober 1923)

 

Montag, 29. Oktober 1923

Mit der ersten Sendung der Radiostunde AG (Berlin) beginnt der öffentliche Rundfunk im Deutschen Reich. Weitere Rundfunkgesellschaften werden gegründet.

 

Die türkische Nationalversammlung in Angora (heute Ankara) erklärt die Türkei zur Republik. Am folgenden Tag wird der Präsident der Nationalversammlung Mustafa Kemal Pascha (späterer Beiname Atatürk) zum Präsidenten der Republik gewählt.

 

Reichspräsident Friedrich Ebert ermächtigt die Reichsregierung zur Reichsexekution gegen Sachsen. Die sächsische SPD-KPD-Regierung wird abgesetzt und Rudolf Heinze, früherer Reichsjustizminister, als Reichskommissar für Sachsen eingesetzt.

 

 

Dienstag, 30. Oktober 1923

Nach Mitteilung der Reichsregierung ist im Zusammenhang mit der Reduzierung des Personals der Reichsverwaltung (Verordnung vom 29. 10.) zunächst die Entlassung der über 65-Jährigen Beamten vorgesehen.

 

Der Wasserburger Anzeiger titelt in der heutigen Ausgabe über die Einrichtung einer provisorischen Regierung der Pfalz durch Frankreich: „Das Verräter-Kabinett Matthes“. Der französische Oberkommissar der Rheinlandkommission Tirard habe von Paris die Weisung erhalten, die Separatistenbewegung als gesetzmäßig anzuerkennen. (Wasserburger Anzeiger Nr. 249/1923 vom 30. Oktober 1923)

 

Die deutsche Regierung protestiert bei der französischen Regierung dagegen, dass französische Militärs „am pfälzischen Putschversuch“ beteiligt waren. Aber das französische Außenministerium verweigerte diesbezüglich jegliche Auskunft. (Wasserburger Anzeiger Nr. 249/1923 vom 30. Oktober 1923)

 

Der Wasserburger Anzeiger meldet das weitere Ansteigen der Arbeitslosigkeit. In Rosenheim seien in der Saline 30 weitere Arbeiter entlassen worden. (Wasserburger Anzeiger Nr. 249/1923 vom 30. Oktober 1923)

Mittwoch, 31. Oktober 1923

Nach dem durch die Reichsexekution erzwungenen Rücktritt der sächsischen Regierung wählt der Landtag den Sozialdemokraten Karl Fellisch zum Ministerpräsidenten. Der kommunistische Aufruf zum Generalstreik wird kaum befolgt.

 

Die Arbeitslosigkeit ist im Deutschen Reich rapide angestiegen. Der Anteil beträgt im Oktober 19,1% (August 6,3%, September 9,9%).

 

Italien verfügt, dass an den Schulen in Südtirol nur noch italienisch gesprochen und nur noch in italienisch unterrichtet werden dürfe. Die deutsche Sprache dürfe nur noch in Nebenstunden unterrichtet werden. (Wasserburger Anzeiger Nr. 250/1923 vom 31. Oktober 1923)

 

 

Mit Hilfe des Artikels 48 der Weimarer Reichsverfassung wird die Landesregierung von Sachsen durch den Reichspräsidenten abgesetzt. Dies meldet die Wasserburger Zeitung. Die Absetzung richtet sich offensichtlich gegen die kommunistischen Minister. (Wasserburger Anzeiger Nr. 250/1923 vom 31. Oktober 1923)

Der Wasserburger Anzeiger meldet, dass in Traunstein beide Kinos geschlossen würden, da man die Leihgebühr für Filme nicht mehr bezahlen könne. (Wasserburger Anzeiger Nr. 250/1923 vom 31. Oktober 1923)

Im vergangenen Monat hatte der US-Dollar einen durchschnittlichen Kurs von 25,26 Milliarden Mark.

Die Chronik für November 1923

Die Inflation erreicht ihren Höhepunkt: Mitte des Monats erreicht der Wechselkurs des US-Dollars den Gegenwert von 4,2 Billionen Mark. Die Reichsregierung ordnet die Einführung der „Rentenmark“ an, die zu einem Kurs von 1 Rentenmark = 1 Billion Papiermark ausgegeben wird. Mit weiteren währungsstabilisierenden Maßnahmen wird eine dauerhafte Stabilität der deutschen Währung erreicht.

 

Trotz aller Umtriebe scheint das Vertrauen der Deutschen in die republiktragenden Parteien noch groß genug, sodass mit der Regierung Marx Ende November die größte Krise Deutschlands zu einem Ende gebracht werden kann. Denn auch Frankreich und Belgien lassen durchblicken, dass sie bereit sind, unter bestimmten Bedingungen das Ruhrgebiet zu räumen.

 

Die Chronik des Monats November:

 

Donnerstag, 1. November 1923

Nachdem in Sachsen eine neue Regierung gebildet worden ist (Minderheitskabinett unter dem Sozialdemokraten Karl Fellisch), hebt Reichspräsident Friedrich Ebert die Reichsexekutionsverordnung vom 29. Oktober, mit der Rudolf Heinze als Reichskommissar in Sachsen eingesetzt worden war, wieder auf.

 

Die SPD verlangt für ihren Verbleib in der Regierungskoalition, dass die Reichsregierung den militärischen Ausnahmezustand aufheben, schärfer gegen Bayern vorgehen, die Maßnahmen gegen Sachsen einstellen und für die Entlassung aller Rechtsradikalen aus der Reichswehr sorgen soll.

An der bayerisch-thüringischen Grenze sammeln sich bayerische Kampfverbände. Die Regierung Thüringens zieht daraufhin im Grenzgebiet Landespolizei zusammen.

Der französische Ministerpräsident Raymond Poincaré beschuldigt das Deutsche Reich, die eigene Zahlungsunfähigkeit absichtlich herbeigeführt zu haben.

Ein US-Dollar wird für 130 Milliarden Mark gehandelt.

 

Freitag, 2. November 1923

Städtische Polizei und Bevölkerung vertreiben in schweren Kämpfen die Separatisten aus Aachen, die am 21. Oktober die Rheinische Republik proklamiert hatten. Nach wenigen Tagen bricht die Herrschaft der Separatisten in der belgischen Zone zusammen. Sie werden von den Belgiern in die französisch besetzte Zone abgeschoben.

 

Da Reichskanzler Gustav Stresemann (DVP) die SPD-Forderungen vom Vortag nicht akzeptiert, kommt es zum Bruch der großen Koalition. Die sozialdemokratischen Minister treten zurück. Jedoch bleiben die übrigen bürgerlichen Regierungsmitglieder vorerst als sog. Rumpfkabinett im Amt.

 

Samstag, 3. November 1923

Berthold Viertels Filmregie-Debüt, “Nora – Ein Puppenheim”, ebenfalls in Berlin uraufgeführt, findet großen Anklang bei der Kritik, dies besonders wegen der Glanzleistung Olga Tschechowas, die mit der Nora ihre erste große Filmrolle spielt.

 

Um den wegen der galoppierenden Inflation riesigen Zahlungsmittelbedarf zu befriedigen, beschäftigt die Reichsbank 124 Druckereien. Die kleinste Banknote, die augenblicklich gedruckt wird, ist der 500-Millionen-Mark-Schein.

 

In London wird die Hochzeit des schwedischen Kronprinzen Gustav Adolf mit Lady Louise Mountbatten gefeiert. Der britische König Georg V. mit seiner Frau Victoria Mary und der schwedische König Gustav V. nehmen an den Feierlichkeiten teil. Es ist die zweite Ehe des Kronprinzen.

 

Konrad Adenauer, Oberbürgermeister von Köln, lehnt in einem Interview mit einer Brüsseler Zeitung die Bildung eines rheinischen “Pufferstaates” zwischen dem Deutschen Reich einerseits und Frankreich/Belgien andererseits entschieden ab.

 

Die am 22. Oktober in Sachsen eingerückten Reichswehrtruppen besetzen Chemnitz und Zwickau, wobei es zu blutigen Zusammenstößen kommt.

 

General Hans von Seeckt, Chef der Heeresleitung, unterbreitet Reichspräsident Friedrich Ebert seinen Plan eines Reichsdirektoriums, das mit außerordentlichen Vollmachten ausgestattet an die Stelle der Reichsregierung treten soll. Beide stimmen überein, dass Gustav Stresemann als Reichskanzler “nicht mehr möglich” sei.

 

Montag, 5. November 1923

 

Nach Berechnungen des Statistischen Reichsamtes ist der Lebenshaltungsindex gegenüber der Vorwoche um 620,5% gestiegen und hat damit den 98,5fachen Wert der Vorkriegszeit.

 

In Lausanne beginnt der Worowski-Prozess, den die Öffentlichkeit mit großem Interesse verfolgt. Waclaw W. Worowski, Mitglied der sowjetischen Delegation bei der Konferenz von Lausanne, wurde am 10. Mai dort ermordet. Hauptangeklagt ist der Russlandschweizer Moritz Conradi.

 

Wegen der enormen Brotpreiserhöhung kommt es in Berlin zu mehrtägigen Hungerkrawallen und Plünderungen von Bäckerläden, die sich z.T. auch gezielt gegen jüdische Geschäfte richten.

 

Wie in Sachsen am 22. Oktober, rückt nun auch in Thüringen die Reichswehr ein, wo eine SPD/KPD-Koalition regiert. Wegen der Umsturzpläne der Kommunisten gilt ihre Regierungsbeteiligung als verfassungwidrig.

 

Reichspräsident Friedrich Ebert und die Reichsregierung erlassen einen Aufruf an das Volk, in dem sie den Einsatz von Machtmitteln gegen jeden Putschversuch androhen. Gleichzeitig stellt Reichswehrminister Otto Geßler die öffentliche Beschimpfung der Reichswehr unter Strafe.

 

Der jüdische Theaterkritiker Alfred Döblin besucht die Premiere von Gerhart Hauptmanns Drama in zwei Akten „Hanneles Himmelfahrt“ mit Elisabeth Bergner in der Titelrolle. Es gefällt Döblin nicht so sehr, weil ihn die Bergner in dieser Rolle nicht so recht zu überzeugen wusste. Zeitgleich grassiert die Not auch im Scheunenviertel, wo viele ostjüdische Auswanderer leben, vor allem Galizier aus Polen, Litauen und der Ukraine. Diese leben hier Seite an Seite mit Zuhältern, Kleinkriminellen, Arbeits- und Obdachlosen. Not und Elend gibt es überall in Deutschland, das Berliner Scheunenviertel ist aber ihre Hochburg.

 

Am Vormittag versammeln sich tausende Arbeitslose. Sie haben gehört, dass Unterstützungsgelder ausgegeben werden sollen. Das passiert immer wieder an vielen Orten in Deutschland, heute aber haben sich auffällig gut gekleidete Männer unter die Wartenden gemischt, es handelt sich um Agitatoren auch der NSDAP, die Flugblätter verteilen. Als das Arbeitsamt mitteilt, dass für Unterstützungsleistungen kein Geld bereit stünde, verbreitet sich schnell das Gerücht, ein jüdischer Händler habe einen Arbeitslosen betrogen. Diese Behauptung verbreitet sich plötzlich wie ein Lauffeuer und die Masse ruft: „Schlagt die Juden alle tot!“

 

Der Wasserburger Anzeiger schreibt von „Plünderungen“ mit „teilweise antisemitischem Charakter“ (Wasserburger Anzeiger 256/1923 vom 8.11.1923). An zahlreichen Stellen seien Passanten mit jüdischem Aussehen angehalten worden, man habe sie „schwer mißhandelt und ihrer Wertgegenstände beraubt“. Aber auch aus Nürnberg wird von einer unbeschreiblichen Judenhetze berichtet

 

Dienstag, 6. November 1923

Eine ihrer ersten Filmrollen spielt Marlene Dietrich in Joe Mays Film “Tragödie der Liebe” (Uraufführung in Berlin). Es handelt sich um einen Vierteiler, die beiden ersten Teile hatten bereits am 7. Oktober Premiere. Der Film erntet großen Beifall bei Publikum und Kritik.

 

Mittwoch, 7. November 1923

Anlässlich des Jahrestages der Revolution wird in der Sowjetunion eine neue Flagge gehisst, die eine weiße Sonne auf rotem Feld zeigt, in deren Mitte der Sowjetstern mit Hammer und Sichel abgebildet ist.

 

Donnerstag, 8. November 1923

Ein Brot kostet heute 105 Milliarden Mark und ein Liter Vollmilch 26 Milliarden Mark.

 

Der zum „Generalstaatskommissar“ für Bayern ernannte Gustav von Kahr plant eigentlich einen „Marsch auf Berlin“. Er wolle nicht „Los von Berlin“. „Wir sind keine Separatisten“. Von Kahr behauptet auch: Die „Judenregierung“ in Berlin habe die Deutschen „in unerhörter Weise belogen“, in Berlin sei alles „verebert und versaut“ (diese Beleidigung bezieht sich auch auf den Namen des Reichspräsidenten Friedrich Ebert, SPD). Anders als in anderen Teilen Deutschlands darf das Parteiorgan der NSDAP, der „Völkische Beobachter“, in Bayern weiterhin erscheinen.

 

Am Nachmittag hält Gustav von Kahr im „Bürgerbraukeller“ in München eine Rede, in der er seine politischen Ziele für Bayern vor Mitgliedern der bayerischen Regierung und nationalistischen Honorationen darstellt. Da betritt der Führer der NSDAP, Adolf Hitler, den Saal, lässt ein Maschinengewehr auf die Menge richten, steigt auf einen Stuhl, , schießt mit einer Pistole in die Decke, um sich Gehör zu verschaffen, schreit, das Versammlungslokal sei von der SA umstellt, verkündet die „nationale Revolution“ und erklärt die bayerische und die Reichsregierung für abgesetzt. Er erzwingt von von Kahr, von Lossow und Seißer, dass sie sich an einer von Hitler geführten Reichsregierung beteiligen. Nach dem Vorbild von Mussolinis „Marsch auf Rom“ wolle man einen „Marsch auf Berlin“ organisieren und die Regierung stürzen.

Am folgenden Tag wird der „Hitlerputsch“ von Polizei und Reichswehr an der Feldherrnhalle gewaltsam niedergeschlagen. Hitler wird dann am 11. November verhaftet.

 

Freitag, 9. November 1923

Alarmiert durch den Hitlerputsch vom Vorabend überträgt Reichspräsident Friedrich Ebert dem Chef der Heeresleitung, General Hans von Seeckt, sowohl die Ausübung der vollziehenden Gewalt (seit 26. 9. beim Reichswehrminister) als auch den militärischen Oberbefehl (verfassungsmäßig beim Reichspräsidenten). Mit diesen umfassenden Vollmachten nimmt Hans von Seeckt eine quasi-diktatorische Stellung ein.

 

Am Morgen hängt eine riesige schwarz-weiß-rote Fahne vor dem Neuen Rathaus in München. Es werden Flugblätter verteilt: „Proklamation an das deutsche Volk!“

 

Als Reaktion auf den Hitlerputsch verfügt der bayerische Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr die sofortige Auflösung und das Verbot der NSDAP und der rechtsradikalen Verbände Oberland und Reichsflagge. Am 11. November wird diese Maßnahme auch auf die KPD Bayerns ausgedehnt. Alle sozialdemokratischen und kommunistischen Zeitungen und Zeitschriften werden verboten.

 

Der französische Botschafter François Marie Pierre de Margerie wird bei Reichskanzler Gustav Stresemann vorstellig, um die Beunruhigung seiner Regierung wegen des Hitlerputsches und der Gefahr einer Rechtsdiktatur im Deutschen Reich zum Ausdruck zu bringen.

 

Erstmals sendet der deutsche Rundfunk politische Nachrichten. Am 29. Oktober nahm der erste öffentliche Sender Radiostunde AG in Berlin den Betrieb auf.

 

g, 10. November 1923

Der Zollkonflikt zwischen der Schweiz und Frankreich um die Freizone im Genfer Hinterland verschärft sich, als Frankreich die Freizone einseitig aufhebt und seine Zollgrenze vorverlegt.

 

In den USA ist die Verwendung von “elektrischen Volksrednern” (Mikrophon) bei großen politischen Veranstaltungen unter freiem Himmel bereits relativ üblich.

 

Der Wasserburger Anzeiger titelt: „Kabinett Knilling gestürzt?“ und weist damit auf die unklare politische Situation in Bayern nach dem „Hitlerputsch“ von Donnerstag Abend hin. (Wasserburger Anzeiger 258/1923  vom 10.11.1923)

 

Teile der Bayerischen Regierung unter Führung des Ministers Dr. Schweyer setzen sich nach Regensburg ab und versuchen, die Regierungsgeschäfte von hier aus zu gestalten (Wasserburger Anzeiger 261/1923  vom 14.11.1923)

 

„Am 15.11. soll die Rentenmark kommen“. Diese Schlagzeile weckt bei vielen Menschen Hoffnung, dass die inflationäre Geldentwicklung bald ein Ende haben könne. (Wasserburger Anzeiger 258/1923  vom 10.11.1923)

 

Eine Semmel kostet heute 3,5 Milliarden Mark. (Wasserburger Anzeiger 258/1923  vom 10.11.1923)

 

„Ein angebliches Fräulein von Neuhaus, das sich als Geliebte eines Münchner Kohlengroßhändlers ausgab, mietete sich bei einem Privatiere in Starnberg ein, wohnte dort 6 Tage und verschwand unter Mitnahme von Gegenständen im Wert von 67,8 Billionen Mark.“ (Wasserburger Anzeiger 261/1923  vom 14.11.1923)

 

Sonntag, 11. November 1923

Der Kurs des US-Dollar liegt bei rund 631 Milliarden Mark.

 

Der britische Außenminister George Nathaniel Marquess Curzon of Kedlestone verurteilt den Separatismus im Deutschen Reich. Außenminister Lord Curzon teilt mit, die britische Regierung habe Frankreich und Belgien ersucht, die separatistische Bewegung in den besetzten Gebieten nicht weiter zu begünstigen.

 

In Berlin beginnt ein Buchdruckerstreik (bis 16. 11.), der eine eigene Brisanz wegen der davon betroffenen Banknotenproduktion erhält. General Hans von Seeckt verbietet die Arbeitsniederlegungen in den mit der Herstellung von Banknoten beschäftigten Betrieben.

 

Der frühere deutsche Kronprinz Wilhelm kehrt aus seinem niederländischen Exil (Doorn) ins Deutsche Reich zurück, wo er sich auf seinem Schloss in Oels niederläßt.

 

Der Wasserburger Anzeiger meldet, dass nach dem Putsch vom Freitag in München in Berlin die Lage „absolut ruhig“ sei, es gebe keinerlei Anzeichen für einen Putsch. (Wasserburger Anzeiger 259/1923  vom 11.11.1923)

 

In München hingegen sei die Situation noch sehr aufgewühlt. „Die Stimmung in der Bevölkerung ist noch immer außerordentlich erregt.“ (Wasserburger Anzeiger 260/1923  vom 13.11.1923)

 

Der Generalstaatskommissar ordnet die sofortige Auflösung der KPD an und verbietet die „sozialistische Presse“. (Wasserburger Anzeiger 260/1923  vom 13.11.1923)

Montag, 12. November 1923

In Speyer proklamiert Separatistenführer Franz Josef Heinz (Heinz-Orbis) die Pfälzische Republik.

 

Angesichts der drohenden Reichsexekution (Absetzung der Landesregierung) treten die beiden kommunistischen Minister der thüringischen Regierung zurück. Das Minderheitskabinett der Sozialdemokraten folgt ihnen schon am 7. Dezember.

 

Reichspräsident Friedrich Ebert ernennt den Bankier Hjalmar Schacht zum Reichswährungskommissar. Schacht soll vor allem auf die Währungskonsolidierung hinarbeiten. Sein Vetorecht gegenüber allen währungsrelevanten Maßnahmen der Minister verschafft ihm einen gewichtigen Einfluss auf die Reichsregierung.

 

Mit Wirkung vom 12. November 1923 werden die Postgebühren verzehnfacht:

So kostet ab sofort eine Postkarte im Ortsverkehr zwei, im Fernverkehr fünf Milliarden Mark, das Briefporto für einen 20 Gramm schweren Brief steigt im Ortsverkehr auf fünf Milliarden Mark und im Fernverkehr auf zehn Milliarden Mark. (Wasserburger Anzeiger 261/1923  vom 14.11.1923)

 

Ein US-Dollar wird für 630 Milliarden Mark gehandelt, eine Semmel kostet 4,5 Milliarden Mark (Wasserburger Anzeiger 261/1923  vom 14.11.1923)

 

Putschwirkungen nach dem Hitlerputsch vom 8./9. November 1923 traten in Wasserburg äußerlich kaum in Erscheinung. Zu Ausschreitungen sei es nirgends gekommen. Es hätten sich nur immer wieder kleine Gruppen gebildet, in denen über die Geschehnisse in München diskutiert worden sei. (Wasserburger Anzeiger 260/1923  vom 13.11.1923)

In Uffing bei Weilheim wird Adolf Hitler wegen des Putsches vom 8./9. November von der Polizeiwehr festgenommen. (Wasserburger Anzeiger 261/1923  vom 14.11.1923)

 

Dienstag, 13. November 1923

Carl Haensels Stück “Menschen ohne Tragödie” wird am Stadttheater Heidelberg uraufgeführt.

 

Frankreich stimmt zu, die Leistungsfähigkeit des Deutschen Reichs hinsichtlich der Reparationen durch Sachverständige zu überprüfen und deutsche Vertreter zu dieser Frage zu hören.

 

In einer Erklärung distanziert sich die bayerische Regierung vom Hitlerputsch, den sie als “Wahnsinnstag” bezeichnet.

 

Ein US-Dollar wird in Berlin für 840 Milliarden Mark gehandelt, in New York sogar für 2,2 bis 2,5 Billionen Mark. (Wasserburger Anzeiger 262/1923  vom 15.11.1923)

 

 

Mittwoch, 14. November 1923

Der französische Ministerpräsident Raymond Poincaré entgegnet der britischen Kritik an der separatistischen Bewegung im Deutschen Reich die französischen Besatzungsbehörden im Ruhr- und Rheingebiet hätten sich durchaus unparteiisch verhalten.

 

Der „bekannte Bankdirektor“ Hjalmar Schacht wird zum „Reichswährungskommissar“ ernannt. Er soll sich um alle „die Währungsfragen betreffenden“ Angelegenheiten kümmern. (Wasserburger Anzeiger 261/1923  vom 14.11.1923)

 

Am vergangenen Wochenende haben „Hitlerleute“ größere Mengen an Reichsbanknoten aus einer Münchner Druckerei entwendet. Der Wasserburger Anzeiger warnt vor der Annahme dieser Scheine, da es sich hierbei „um Falschgeld“ handle. (Wasserburger Anzeiger 261/1923  vom 14.11.1923)

 

In Berlin wird der US-Dollar für 1.260 Milliarden Mark (= 1,26 Billionen Mark) gehandelt, in New York für 3,3 bis 4 Billionen Mark. (Wasserburger Anzeiger 263/1923  vom 16.11.1923)

 

 

Donnerstag, 15. November 1923

Bei einem Eisenbahnunglück in der Nähe von Cannstatt (Stuttgart) sterben zehn Personen.

 

Im britischen Unterhaus bringt die oppositionelle Labour Party ein Misstrauensvotum gegen die Regierung ein, das sie mit der in ihren Augen (besonders in der Reparationsfrage) verfehlten Außenpolitik begründet. Das Misstrauensvotum wird vom Unterhaus mit 285 gegen 190 Stimmen abgelehnt.

 

Ende Oktober habe die „schwebende Schuld“ Reiches erstmals die „Trillionengrenze“ überschritten. Lag die Reichsschuld am 20. Oktober 1923 noch bei etwa 408 Billionen Mark, so wuchs sie Ende Oktober auf über sieben Trillionen (was 7.000 Billiarden Mark entspricht) Mark an. (Wasserburger Anzeiger 262/1923  vom 15.11.1923)

 

In Wien wird der Maschinenmeister Arthur Franz, „der wegen Ermordung seiner Frau vor den Geschworenen“ stand, freigesprochen. Das Gericht befand, er sei „das Opfer einer bitter enttäuschten und verhöhnten Liebe. Er hat es lange ertragen, daß seine Frau durch Vergnügungssucht, Leichtsinn und Untreue seine geduldige Liebe mit Füßen trat. Erst als sie sich ganz von ihm zurückzog und seine Bitte, sie möge wieder zu ihm kommen, mit der höhnischen Bemerkung: ‚Nein, Du kannst mir ja doch nichts bieten! Ich will leben und genießen, ich brauche einen reichen Freund’, zurückwies und obendrein Zweifel an der Vaterschaft seines Kindes in ihm erweckte, griff er zum Revolver, tötete sie und verletzte sich schwer.“ Seine Aussagen vor Gericht klängen „absolut glaubwürdig“. Deshalb sei er freigesprochen worden. (Wasserburger Anzeiger 266/1923  vom 20.11.1923)

 

Die Zahl der Typhuserkrankungen nimmt wieder deutlich zu. Er trete „heute so wie in der Vorkriegszeit gefahrdrohend“ auf. Seit Jahresbeginn seien allein in Prag 360 Typhusfälle zu verzeichnen. (Wasserburger Anzeiger 266/1923  vom 20.11.1923)

 

„Das bayerische Staatsministerium hat mit rückwirkender Kraft den Generalstaatskommissar ermächtigt, die Aburteilung von Zuwiderhandlungen“ gegen Anordnungen zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit Sondergerichten zu übertragen. (Wasserburger Anzeiger 262/1923  vom 15.11.1923)

 

„Die Ausweisung lästiger Ausländer insbesondere bedenklicher ostjüdischer Elemente“ soll fortgesetzt werden. (Wasserburger Anzeiger 262/1923  vom 15.11.1923)

 

Die angekündigte Rentenmark soll ab 16. November 1923 in den Umlauf gehen. (Wasserburger Anzeiger 262/1923  vom 15.11.1923)

 

In Berlin notiert der US-Dollar bei 2,52 Billionen Mark, in New York bei 3,3 bis 4 Billionen Mark. (Wasserburger Anzeiger 264/1923  vom 17.11.1923)

 

 

Freitag, 16. November 1923

In Berlin wird “The Kid”, der erste abendfüllende Spielfilm, von und mit Charlie Chaplin, gezeigt. Kritiker und Publikum sind gleichermaßen begeistert.

 

US-Präsident Calvin Coolidge will im Kongress eine 150-Millionen-Dollaranleihe (630 Millionen Rentenmark) für das Deutsche Reich beantragen, die dem Ankauf von Lebensmitteln in den USA dienen soll.

 

Der Mordprozess in Lausanne – der sowjetische Diplomat Waclaw W. Worowski wurde am 10. Mai dort ermordet – endet mit Freispruch. Daraufhin bricht die Sowjetunion ihre diplomatischen und Handelsbeziehungen zur Schweiz ab und untersagt sowjetischen Staatsbürgern und Firmen jeden Verkehr mit der Schweiz.

 

Vor der französischen Kammer gibt Ministerpräsident Raymond Poincaré zu, dass die Ruhrbesetzung bisher mehr gekostet als eingebracht habe.

 

In der sog. Schlacht am Ägidienberg (Siebengebirge) trägt die rheinische Abwehrfront den entscheidenden Sieg über die Separatistenverbände davon, die sich unter französischem Schutz in den Koblenzer Raum zurückziehen. Wenig später bricht die separatistische Herrschaft am Nieder- und Mittelrhein zusammen.

 

Die Deutsche Rentenbank beginnt, mit der Ausgabe der neuen Rentenmark, für die der Einheitskurs eine Billion Papiermark = eine Rentenmark gilt. Gleichzeitig wird die Notenpresse für die Papiermark stillgelegt. Diese Währungsumstellung leitet die Rückkehr zu stabilen Währungsverhältnissen im Deutschen Reich ein.

 

Die Polizeistunde in München, die seit vergangener Woche sehr streng gehandhabt wurde, wird wieder gelockert: So schließen Gasthäuser ab jetzt um 22.30 Uhr, der Straßenverkehr ist ab 23 Uhr verboten. Theateraufführungen werden wieder zugelassen, Tanz jedoch nicht. (Wasserburger Anzeiger 263/1923  vom 16.11.1923)

 

An der Berliner Wertpapierbörse notiert der US-Dollar bei 2,52 Billionen Mark, in New York weiterhin zwischen 3,3 und 4 Billionen Mark. (Wasserburger Anzeiger 265/1923  vom 18.11.1923)

 

Die Inflationsrate für die vergangene Woche betrug 121%.

 

Samstag, 17. November 1923

Die Reichsregierung in Berlin protestiert gegen die Unterstützung der Separatisten im besetzten Ruhr- und Rheingebiet und der Pfalz durch die französische Regierung.

 

Die Meldung, dass die neue Rentenmark im Gegenwert von 600 Milliarden Mark  ausgegeben werden soll, wird schnell wieder verworfen. Später wird der Wechselkurs von einer Rentenmark auf 1 Billion Papiermark festgesetzt (Wasserburger Anzeiger 264/1923  vom 17.11.1923)

 

Im Ältestenrat des Reichstags erfährt Reichskanzler Stresemann eine herbe Niederlage, sodass gemutmaßt wird, dass seine Tage als Reichskanzler „gezählt“ seien. (Wasserburger Anzeiger 264/1923  vom 17.11.1923)

 

Ein Liter Milch kostet heute 108 Milliarden Mark. Der Wasserburger Anzeiger schreibt hierzu: „Was die Rentenmark dem einen Volksteil geben wird, wird sie dem andern nehmen: die Möglichkeiten zu einem menschenwürdigen Dasein.“ (Wasserburger Anzeiger 264/1923  vom 17.11.1923)

 

In Berlin notiert der US-Dollar heute bei 2,52 Billionen Mark, in New York bei 4 bis 4,5 Billionen Mark; eine Semmel kostet heute 17 Milliarden Mark, ein Standardbrief im Fernverkehr 20 Milliarden Mark. (Wasserburger Anzeiger 266/1923  vom 20.11.1923)

 

Meldungen über Geldfälschungen im großen Stil reißen nicht ab: So informiert die „Falschgeld-Hauptstelle“ in München, dass ihr der erste „gefälschte Billionenschein“ eingeliefert worden sei. Man habe eine „echte“ 500-Millionen-Reichsbanknote mit einem blauen Überdruck auf eine Billion „aufgewertet“. Tatsächlich hatte die Reichsbank mehrfach Banknoten durch Überdruck korrigiert, was Fälscher sich in großem Rahmen zu Nutze machten. (Wasserburger Anzeiger 266/1923  vom 20.11.1923)

Der italienische Ministerpräsident Benito Mussolini hielt im Senat in Rom eine längere Rede, in der sagte, dass Italien mit Großbritannien darin übereinstimme, dass es keine neuen Besetzungen von deutschem Gebiet geben dürfe und man dies auch nicht androhen dürfe. Italien beantrage die Räumung der Ruhr, Herabsetzung der Reparationen und ein Moratorium. Er verspreche Deutschland Unterstützung, das deutsche Volk könne nicht unterdrückt werden. (Wasserburger Anzeiger 266/1923  vom 20.11.1923)

 

Die Entspannung der allgemeinen Lage in Bayern führte dazu, dass die allgemeine Polizeistunde (samstags 1 Uhr morgens, ansonsten 24 Uhr) galt. Die Straßensperren wurden aufgehoben. (Wasserburger Anzeiger 266/1923  vom 20.11.1923)

 

Die hohen Fahrpreise bei der Bahn haben zu einem großen Verkehrsrückgang geführt. So wird aus Weilheim gemeldet, dass „ein Zug von hier in Richtung nach Garmisch“ wegfuhr, „in dem nicht ein einziger Passagier saß“. (Wasserburger Anzeiger 267/1923  vom 21.11.1923)

 

Sonntag, 18. November 1923

Bei den Bremer Bürgerschaftswahlen verzeichnen die Kommunisten die höchsten Gewinne (18 statt bisher 6 Mandate). Auch die Deutschnationalen gewinnen vier Mandate hinzu (12 statt bisher 8), während die Sozialdemokraten starke Verluste hinnehmen müssen (36 statt bisher 51). Die Wahlen zum Danziger Volkstag zeigen eine vergleichbare Tendenz.

Die Notenbank gibt bekannt, den Wechselkurs der neuen Rentenmark zur Papiermark noch nicht bekannt zu geben. (Wasserburger Anzeiger 265/1923  vom 18.11.1923)

 

Die Notenpresse für die Papiermark wird endgültig stillgelegt. (Wasserburger Anzeiger 265/1923  vom 18.11.1923)

 

Die Post teilt mit, dass die Postgebühren ab Dienstag, den 20.11.1923 erneut verdoppelt werden müssen. (Wasserburger Anzeiger 265/1923  vom 18.11.1923)

 

 

Montag, 19. November 1923

In Budapest werden Béla Bartóks “Tanzsuite” und Zoltan Kodálys “Psalmus hungaricus” mit großem Erfolg uraufgeführt. Der Dirigent ist Ernst von Dohnányi. Die beiden bedeutenden ungarischen Komponisten erringen damit internationalen Ruhm.

 

Der spanische König Alfons XIII. trifft zu einem Staatsbesuch in Rom ein.

 

Reichskanzler Stresemann überzeugt in einer viel beachteten Rede die Abgeordneten seiner Partei, der DVP, für seine Politik und wendet damit zunächst ein Misstrauensvotum ab. (Wasserburger Anzeiger 267/1923  vom 21.11.1923)

 

Dienstag, 20. November 1923

Kommunisten, Sozialdemokraten und Deutschnationale kritisieren während der Reichstagsdebatte die Reichsregierung in schärfstem Ton und fordern den Regierungswechsel. Wegen kommunistischer Tumulte muss die Sitzung vorzeitig geschlossen werden.

 

Nach dem formellen Rücktritt bleibt die österreichische Regierung unter Bundeskanzler Ignaz Seipel unverändert im Amt. Die regierende Christlichsoziale Partei hatte bei den Nationalratswahlen (21. 10.) die Mehrheit gewonnen. Nachfolger des betagten Wiener Bürgermeisters Jakob Reumann wird der ebenfalls der sozialdemokratischen Partei angehörende Karl Seitz.

 

Der Staatsgerichtshof in Leipzig reklamiert „mit allem Nachdruck“ seine Zuständigkeit im Prozess im Zusammenhang mit dem „Ludendorff-Hitlerputsch“. (Wasserburger Anzeiger 266/1923  vom 20.11.1923)

 

40 Tonnen deutsche Banknoten hat ein Luxemburger Kaufmann für 1.300 Francs erworben und nach Frankreich verschafft. Das Geld war in Banknoten zu einer, zwei, fünf, zehn und zwanzig Mark gestaffelt. Das Geld wurde in vier Waggonladungen nach Frankreich geschafft. Dort soll es zu Feinpapier verarbeitet werden. (Wasserburger Anzeiger 266/1923  vom 20.11.1923)

 

Der Einheitskurs 4,2 Billionen Papiermark = 4,2 Goldmark = 4,2 Rentenmark = ein US-Dollar wird von der Reichsbank für alle deutschen Börsenplätze verbindlich festgelegt und vorerst nicht geändert.

 

Mittwoch, 21. November 1923

Die Botschafterkonferenz teilt der Reichsregierung ihren Beschluss mit, die im Versailler Vertrag (1919) vorgesehene Militärkontrolle nach vorübergehender Unterbrechung unverzüglich wiederaufzunehmen.

 

„Motorradfahrerunfall. Heute mittags 1 Uhr lenkte ein Kraftfahrer mit Hintermann von der Schmiedzeile kommend eben in die Bruckgasse ein, als ein Pferdegespann aus letzterer kam. Um auszuweichen, fuhr der Kraftfahrer gegen den Dempfladen, dessen große Auslagscheibe noch knapp den Anprall der Lenkstange aushielt, und stürzte. Er erlitt dabei einen starken Bluterguß aus Mund und Nase, und Kleiderzerreißungen, war auch betäubt, während sein Gefährte nur wenig blutete. Herr Sanitätsrat Giehrl und Herr Dr. Bauer nahmen sich im Irlbeckladen des Verletzten an.“ (Wasserburger Anzeiger 268/1923  vom 22.11.1923)

 

Donnerstag, 22. November 1923

Auf die Reden von Reichskanzler Gustav Stresemann und Reichsfinanzminister Hans Luther reagieren alle nicht an der Minderheitsregierung beteiligten Reichstagsparteien mit heftigen Angriffen. KPD, SPD und DNVP stellen jeweils eigene Misstrauensanträge gegen die Reichsregierung.

 

Freitag, 23. November 1923

Da Reichskanzler Gustav Stresemann es ablehnt, “auf der Hintertreppe abgelehnter Misstrauensanträge” weiter zu regieren, fordert er vom Reichstag ein Vertrauensvotum, das mit 231 Nein-Stimmen (KPD, SPD, DNVP) gegen 156 Ja-Stimmen (DVP, Zentrum, DDP) abgelehnt wird. Damit ist Stresemanns so genanntes Rumpfkabinett gestürzt. Es ist das erste Mal in der jungen Weimarer Republik, dass eine Regierung auf direktem parlamentarischem Wege gestürzt wird. (Wasserburger Anzeiger 271/1923  vom 25.11.1923)

 

Als Inhaber der vollziehenden Gewalt erlässt General Hans von Seeckt ein reichsweites Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands, der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei und der Deutschvölkischen Freiheitspartei sowie aller Organisationen dieser Parteien.

 

Die Reparationskommission beginnt ihre Beratungen über die deutsche Leistungsfähigkeit. Auch eine deutsche Delegation nimmt teil, die auf das von Frankreich zu verantwortende Elend im Deutschen Reich hinweist. Am 30. November beschließt die Reparationskommission, zwei Sachverständigenausschüsse zu bilden, die das Budget und die Kapitalausfuhr des deutschen Reichs untersuchen sollen.

 

Samstag, 24. November 1923

Auf allen Kraftpostlinien im Deutschen Reich beträgt der Kilometerfahrpreis 40 Milliarden Papiermark.

 

Sonntag, 25. November 1923

Das am 9. November in Bayern erlassene Verbot sozialdemokratischer Zeitungen und Zeitschriften wird aufgehoben.

 

Für das gesamte Reichsgebiet werden aber sämtliche Organisationen und Einrichtungen der KPD durch General von Seeckt verboten. (Wasserburger Anzeiger 271/1923  vom 25.11.1923)

 

In Traunstein steht die Großökonomensfrau Anna Schwangler vor Gericht, weil sie durch ihren Geliebten ihren Ehemann umbringen ließ. „Die Hauptverhandlung gegen dieses Schandweib wird in nächster Zeit stattfinden.“ (Wasserburger Anzeiger 271/1923  vom 25.11.1923)

 

Das Bayerische Generalstaatskommissariat teilt mit, dass das Auslieferungsersuchen den Staatsgerichtshof des Reiches in Leipzig abgelehnt wird, weil die Verfahren gegen die Putschisten des 8. und 9. November bereits in Bayern anhängig seien. (Wasserburger Anzeiger 272/1923  vom 27.11.1923)

Montag, 26. November 1923

Adam Stegerwald, Führer der Christlichen Gewerkschaften und Reichstagsabgeordneter für das Zentrum, führt im Auftrag von Reichspräsident Friedrich Ebert Verhandlungen über die Regierungsneubildung. Seine Koalitionsgespräche mit der Deutschnationalen Volkspartei haben keinen Erfolg.

 

Polen schließt einen Handelsvertrag mit Großbritannien.

 

Seit dem 15. November, also seit der Einführung der „Rentenmark“, hält sich der Kurs stabil. 1 US-Dollar entspricht weiterhin 4,20 Rentenmark oder 4,2 Billionen Papiermark. (Wasserburger Anzeiger 271/1923  vom 25.11.1923)

 

Dienstag, 27. November 1923

Der Parteiausschuss der SPD lehnt jede politische und organisatorische Vereinbarung mit der KPD ab, weil diese den gewaltsamen Umsturz der republikanischen Verfassung betreibe.

 

Mittwoch, 28. November 1923

Aus verschiedenen europäischen Ländern treffen Lebensmittelspenden für die hungernde deutsche Bevölkerung (besonders der Städte) ein.

 

Der Vorsitzende der Deutschnationalen Volkspartei, Oskar Hergt, fordert von Reichspräsident Friedrich Ebert die Reichstagsauflösung und Ausschreibung von Neuwahlen. Ohne auf dieses Ansinnen einzugehen, beauftragt Ebert Zentrumsführer Wilhelm Marx mit der Regierungsbildung.

 

Mit Rücksicht auf die jüngsten Ereignisse wird überlegt, dauerhaft eine Abteilung der Reichswehr oder der Landespolizei dauerhaft nach Rosenheim zu verlegen. (Wasserburger Anzeiger 273/1923  vom 28.11.1923)

 

Donnerstag, 29. November 1923

Die Reichspost kündigt an, Briefmarken künftig nur noch in Rentenmark auszugeben. Damit scheint die Einführung der Rentenmark endgültig gelungen zu sein. (Wasserburger Anzeiger 274/1923  vom 29.11.1923)

 

Freitag, 30. November 1923

Nach schwierigen Verhandlungen gelingt dem Vorsitzenden der Zentrumspartei, Wilhelm Marx, die Bildung einer Regierung der bürgerlichen Mitte, der neben dem Zentrum die DDP und DVP angehören. Die Regierung wird von der Bayerischen Volkspartei und dem Bayerischen Bauernbund toleriert. Wie das am 23. November gestürzte “Rumpfkabinett” Gustav Stresemanns ist auch dieses Kabinett eine Minderheitsregierung.

 

Durch ein Abkommen des Zechenverbands und der Arbeitnehmerverbände im besetzten Ruhrgebiet werden Arbeitszeit und Löhne geregelt. In der Gutehoffnungshütte führt der Generaldirektor Paul Reusch den Zehnstundentag ein.

 

Im Landestheater Karlsruhe wird Leo Weismantels “Der Totentanz 1921”, ein “Spiel vom Leben und Sterben unserer Tage” uraufgeführt.

 

Wie in vielen anderen Gemeinden beendet auch die Stadt Wasserburg die Ausgabe von Brotkarten für die Bevölkerung. Die Währung sei stabil und daher seien Brotkarten niocht länger erforderlich. (Wasserburger Anzeiger 275/1923  vom 30.11.1923)

 

PETER RINK