Eine Einschätzung von Bürgermeister Michael Kölbl, von Peter Rink vom Heimatverein und von Stadtarchivar Matthias Haupt
Am heutigen Tag wird das Grundgesetz 75 Jahre alt. Es ist ein Garant für Freiheit, Demokratie, Menschenwürde und Vielfalt, wie bereits Artikel 1 ausdrucksvoll beschreibt – „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Gerade in der heutigen Zeit sind die Inhalte des Grundgesetzes wichtiger denn je. Bürgermeister Michael Kölbl, der Historiker und Vorsitzende des Heimatvereins Peter Rink (Bild links) und Stadtarchivar Matthias Haupt (Bild rechts) berichten über ihre Einschätzungen zur Verfassungsschöpfung und Staatsgründung.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges habe in Deutschland eine Zeitenwende stattgefunden. Das Land hatte einen furchtbaren Krieg über die Welt gebracht und musste für diesen teuer bezahlen. Trotzdem bedeutete das Kriegsende für die Menschen in Deutschland zweierlei. „Einerseits hatte der Krieg die Vernichtung der bisherigen Ordnung zur Folge, andererseits war es die Geburtsstunde für ein freiheitlich, demokratisches Leben“, erklärt Peter Rink.
Am 7. September 1949 trat der erste Deutsche Bundestag zu seiner konstituierenden Sitzung in Bonn zusammen, seither gilt dieser Tag als der Gründungstag der Bundesrepublik Deutschland. Am 12. September wurde Theodor Heuß zum Bundespräsidenten und am 15. September Konrad Adenauer zum Bundeskanzler gewählt. Anfang Oktober verurteilte die UdSSR die Gründung der Bundesrepublik Deutschland als einen Bruch bestehender Verträge und hat am 7. Oktober die DDR gegründet.
Bürgermeister Michael Kölbl beschreibt, dass die Menschen in Wasserburg vier Jahre nach Kriegsende die Werte Wohnen, Essen und Arbeit weit mehr beschäftigt haben als das Grundgesetz. Wasserburg war eine Stadt mit sehr vielen Flüchtlingen, weshalb beispielsweise in den 50er Jahren Wohnraum am Burgerfeld geschaffen wurde. Nach Kriegsende waren zirka 20.000 Flüchtlinge in den damaligen Altlandkreis gekommen, welche keineswegs willkommen waren. „Die Einheimischen haben sich teilweise aufgeregt, wenn sich Flüchtlinge in Warteschlangen eingereiht haben“, führt Rink aus. 1949 habe man dann eingesehen, dass diese Menschen da bleiben werden. Im Stadtarchiv gibt es ein Bild von einem Festzug, der zusammen mit Einheimischen und Flüchtlingen stattfand (siehe Foto). Peter Rink sagte weiter, dass das Grundgesetz und die Gründung der Bundesrepublik Deutschland die Wasserburger nicht so interessiert habe. Bei einer damals durchgeführten Umfrage war es 40 Prozent der Befragten egal, nur 21 Prozent zeigten sich interessiert.
Das Grundgesetz ist heute wichtiger denn je. Welcher Artikel ist für Michael Kölbl, Peter Rink und Matthias Haupt der Wichtigste? Für alle drei ist es eindeutig Artikel 1 – „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“. Und Peter Rink ergänzt das Zitat von Marcel Reif, das dieser anlässlich der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages am 31. Januar 2024 formulierte: „Sei ein Mensch“, das sei die wichtigste Botschaft. Für Michael Kölbl gehört der Artikel 1 mit Artikel 20 zusammen – „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt“. Starker Individualismus bedürfe einer starken Demokratie. Ähnlich sieht es auch Matthias Haupt. „Der Mensch soll im Vordergrund sein, aber dazu gehören auch Pflichten“. Auch müsse dieser Grundsatz geschützt werden und dafür gebe es den Rechtsstaat. Peter Rink sieht genau in dieser Thematik eine „drohende Gefahr“. Vor dem Hintergrund der Angriffe auf Politiker in den letzten Tagen habe diese Gefahr eine reelle Grundlage.
„Man sieht, dass die Verführung zu totalitärem Denken auch bei Politikern aus der Mitte der Gesellschaft vorhanden ist “, so Rink. Hier müsse man seiner Meinung nach wachsam sein, damit niemand den freiheitlichen Rechtsstaat aushöhlen könne. Freiheit heiße auch Verantwortung. Bürgermeister Michael Kölbl ergänzte, dass es sehr wichtig sei, den demokratischen Umgang vorzuleben.
Am 7. Oktober findet im Gimplkeller ein Vortrag von Peter Rink zum Thema 75 Jahre Bundesrepublik Deutschland statt. Rink geht neben der Darstellung der allgemeinem Entwicklung, die 1949 zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland führte, auch den Fragen nach, wie das Leben vor 75 Jahren hier in der Region aussah und wie man die Gründung des neuen Staates im Wasserburger Raum wahrnahm.
TANJA GEIDOBLER / Bilder: Geidobler/Stadtarchiv Wasserburg
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