Mutiges Plädoyer für Akzeptanz von unterschiedlichen Lebensentwürfen überzeugend auf die Bühne gebracht
Am Sonntag Abend stand bei den Wasserburger Theatertagen das Einpersonenstück „Dienstags bei Kaufland“ auf dem Programm. Unter der Regie von Thorsten Krohn, der dem Wasserburger Publikum bereits gut bekannt ist, spielte Andreas Neumann die Rolle der Roberta.
Worum geht es in diesem Stück? Jeden Dienstag findet das gleiche Szenario statt. Robert, der sich als Frau fühlt und sich deshalb gerne als Frau kleidet, fraulich verhält, ja selbst beim Bücken spielt Andreas Neumann die Frau perfekt, ist nunmehr Roberta und möchte es gerne sein. Schon als Kind habe er in der Küche gerne geholfen, auch das Wäsche waschen habe immer Spaß gemacht.
Und jeden Dienstag kümmert sich Roberta um ihren Vater, nachdem ihre Mutter vor Jahren verstorben ist.
Dazu besucht Roberta ihren Vater in der elterlichen Wohnung. Andreas Neumann mimt Roberta höchst überzeugend bis in die Feinheiten hinein. In der ersten Szene schaut Andreas Neumann in einen dreiflügeligen Spiegel und man erkennt die Figur von hinten und man kann sein Gesicht im Spiegel recht gut erkennen. Dabei fällt auf, dass man an der Körperhaltung von Andreas Neumann (von hinten) sehr genau spüren kann, dass es sich um einen Mann handelt, wenngleich die Bekleidung mit schwarzem BH, schwarzem Höschen und halterlosen schwarzen Nylonstrümpfen sowie hochhackigen Schuhen durchaus feminin anmutet, schaut man aber in den Spiegel und erblickt das Gesicht des Schauspielers, hat dieses durchaus deutliche feminine Züge. Das alles wirkt sehr gelungen und fein komponiert.
Der Vater, der nur durch einen stummen Diener dargestellt wird, an dem des Vaters Kleidungsstücke hängen, kann aber die Verwandlung seines Sohnes Robert in seine Tochter Roberta nicht akzeptieren und verweigert ihr die Anrede Roberta, nennt sie hartnäckig Robert.
Andreas Neumann schließt seine feminine Bekleidung ab, er zieht ein Minikleid über, setzt sich eine Perücke auf und stellt sich als Frau dar. Dann sagt Roberta über ihren Vater: „Er sieht mich immer an, als wär’s das erste Mal!“ Und kurz darauf: „Alles sieht einen an, die Leute, die Bäume, die Steine!“
Es ist dieses Gefühl, das Roberta hier mitteilen will, dass man beobachtet, gemustert, schließlich taxiert wird. Ist es ausschließlich das Gefühl von Roberta oder hat das einen realen Hintergrund? Diese Frage bleibt unbeantwortet, das Publikum soll sie selbst beantworten. Auf jeden Fall fühlt sich Roberta die ganze Zeit gemustert von den Menschen, wenn sie mit ihrem Vater im Kaufland einkaufen geht. „Sie mustern mich, fliehen dann mit dem Blick!“ Der Vater schämt sich für seine Tochter und will seinen Sohn zurück, das sagt Roberta häufiger an diesem Abend, auch dass er nie neben ihr hergehe, sondern immer zurückbleibe. Im Laufe des Stücks wiederholt Roberta laut die Gefühle ihres Vaters: „Gebt mir meinen Robert wieder zurück!“
Nur der Kassierer im Supermarkt scheint ein Herz für sie zu haben und sagt „Guten Tag“, worauf Roberta antwortet: „Guten Tag, die Herren!“ Dennoch verkommt der Einkauf im Kaufland zu einem Spießrutenlauf für Roberta. Die Frage, ob dieser Spießrutenlauf von Roberta nur so empfunden wird oder ob er real ist, bleibt ebenfalls unbeantwortet.
Zurück in des Vaters Wohnung, beschreibt Andreas Neumann als Roberta die einzelnen Zimmer. Alle werden sie von Roberta geputzt, bis auf eines. Dieses Zimmer betritt Roberta nicht. Sie vermutet nur, dass es dort durchtbar schmutzig sein müsse, es ist Roberts altes Zimmer. Sie möchte nicht, dass diese Erinnerung an ihr früheres Leben sie jetzt noch durcheinander bringt.
Und damit ist dieses Stück beim Thema der Geschlechterdiskussion der Gegenwart: Wieviel Akzeptanz und Toleranz für andere Lebensentwürfe hat unsere Gesellschaft. Ist das Gefühl der Ausgrenzung und des Beobachtens ein Problem der Beobachter oder des Beobachteten oder des sich Beobachtet-Fühlenden? Wo verlaufen die Grenzlinien zwischen Toleranz, fehlender Toleranz und Ausgrenzung?
Es ist eine schwierige Debatte, die aber Seelen wundscheuern kann, wie das Publikum es am Beispiel von Roberta/Robert sehr gut nachvollziehen kann.
Am Schluss des Stückes tötet der Vater sein Kind, das ihn versorgt. Damit dürfte die „kleine Wohnung, in der es ein wenig müffelt“ über die Akzeptanz gesiegt haben.
Zum Schluss wird noch einmal Hervé Vilards „Capri, c’est fini“ eingespielt und Roberta sagt, sterbend schon, „es gibt Momente, wo ich nicht weiß, was ich zu tun habe.“
Andreas Neumann spielt die Roberta, den Robert, in einer eindringlichen, höchst überzeugenden Weise. Ja, selbst Feinheiten in den Unterschieden von Gestik und Mimik bei Männern und Frauen arbeitet Andreas Neumann höchst gekonnt und sehr präzise heraus. Dem Publikum in seiner Nachdenklichkeit dürfte nach diesem Stück sicher noch mancher Gesprächsstoff geliefert worden sein.
PETER RINK / Fotos: Christian Flamm
Ich selbst, schon etwas älter, habe im Laufe der Zeit Menschen mit den verschiedensten Lebensentwürfen kennen gelernt. Diese wurden, auch wenn man sie selbst nicht nachvollziehen konnte, vollkommen akzeptiert.
Nicht mein Entwurf, aber alles gut.
Seit den 2000ern wurden diese Lebensentwürfe gesetzlich mehr und mehr geschützt, Heirat, Adoption usw. Man kann also sagen, noch nie waren verschiedene Entwürfe so anerkannt wie heute.
Da wir aber nunmehr seit zwei / drei Jahren mit der Aufforderung zur Akzeptanz mehr oder weniger permanent bombardiert werden, fürchte ich, dass diese mehr und mehr wieder schwinden wird. (Alles was erzwungen werden soll, stößt naturgemäß auf Ablehnung)
Ob man sich damit letztendlich nicht einen Bärendienst erweist, bleibt abzuwarten.