Verhandlung wegen des illegalen Einschleusens von 140 Personen vor dem Landgericht Traunstein fortgesetzt

Der Prozess gegen einen 26-jährigen Syrer vor dem Landgericht Traunstein wurde gestern fortgesetzt. Am zweiten Verhandlungstag stand die Zeugenaussage einer Frau im Mittelpunkt, die für den Angeklagten mindestens 20 Schleuserfahrten durchgeführt haben soll, teilweise unter Bedingungen, die für die Insassen der Fahrzeuge lebensgefährlich gewesen sein dürften.

„Wir sind alle Subunternehmer“, erklärte die 39-jährige Zeugin, die in Österreich eine Haftstrafe verbüsst und deshalb von der Polizei in Fußfesseln vorgeführt wurde. Sie könne nicht verstehen, warum sie persönlich erscheinen müsse, man könne sie doch auch durch eine Videokonferenz vernehmen, erklärte sie der Vorsitzenden Richterin Christina Braune. Die Richterin belehrte sie dahingehend, dass das deutsche Recht nun einmal eine persönlich vorgetragene Zeugenaussage verlange. Sie sei Österreicherin, spreche aber kein deutsch. Deshalb wurde ihr eine Dolmetscherin zugewiesen, die ihre Aussagen aus dem Türkischen übersetzte. Ursprünglich hatte sie beantragt, dass der Angeklagte bei ihrer Zeugenaussage nicht anwesend sei, weil sie um ihre körperliche Unversehrtheit fürchtete, aber an diesem Tage war sie dann doch einverstanden, auch vor dem Angeklagten auszusagen. Er habe sie mit insgesamt 21 Schleusungsfahrten beauftragt, die sie allesamt im August 2023 durchgeführt habe. Anfänglich sei sie mit ihrem eigenen Pkw gefahren, aber nach einem Unfall mit Totalschaden habe sie beim Automobilclub ÖAMTC einen Pkw gemietet und dann habe ihr der Angeklagte ein Fahrzeug gekauft, auf ihren Namen zugelassen und die Kosten von ihrem Schleuserlohn abgezogen. Sie habe für jede Person 200 bis 300 Euro erhalten, wenn sie den Flüchtling von Linz nach Bayern gebracht habe und 300 bis 400 Euro, wenn sie mit den Geflüchteten von Wien nach Bayern gefahren sei.

Wenn diese in Bayern angekommen seien, habe man ein „Ankunftsvideo“ erstellt und dem Auftraggeber geschickt. Die Auftraggeber kassierten so 13.000 bis 14.000 Euro pro geflüchteter Person und verteilten dann an die jeweiligen Subunternehmer Geld nach eigenem Ermessen. Sie selbst habe nur mit dem angeklagten Kontakt gehabt. Er habe ihr auch gesagt, wo sie die Geflüchteten abholen solle und wo sie sie ausladen dürfe. Der Auftraggeber beschäftige daneben auch noch Scoutfahrer, die an den Grenzen auskundschafteten, ob, und wenn ja, wo es eine Grenzkontrolle gebe und teilten den Fahrern dann mit, über welchen Grenzübergang sie die Geflüchteten bringen sollten.

Am Zielort machte man das Ankunftsvideo, schickte dies dem unmittelbaren Auftraggeber, das war in ihrem Fall immer der Angeklagte und fuhr wieder zurück. Sie habe aber einen Teil ihres Schleuserlohns nicht erhalten, sagte sie, insgesamt 22.000 Euro habe er ihr vorenthalten.

Das Gericht wollte von der Zeugin wissen, wer die Scoutfahrer ausgewählt und bezahlt habe und erfuhr immer nur wieder den Spitznamen des Angeklagten. Ihr Fahrzeug sei auch von anderen Fahrern benutzt worden. Der Angeklagte habe von ihr den Zweitschlüssel verlangt. Sie habe auch einmal seine Frau kennengelernt, habe sogar einmal bei ihr übernachtet. Ob sie mit der Frau des Angeklagten über die Schleusungsfahrten gesprochen habe, daran konnte sich die Zeugin allerdings nicht erinnern.

Dann wollte das Gericht wissen, ob der Angeklagte auch einmal persönlich gefahren sei. Das verneinte die Zeugin. „Er ist nie selber gefahren, er hatte immer Fahrer, er hatte so viele Fahrer“, rief sie dem Gericht zu und wirkte fast verzweifelt. Die Geflüchteten seien in Pkw oder Kleinbussen transportiert worden, dabei seien außer dem Fahrer bis zu neun Personen transportiert worden, teilweise auf dem Boden kauernd, Kleinkinder auch nicht selten unangeschnallt auf dem Schoß der Mutter. Im Kofferraum der Pkw seien bis zu drei Personen eingepfercht gewesen, kleine Kinder auch immer wieder im Fußraum der Fahrzeuge.

Der Angeklagte habe ihr ein Arbeitshandy übergeben, auf dem die Telefonnummer gespeichert gewesen sei, an die sie das Ankunftsvideo übermitteln sollte.

Nachdem der Angeklagte am ersten Verhandlungstag den gemeinsamen Vorschlag von Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht, der im Rahmen eines Rechtsgespächs erzielt worden war, abgelehnt hatte, stand nunmehr die Beweisführung im Mittelpunkt der Verhandlung und da nimmt es nicht wunder, dass die Verteidigung mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln versuchte, die Glaubwürdigkeit dieser Zeugin zu erschüttern. Doch die Aussagen der Zeugin wogen schwer.

Im Anschluss an diese Vernehmung wurden noch Tonaufnahmen, die dem Gericht vorlagen, von einem Sachverständigen für den kurdischen Dialekt ausgewertet und die Aussagen eines Polizisten, der bei der Festnahme des Angeklagten beteiligt war, ausgewertet. Die Identität aller Geflüchteten konnte allerdings nicht festgestellt werden.

14.000 Euro für eine einzige Schleusung

Was am Ende dieses Prozesstages blieb, waren viele Fragen. Wenn Menschen tatsächlich 14.000 Euro für eine Flucht nach Deutschland bezahlen, wieviele an der Schleusung Beteiligten verdienen an diesem Geschäftsmodell? Und wofür? Da werden unter anderem Fahrzeuge gekauft, Wohnungen angemietet, Scoutfahrer und Schleusungsfahrer entlohnt. 

Auf jeden Fall konnte man erkennen, dass seit dem Sommer 2023, als die Bundesrepublik Deutschland, ebenso wie andere Mitgliedsstaaten der EU, wieder damit anfing, auch an den Binnengrenzen in der EU Kontrollen durchzuführen, vermehrt Schleuser gefasst und vor Gericht gestellt werden können.

Am Freitag wird der Prozess fortgesetzt. Wir  berichten weiter.

 

RP