Was ist in jener Nacht im August 2021 in einer Wasserburger Gaststätte passiert?
Ein 30-jähriger Angeklagter aus Wasserburg, der einen anderen Mann in einer Wasserburger Gaststätte geschlagen haben soll, berichtete gestern vor dem Amtsgericht Rosenheim, dass der Geschädigte gerne Frauen belästige und durch sexistische Äußerungen auffalle. Der Angeklagte gehe ihm deshalb auch aus dem Weg.
Aber in dieser Nacht im August 2021 war alles anders. Es sei wohl recht lustig gewesen, alle Beteiligten seien mehr oder weniger betrunken gewesen – auch der Angeklagte, der dem Geschädigten so heftig aufs Ohr gehauen haben soll, dass dieser unter heftigen Schmerzen und einer vorübergehenden Beeinträchtigung des Hörvermögens gelitten habe. Zugeben wollte der Angeklagte jedoch nur, dass er dem Geschädigten den Hut vom Kopf geschlagen habe.
Dieser Geschädigte wurde dann anschließend als Zeuge befragt und gab an, dass eine Bekannte, „die kenn ich schon seit vier Jahren sehr gut, ich bin recht eng befreundet mit ihr“, bezeugen könne, dass er einen heftigen Schlag aufs Ohr bekommen habe. Auf die Nachfrage, wie diese gute Bekannte denn heiße, wusste er nur den Vornamen zu sagen, den Familiennamen und die Wohnadresse kannte er nicht. Aber wo sie in Wasserburg arbeite, das könne er sagen, das Gericht möge doch dort einmal nachfragen.
Ja, den Angeklagten, den kenne er gar nicht richtig, wisse aber, dass der immer wieder Probleme mache, dass von ihm häufig Gewalt ausgehe. Ob er denn nach dem Schlag aufs Ohr, bei dem er starke Schmerzen hatte und einen Tinnitus verspürt habe, zum Arzt gegangen sei, wollte die vorsitzende Richterin Julia Vogel von dem Geschädigten wissen. Das sei er nicht, weil nach drei Tagen alles wieder gut gewesen sei.
Sechs Tage nach dem Vorfall in dem Lokal in der Innenstadt habe er den Beschuldigten in einem Café in der Innenstadt von Wasserburg getroffen, habe mit ihm reden wollen – wollte, dass dieser sich bei ihm entschuldige, das habe er aber nicht getan. „Der erzählt überall nur rum, ich sei der größte Loser.“
Die Wirtin der Gaststätte meinte in der anschließenden Vernehmung, dass die vier Damen, die beim Geschädigten am Tisch gesessen seien, sich von ihm belästigt gefühlt hätten. Der Geschädigte habe nach der verbalen Auseinandersetzung die Polizei gerufen, eine Ohrfeige habe sie aber nicht beobachtet, obwohl sie Augenzeugin des Vorfalls gewesen sei. „Der Angeklagte hat dem anderen nicht auf den Kopf gehauen, sondern nur den Hut hinuntergeschlagen!“
Der Geschädigte habe bei ihr zwischenzeitlich auch Hausverbot erhalten, sie sei froh, dass er nicht mehr komme. Mit dem Angeklagten komme sie hingegen sehr gut aus, er arbeite als Bedienung in ihrer Gaststätte. Ob sie schon einmal erlebt habe, dass der Geschädigte Frauen belästigt habe, wurde sie dann gefragt und musste dies verneinen.
Auch ein weiterer Augenzeuge des Vorfalls erklärte, keine Ohrfeige gesehen zu haben. Schließlich wurde der ermittelnde Polizeibeamte befragt und erklärte, aus dem Munde des Angeklagten den Satz gehört zu haben: „Ich hab ihm eine aufs Ohr gehauen!“
Betrunken waren wohl alle, beim Angeklagten wurde eine Blutprobe entnommen, die eine Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille ergab. Man habe aber an seinem Verhalten nichts gespürt, was auf eine Trunkenheit hingedeutet habe. Der zweite ermittelnde Beamte, der anschließend befragt wurde, gab zu Protokoll, dass die vier Frauen, die mit dem Geschädigten am Tisch gesessen seien, von einer Ohrfeige nichts mitbekommen hätten. Unter diesen dürfte dann auch die enge Freundin des Geschädigten sein, die angeblich alles bezeugen könne, was der Geschädigte vor Gericht vortrug.
Richterin Vogel trug abschließend noch aus dem Bundezentralregister vor, dass der Angeklagte seit 2014 insgesamt sechsmal aktenkundig geworden sei, und zwar dreimal wegen Drogenmissbrauchs und dreimal wegen Körperverletzung oder gefährlicher Körperverletzung, 2014 habe er sogar einmal eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten auf Bewährung erhalten.
Was war also passiert in jener Sommernacht?
Für die Staatsanwältin war der Fall klar: Der Angeklagte sei wegen Körperverletzung zu verurteilen, man habe hier eine alkoholbedingte Enthemmung erlebt. Sie räumte ein, dass der Geschädigte an der Eskalation mitverantwortlich gewesen sei, die sechs Einträge im Bundeszentralregister wögen hingegen schwer zu Ungunsten des Angeklagten. Die Staatsanwältin forderte eine Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 50 Euro, der Verteidiger sah das naturgemäß etwas anders und plädierte dafür den Angeklagten freizusprechen. Der Geschädigte sei nach der vermeintlichen Körperverletzung nicht zum Arzt gegangen, keiner der Zeugen habe diese vermeintliche Tat bestätigen können, der Geschädigte habe in der Gaststätte Hausverbot, nicht aber der Angeklagte und letztlich sei ein großer Schaden nicht entstanden.
Für Richterin Vogel gab dann in ihrem Urteil die Aussage des Polizeibeamten, der gehört hatte, dass der Angeklagte die Ohrfeige zugegeben hatte, den Ausschlag. Sie räumte ein, dass der Geschädigte nur bedingt glaubwürdig sei, den Angeklagten vermutlich provoziert habe. Andererseits gebe es eine Kontinuität des Angeklagten bei Gewaltdelikten, wie die Einträge im Bundeszentralregister bezeugten.
Sie verurteilte den Angeklagten zu 90 Tagessätzen von je 50 Euro Geldstrafe.
RP
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