Abschlussveranstaltung der 16. Wasserburger Theatertage mit Lesung zum Thema „Heimat"
Eigentlich war geplant, die beste Regieleistung und die beste Darstellerleistung zum Abschluss der 16. Wasserburger Theatertage mit einem Preis auszuzeichnen, den der Kulturreferent des Landkreises Rosenheim verleihen sollte. Doch Christoph Maier-Gehring, der besagte Kulturreferent, war an diesem Abschlussabend der Wasserburger Theatertage leider dienstlich verhindert. Und so blieb Uwe Bertram, dem Leiter des Theaters Wasserburg und Begründer der Wasserburger Theatertage, nur der Kunstgriff (links), die Preisträger anzukündigen, die Preisverleihung aber nicht zu vollziehen.
Lucca Züchner wird in diesem Jahr den Darstellerpreis für ihr fulminantes Solo in „Kitzeleien – Der Tanz der Wut über familiären Missbrauch“ bekommen. Züchner hat alle Stimmen der beteiligten Figuren dieses Stücks in sich, lässt sie vor dem Publikum plastisch werden und ist spielerisch in der Lage, vom Witz blitzschnell in die größte Verzweiflung zu springen. Sie tut dies mit großer Verve und braucht hierfür nichts als sich allein, außer natürlich Musik zum Tanzen. Bei Züchner kann man miterleben, wie aufregend echtes Theater sein kann. Sie hat dieses Stück mit großem Einsatz und viel Spielfreude verkörpert.
Den Inszenierungspreis sollen je zur Hälfte Thorsten Krohn für die Inszenierung der „Kitzeleien“ und Heiko Dietz, der ebenfalls an diesem Abend verhindert war, für seine Inszenierung von „The fear of 13 – Ein Plädoyer gegen die Todesstrafe und für das Leben“ bekommen. Dietz hatte sehr eindringlich dieses Werk, das nach Nick Yarris Lebenserinnerungen entstanden ist, in Szene gesetzt. Nick Yarris hatte während der 8.057 Tage im Todestrakt des Gefängnisses, in dem er einsaß, etwa 9.400 Bücher gelesen. Heiko Dietz saß auf einem Stuhl und erzählte die Geschichte dieses zu Unrecht Verurteilten.
Dafür konnte Uwe Bertram noch Stephanie Tschunko, die Leiterin der „Kulturbühne Spagat“, auf die Bühne bitten und ihr und Lucca Züchner einen Blumenstrauß überreichen.
Wenn es zur Verleihung der Preise an die Akteure kommen wird, sollen die beiden Stücke nochmals aufgeführt werden, wie Uwe Bertram am Rande des Abends ankündigte.
Unter dem Motto „Wem seine Heimat“, lasen im Anschluss daran Annett Segerer und Nik Mayr aus Texten diverser Autoren und thematisierten hier das Thema Heimat.
Ist Heimat das, wo wir herkommen? Diese Frage wurde zwar in der knapp 80-minütigen Lesung immer wieder angeschnitten, wenngleich nicht ausdrücklich thematisiert. Symbolisiert Heimat jenes Grundvertrauen, das Kinder in ihre Eltern haben und das diese auch immer wieder enttäuschen? Oder ist Heimat jenes Konglumerat an Erfahrungen, die in der Kindheit erlebt werden? Musik am Volksfesttag, Kirchgang mit den Eltern, Erfahrungen mit Geistlichen, ist es das? Oder ist Heimat nicht eher dieses Gefühl, das wir suchen, wenn wir uns selber suchen? Was kann der Vater oder die Mutter den Kindern mitgeben und was sollte er mitgeben oder mitgeben wollen?
Welche Bedeutung haben dabei regionale Traditionen? Nik Mayr, der in Altötting aufgewachsen ist, hat in seinen Leseteilen deutlich gemacht, wie prägend eine Stadt wie Altötting sein kann und wie einengend sie dabei doch empfunden werden kann.
Was ist Heimat? fragten die beiden Mitglieder des Ensembles des Wasserburger Theaters immer wieder. Sie versuchten den Heimatbegriff gegen verschiedene Missbräuche zu schützen und spürten doch, dass sie letztlich dabei nicht nur erfolgreich sein konnten. Im Französischen heißt „Heimat“ „Patrie“ oder „Maison“, was soviel heißt wie „Vaterland“ oder „Haus“. Beides ist unzureichend und führt auch auf die falsche Fährte. Ist Heimat die „Dorfgemeinschaft“?, fragt Annett Segerer, um gleich zweifelnd anzuschließen, dass es in einer urbanen Gesellschaft unserer Tage, in der auch die Dörfer urbanisiert worden sind, gar keine Dorfgemeinschaft mehr geben könne. Wenn wir die Diskussion erleben, dass der „Weihnachtsmarkt“ oder „Adventsmarkt“ umbenannt werden soll in „Wintermarkt“. Ist das dann Heimatverlust?
Am Ende des 19. Jahrhunderts entstand in Altbayern der Wunsch, regionale Trachten zu tragen. Dirndl und Lederhose erfuhren eine bis dato ungekannte Begeisterung. Dies geschah aber nicht aus Heimatgefühlen heraus, sondern aus der Sorge, die heimatliche Identität zu verlieren. In dieser Zeit strömten nämlich viele Norddeutsche nach Süden zur „Sommerfrische“. In dieser Zeit sind auch „Heimatvereine“ entstanden wie beispielsweise der Wasserburger Heimatverein. Nicht Traditionspflege, sondern Angst vor Identitätsverlust war damals das Motiv. Heute haben wir wieder einmal viele Heimatlose, die Heimat suchen. Annett Segerer bringt das Ganze auf den Punkt: „Keine Liebe ist so heiß wie die zwischen einem Bayern und nem Preiß“. „Dahoam ist net dahoam, bloß weil’s die Alten sagen“ ergänzt sie noch. Dabei sei traditionsgemäß der größte Rassismus immer noch der zwischen direkten Nachbarn. Menschen, die im Grenzgebiet zwischen Ober- und Niederbayern oder zwischen Niederbayern und der Oberpfalz leben, wissen, was damit gemeint sein könnte. In Altötting werden zu bestimmten Festtagen Devotionalien durch die Stadt getragen. Auch dies könnte zu einem Heimatgefühl beitragen, aber eben auch nicht mehr und auch nicht bei allen. Nik Mayr nennt dies augenzwinkernd den „heiligen Tinnef“.
Also ist Heimat doch das, was wir suchen, im Sinne Friedrich Schillers: „Der wackre Mann findet überall seine Heimat.“
Aber die Zweifel bleiben, das mag auch mit den vielen Enttäuschungen zu tun haben, mit denen wir den Weg auf der Suche nach uns selbst pflastern müssen.Lang anhaltender Applaus belohnte die beiden Schauspieler, die dieses Thema gekonnt und mit viel Verve dem Publikum nahe gebracht haben.
RP
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