Weil sie einem Burschen eine Halskette im Wert von acht Euro vom Hals gerissen hat: Sieben Monate auf Bewährung
Wegen Raubes einer Halskette im Wert von zirka acht Euro musste sich diese Woche eine Afghanin vor dem Schöffengericht Rosenheim verantworten. Die 41-jährige Frau hatte die Kette einem kongolesischen Jungen auf der Straße vom Hals gerissen. Der Bursche wurde dabei leicht verletzt. Das Gericht verurteilte die Angeklagte zu sieben Monaten Gefängnis, die Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Die Frau muss außerdem eine Geldauflage von 500 Euro entrichten.
Es fing damit an, dass die Verhandlung nicht eröffnet werden konnte, weil die Angeklagte nicht erschienen war. Geschäftiges Treiben bei Verteidiger und amtlich bestelltem Dolmetscher führte zu der Erkenntnis, dass die Angeklagte geglaubt habe, sie könne mit ihrem 14-jährigen Sohn, der als Zeuge in diesem Prozess geladen war, aber eben 45 Minuten später als sie, gemeinsam erscheinen. Und so vertagte sich das Gericht für 15 Minuten.
Dann erschien sie doch, zunächst scheu, aber schon bald taute sie auf. Seit 2013 lebe sie im Chiemgau und in Rosenheim, habe sechs Kinder, sei in Afghanistan, wo sie geboren sei, mit 13 Jahren verheiratet worden und das erste Kind habe sie mit 15 bekommen. Ihr Mann, der mit ihr und den sechs Kindern in einer Dreizimmerwohnung in Rosenheim lebe, sei Analphabet und arbeite in einem Gartenbaubetrieb. Er habe einen zeitlich befristeten Aufenthaltstitel in Deutschland, der noch zwei Jahre gültig sei.
Sie selbst, so die Angeklagte, habe bis zu ihrer Migration nach Deutschland, die durch eine Schleuserbande organisiert worden sei und bei der sie in einem kleinen Boot nach Europa und dann weiter nach Deutschland gebracht worden sei, im Iran gelebt und dort als Schneiderin und Teppichknüpferin gearbeitet. In Deutschland habe sie dann eine Ausbildung zur Schwesternhelferin absolviert. Gemeinsam mit ihrem Mann verdiene sie knapp 2.000 Euro im Monat. Für die Dreizimmer-Wohnung müsse sie ungefähr 1.500 Euro aufwenden, aber ihr großer Sohn, der 26 Jahre alt sei, verdiene auch etwas dazu und so kämen sie über die Runden.
Angeklagt war sie jetzt wegen Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung. Was war geschehen?
Ihr 14-jähriger Sohn ist wohl Mitglied einer kleinen Gruppe von Schulfreunden, zu der auch ein gleichaltriger iranisch-afghanischer Junge und ein gleichaltriger Kongolese gehörent. Ihr Sohn habe daheim erzählt, dass der Junge aus dem Kongo ihm sein Cap weggenommen habe. Außerdem sei ihr Sohn von den anderen Kindern immer gemobbt worden und habe nicht mit den anderen Jungen spielen dürfen. Also sei es ihm langweilig gewesen. So hat sie also im Juni 2022 an einem Sonntag, abends kurz vor 23 Uhr den kongolesischen Jungen auf der Straße getroffen und ihm seine Halskette vom Hals gerissen. Dies habe dem kongolesischen Jungen Schmerzen am Hals zugefügt, aber die Kette war nunmehr im Besitz der Angeklagten: „Du bekommst sie zurück, wenn Du das Cap zurückgibst“, soll sie gesagt haben. Sie soll den kleinen Afrikaner auch mit den Begriffen „Neger“ und „Affe“ beschimpft haben, aber das konnte im Prozess nicht zweifelsfrei bewiesen werden.
Vor Gericht gab sich die Angeklagte, die für gewöhnlich nur mit Ihrem Dolmetscher sprach und der Richterin dann den Rücken zuwandte, zerknirscht, aber nicht reuig. Dann konnte sie auch ein wenig Deutsch sprechen und meinte nur: „Wenn ich aufgeregt bin, verstehe ich nicht richtig.“ Und: „Ich habe so etwas noch nie gemacht, aber wenn jemand meinem Sohn so etwas antut.“ Der Richterin gegenüber gab sie sich freilich demütig: „Ich akzeptiere Ihre Entscheidung, ich war einfach nicht ganz bei mir. Ich war sehr aufgewühlt, dann steigt mein Blutdruck.“
Die Richterin fragte jetzt nach: „Warum haben Sie denn das mit den jugendlichen Kindern klären wollen und nicht mit deren Eltern?“ Und kurz darauf: „Warum gehen Sie mit anderen Kindern so um, wie Sie es nicht wollen, dass man mit Ihrem Sohn umgehen soll?“ Darauf hatte die Angeklagte keine Antwort und auf die Frage, warum sie dem kongolesischen Jugendlichen die Halskette heruntergerissen habe, fiel ihr nur ein: „Was hätte ich denn machen sollen?“ Die Jungen würden über ihren Sohn sagen, er sei ein Muttersöhnchen, da müsse sie doch seine Ehre verteidigen. Nach diesem Vorfall habe sie ihren Sohn drei Wochen daheim gelassen und nicht zur Schule geschickt und auch darüber nachgedacht, die Schule zu wechseln.
Die Richterin entschied, nun die drei Jungen zu hören, die bei der Sache mit dem Cap dabei waren: der Sohn der Angeklagten, ein afghanisch-iranischer Freund und der kongolesische Junge.
Als der Sohn der Angeklagten vernommen wurde, wurde er zunächst einmal darauf hingewiesen, dass er gegen seine Mutter nicht aussagen müsse, ob er das richtig verstanden hat, blieb unklar. Auf jeden Fall wollte die Mutter ihrem Sohn die Aussagen in den Mund legen, was die Richterin mit einem energischen: „Nein, Sie sagen jetzt nicht, was Ihr Sohn hier aussagen soll!“
Dabei ließen die drei Jugendlichen ein, dass sie am Chiemsee auf einem Volleyballplatz miteinander gespielt und dabei ein Cap gefunden hätten, das in einem Gebüsch gelegen sei. Der iranisch-afghanische Freund wurde befragt, ob die Angeklagte den kongolesischen Jugendlichen „Neger“ oder „Affe“ genannt habe. Der jugendliche Zeuge konnte sich zunächst nicht erinnern und meinte kurz darauf nur: „Ich hab’s doch gehört!“
Der Kongolese erklärte, dass er das Cap bei der Polizei habe abgeben wollen, dies aber nicht getan habe.
Schließlich vernahm die Richterin den zuständigen Polizeibeamten, der zu Protokoll gab, dass das Cap in einer Parkanlage in Rosenheim gefunden worden sei, die Polizei die Kette etwa einen Monat nach dem Raub in der Tasche der Angeklagten gefunden habe. Dabei sei aufgefallen, dass der Kettenverschluss verbogen gewesen sei.
Den Wert der Kette bezifferte der Beamte auf etwa sieben bis acht Euro.
Nach diesen Erkenntnissen unterbrach die Richterin die Verhandlung des Schöffengerichts für 15 Minuten und dann plädierten Staatsanwalt und Verteidigung. War das, was der Angeklagten hier vor Gericht vorgehalten wurde, ein Raub? Der Staatsanwalt bejahte dies ausdrücklich, denn für ihn war der Sachverhalt klar: Die Angeklagte habe gewusst, dass das Cap ihrem Sohn nicht gehörte. Die Kommunikation des kongolesischen Jungen, dessen Muttersprache wohl französisch sein dürfte, denn diese Sprache übersetzte der Dolmetscher vor Gericht, mit den beiden iranisch-afghanischen Jugendlichen, die eine Mischung aus Farsi und arabisch sprachen, dazu ein wenig deutsch, dürfte so einfach und klar verständlich auch nicht gewesen sein.
Der Staatsanwalt wandte sich dann auch direkt an die Angeklagte: Sie habe sich in der Auseinandersetzung als das größte Kind erwiesen und nicht als Erwachsene. Bei Raub komme es aber auch nicht auf den Wert der geraubten Sache an, sondern auf die Gewalttätigkeit beim Diebstahl, unabhängig vom Wert des Diebesgutes. Der Staatsanwalt vermisste auch den Rückführungswillen der Angeklagten. Einen Monat nach dem Raub habe man die Kette in ihrer Handtasche gefunden. Es gehe also um Raub und vorsätzliche Körperverletzung. Hier sei das Strafmaß des Gesetzgebers klar: Von einem Jahr bis zu 15 Jahren Gefängnis seien möglich. Und wenn man der Angeklagten zu Gute halten wolle, dass es ein minderschwerer Fall sei, dann liege das Strafmaß immer noch zwischen sechs Monaten und fünf Jahren Gefängnis.
Der Staatsanwalt vermisste das Unrechtsbewusstsein der Angeklagten, auch hier vor Gericht habe sie sich nicht bei dem kongolesischen Jugendlichen entschuldigt, sondern ihrerseits eine vermeintliche Selbstjustiz versucht, bei der wohl auch beleidigende Bemerkungen gefallen seien. Er forderte ein Strafmaß von 12 Monaten Gefängnis, das zur Bewährung auszusetzen sei, eine Geldauflage von 500 Euro, eine Bewährungszeit von drei Jahren und wollte der Angeklagten auferlegen, dem Opfer eine neue Halskette zu kaufen.
Der Verteidiger sah den Sachverhalt ganz anders: Er stellte die Zueignungsabsicht in Frage und beantragte deshalb auch, seine Mandantin freizusprechen.
Dann zog sich das Schöffengericht zurück und kam erst nach knapp 45 Minuten wieder in den Gerichtssaal.
Die Angeklagte wurde zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt, die Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt, die Bewährungszeit beträgt zwei Jahre und sie muss eine Geldauflage von 500 Euro entrichten, die sie in zehn Raten zu je 50 Euro begleichen kann. Eine neue Halskette muss sie nicht besorgen. Das Schöffengericht war der Ansicht, dass jeder Kontakt der Angeklagten mit den Jugendlichen vermieden werden sollte.
Was bleibt: Eine Frau, die seit knapp zehn Jahren in Deutschland lebt, hier aber nicht so recht ankommen kann, zu vielfältig sind die Belastungen in ihrem Leben und da kommt dann wohl auch das Bewusstsein dazu, dass in Deutschland manches als kriminell verfolgt werden kann, was in anderen Kulturkreisen eben unter der Hand geregelt wird.
PETER RINK