Jahrespressekonferenz der „Arbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt”: Gesamtgesellschaftliche Situation im Blick

Wohnraum, Kinderbetreuung, Fürsorge im Alter, Migration: Auf der Jahrespressekonferenz der „Arbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt“ wurden die größten Herausforderungen in den verschiedensten sozialen Bereichen thematisiert und die Rückkopplung auf die Wirtschaft und die Gesellschaft deutlich gemacht. Das einhellige Fazit: „Die Gesellschaft muss mehr zusammenrücken.“

Es fehle an Wohnraum, vor allen Dingen an bezahlbarem Wohnraum, so Anton Reiserer, Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband Rosenheim. Dies beträfe mittlerweile nicht mehr nur die Anspruchsgruppen der Wohlfahrtsverbände, sondern auch einen großen Teil des Mittelstandes. Auch die Situation in der Kindertagesbetreuung sei unbefriedigend. Es fehle hier an entsprechendem Personal. Gruppen müssten schließen, Öffnungszeiten reduziert werden. Zusagen für Kindergartenplätze können in diesem Jahr nur vorbehaltlich getätigt werden. „Wir wissen nicht, ob wir im Herbst genügend Personal haben, um die Kinder auch betreuen zu können“, so Erwin Lehmann, Kreisgeschäftsführer der Caritas-Zentren in Stadt und Landkreis Rosenheim. Der Gesetzgeber fördert ausschließlich Erzieher und Erzieherinnen oder Kinderpfleger und Kinderpflegerinnen. Darüber hinaus qualifiziertes Personal, das zum Beispiel Verwaltungsaufgaben übernehmen könnte, oder Unterstützungskräfte könnten nicht eingesetzt werden. Die für 2026 angekündigte Ganztagsbetreuung verschärfe dieses Problem noch, betonte Amelie Guggenberger, Leiterin der sozialen Dienste beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK). Das Modell sei veraltet, der Verwaltungsaufwand zu hoch. „Es fehlen nicht nur Fachkräfte für die Kinderbetreuung und die Pflege, sondern tatsächliche Arbeitskräfte in allen Bereichen und in allen Branchen“, so Lehmann weiter.

 

HOFFNUNG AUF LEBENDIGE BÜRGERGESELLSCHAFT

Größter Handlungsbedarf herrsche auch in allen Bereichen der Hilfen im Alter. „Die demografische Entwicklung ist nicht überraschend und trifft uns auch nicht von heute auf morgen“, waren sich alle Vertreter der Wohlfahrtsverbände einig. Doch der Problemdruck steige: Die geburtenstarken Jahrgänge gingen jetzt in Rente, der Pflegebedarf werde in den nächsten Jahren enorm steigen. „Es ist fraglich, ob es dann noch Fachkräfte gibt, die uns pflegen“, sagte Stefan Müller vom BRK, denn auch hier fehle es an Arbeitskräften an allen Ecken und Enden. Schon heute sind Familienangehörige der größte Pflegedienst in Deutschland. „Das Pflegesystem ist an die Wand gefahren“, resümierte Erwin Lehmann. Die notwendigen Hilfen können in der Zukunft nicht mehr ausschließlich durch den Konsum institutioneller Leistungen erbracht werden. Unterstützung finde sich im sozialräumlichen Umfeld. Es müsse sich eine aktive und lebendige Bürgergesellschaft entwickeln. Menschen, die sozial eingebunden sind, würden erstens länger gesund bleiben und zweitens wesentlich länger im eigenen Wohnraum verbleiben können.

Eine angespannte personelle Situation zeige sich auch im Bereich Asyl / Migration. In Stadt und Landkreis Rosenheim seien knapp 3.000 Geflüchtete gemeldet, doppelt so viele wie noch vor zwei Jahren. Ein Berater kümmere sich derzeit durchschnittlich um 300 Flüchtlinge.

Die Rahmenbedingungen machten demnach deutlich: Das Zusammenspiel aller Wohlfahrtsverbände, von Stadt, Kommune und allen Beteiligten sei gut und wichtig. Es bestehe eine Chance, die Gesellschaft auf eine andere Basis zu stellen. „Das Zeitalter der Selbstverwirklichung ist vorbei“, betonte Anton Reiserer. „Es geht um Notlagen, die Gesellschaft muss mehr zusammenrücken“, appellierte er.

Anlässlich der Pressekonferenz wurde die Rolle des Sprechers der „ARGE Freie“ von Anton Reiserer (AWO) an Erwin Lehmann (Caritas) übergeben. Nach mehr als 15 Jahren wurde Stefan Müller als Vertreter des BRK in der Arbeitsgemeinschaft verabschiedet. „Ich freue mich darüber, dass Amelie Guggenberger mich mehr als würdig vertritt“, erklärte Müller. Mit der Einführung des Studienganges „Soziale Arbeit“, der unter anderem von der Arbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt mit angeschoben worden sei, mit der Bewältigung der Flüchtlingswellen der letzten Jahre und dem regelmäßigen Austausch mit den Kommunalvertretern habe man viel bewegt.

 

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Auf der Jahrespressekonferenz sprachen: Anton Reiserer, Geschäftsführer Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband Rosenheim, Erwin Lehmann, Kreisgeschäftsführer Caritas-Zentren in Stadt und Landkreis Rosenheim, Stefan Müller, stellvertretender Kreisgeschäftsführer BRK, Kreisverband Rosenheim, und Amelie Guggenberger, Leiterin Soziale Dienste, BRK, Kreisverband Rosenheim (von links).

Foto: Susanne Haidacher; Bayerisches Rotes Kreuz