Podiumsdiskussion zum Abschluss der Biennale im Wasserburger Rathaussaal - SPD-Generalsekretär mit dabei

Die Filmbiennale Bavaria 2023, die dieser Tage in Süd-Ostbayern über die Bühne ging (wir berichteten), hatte es sich zum Ziel gesetzt, das Thema Heimat intensiv zu behandeln, und zwar in den verschiedenen Filmen, aber auch in den Rahmenveranstaltungen zu dieser Biennale. Im Wasserburger Rathaussaal fand nun zum Abschluss der Biennale eine Podiumsdiskussion statt, mit dem Thema: „Gemeinsam Heimat: Die Jungen sind schneller, die Alten kennen die Abkürzung – Perspektiven für jung und alt“. Auf dem Podium fanden sich Persönlichkeiten, die auch überregional bekannt sind. Unter ihnen der Generalsekretär der SPD, Kevin Kühnert (34).

Mit dabei war aber auch die Schauspielerin Pia Amofa-Antwi, bekannt durch die Tier-Doku-Serie „Pia und die wilden Tiere“, die sie seit 2020 auf dem Kinderkanal „KiKa“ moderiert. Dem breiteren Fernsehpublikum ist sie bekannt durch Rollen in „Tatort“, „SOKO Stuttgart“ und „Der Alte“. Daneben ist die gelernte Pflegefachkraft Pia Amofa-Antwi leidenschaftliche Fußballerin und hat ein Jahr in der Ersten Mannschaft von Wacker Burghausen gespielt.

Neben ihr saß der gebürtige Wasserburger Schauspieler und Regisseur Sebastian Schindler, der die Biennale 2023 intensiv begleitet hat und sich durch mehrere Filmproduktionen, die sich mit dem Thema Heimat auseinandersetzen, einen Namen gemacht hat.

Sigi Franz ist Glasbläsermeister aus Burghausen. Er ist als „freisinniger Freigeist“ beschrieben worden, der in jungen Jahren mit der katholischen Kirche, die bekanntlich in der Gegend rund um Altötting sehr präsent ist, haderte und schließlich austrat. Nach einem großen Schicksalsschlag vor über zehn Jahren hat der heute 58-jährige seinen Weg zu Glauben und Kirche zurückgefunden.

Neben ihm saß Prof. Dr. Alfred Quenzler, seit 2009 Professor für Internationales Personal- und Organisationsmanagement, mit den Schwerpunkten Employer Branding, Talent Management, Unternehmenskultur, HR Controlling und Leadership Development an der Technischen Hochschule in Ingolstadt.

Sie alle diskutierten das interessante und doch schwierige Thema Heimat in der Gegenwart. Moderiert wurde diese Podiumsdiskussion von Özlem Sarikaya, ihres Zeichens Journalistin und Moderatorin beim Bayerischen Fernsehen, die eine der Mitbegründerinnen der Initiative „Neue deutsche Medienmacher“ ist, eines bundesweiten Zusammenschlusses von Journalisten mit und ohne Migrationshintergrund, die sich für mehr interkulturelle Kompetenz und Sensibilität in der journalistischen Arbeit und Berichterstattung einsetzen. Mit ihrem Wirken beim Fernsehen sieht die Moderatorin sich auch als „Mittler zwischen Kulturen“.

Die Gesprächsrunde, die auch eine breite kulturelle und nationale Vielfalt in sich barg, diskutierte nun über „gemeinsam Heimat“. Es war ein vielversprechendes Thema, das aber leider in vielen Bereichen wieder nur die Oberfläche streifte, ohne sie wirklich zu vertiefen. Was das Publikum irritierte, war wohl zunächst die Tatsache, dass man im Publikum die Moderatorin kaum verstehen konnte. Lag es an der Technik? Jedenfalls verstand man Pia Amofi-Antwi und Kevin Kühnert wesentlich besser.

Der Vorsitzende des Vereins „Internationales Festival des Neuen Heimatfilms“ und ehemalige Bürgermeister der Stadt Mühldorf, Günther Knoblauch, erklärte in seiner Einführung, dass er mit seinen Initiativen auch dazu beitragen wolle, dass sich Menschen in die Heimat einbringen.

Dabei wird der Heimatbegriff derzeit an vielen Punkten benutzt und auch strapaziert und es stellt sich die Frage, was ist denn Heimat eigentlich?

Im Jahre 2004 wurde das Wort „Heimat“ in einem Wettbewerb vom Deutschen Sprachrat und dem Goethe-Institut zu einem der schönsten deutschen Wörter gewählt. Mit diesem Begriff werden Erinnerungen hervorgerufen, die gefüllt und aufgeladen sind mit Sehnsüchten, Träumen, Bildern, Gefühlen, Gerüchen und Geräu- schen, aber auch mit Schmerz, Leid, Verlust und Zerstörung. Kann Heimat überhaupt beschrieben werden? Wie erfährt der Mensch Heimat? Kann man sie fühlen oder darstellen? Die Definition dieses Begriffs scheint von Mensch zu Mensch so unterschiedlich zu sein, dass eine Präzisierung eine Herausforderung ist. Vielleicht hegen auch deshalb nicht wenige Menschen Animositäten gegen diesen Begriff. Letztendlich betreffen diese Fragen auch ganz wesentlich die menschliche Identität. Sie thematisieren Erinnerung und Vision, Vergangenheit und Zukunft, Geborgenheit, Sicherheit, Verstehen und Verständnis, Vertrautes und Verwurzelung.

Sigi Franz warb am Anfang mit einem Ausspruch Joachim Fuchsbergers, in der Liebe gebe es die vier „Vs“: Vertrauen, Verstehen, Verzichten, Verzeihen. Und er ergänzte, was für die Liebe zu einem Menschen gelte, gelte auch für die Heimat. Dann sprach er sich vehement gegen mediale und ideologische Beschränkungen bei Betrachtungen der Gegenwart aus. Es seien die Fähigkeiten, die ein Mensch habe, die ihn erdeten, die ihn befähigen, Herausforderungen zu bestehen. In der Zukunft, so Franz, werde sich die Arbeitswelt fundamental verändern „und da werden Fähigkeiten gefragt sein, Fähigkeiten, die es einem erlauben, diese großen Herausforderungen zu bewältigen“.

 

„Jahrmarkt der verpassten Gelegenheiten“

Für Kevin Kühnert ist Heimat ein Gefühl, wo man dieses Gefühl habe, wo man bedingungslos und einschränkungslos sich akzeptiert fühle. „FOMO“ (fear of missing out), sei jene Angst, in der schnelllebigen Zeit der Gegenwart, etwas zu verpassen, also dass einem Informationen, Ereignisse, Erfahrungen oder Entscheidungen entgehen, die das eigene Leben in irgend einer Weise verbessern könnten. Leben werde dadurch immer häufiger zu einem „Jahrmarkt der verpassten Gelegenheiten“, meinte Kühnert anschließend.

Als Alfred Quenzler dann anschließend davon sprach, dass mit 40 Jahren die Sinnsuche des Lebens sich bei den meisten Menschen einstelle und dann die Frage stellte, ob es Gemeinsamkeiten der Baby-Boomer gebe, da konnte einem bewusst werden, dass an diesem Abend die Podiumsteilnehmer auch immer wieder aneinander vorbeiredeten, weil sie unterschiedliche Ausgangspunkte und Erwartungen hatten, sich mit dem Thema der Podiumsdiskussion auseinanderzusetzen.

Deshalb wurde das eher romantisierende Familienbild, das die Heimatfilme der 1950-er Jahre transportierten, ebenso kritisiert wie das Zerrbild, dass Jugendliche heute mit älteren Generationen nichts mehr zu tun haben wollten. Da gefiel Kevin Kühnert, der auf Gemeinsamkeiten über mehrere Generationen hinweg hinwies. Mit Menschen im Bundestag, sagte er, mit denen er sich gedanklich austauschen könne, verbinde ihn eben mehr als mit Menschen seines Alters, die anderen Werten verpflichtet zu sein scheinen. Eine Generation sei schließlich keine Schicksalsgemeinschaft.

Dann wurde eingeworfen, dass man auch mit Menschen sich verständigen müsse, die die eigene Meinung nicht teilten. Kollektive Erinnerungen einer Generation seien zum Beispiel Musik, Filme und dergleichen. Gerade der Verweis auf Hits, die in der eigenen Jugend in den „Charts“ waren, wecke mitunter Wehmutsgedanken und -gefühle.

„Man muss jung sein, um große Dinge zu tun“, hat Johann Wolfgang Goethe einmal gesagt, und er habe damit wohl auch gemeint, dass man, wenn man große Dinge bewegt, eben jung im Herzen bleibe. Als dann Özlem Sarikaya davon sprach, dass es in südlichen Kulturen mehr Miteinander zwischen den Generationen gebe, da wurde dieses romatisierende Familienbild wieder bedient. Und als Kevin Kühnert erwähnte, dass es in großen Städten wie Berlin mehr Möglichkeiten der Subkultur gebe als in der Provinz, da wurde klar, dass Heimat in der Provinz auch aus Mangel an alternativen Möglichkeiten eben besser gelebt werden müsse.

Das habe aber auch mit den modernen Medien zu tun, mit der Digitaliiserung und den „Social Media“, wurde eingewandt. Sigi Franz meinte hierzu , dass er immer sehr gerne Zug fahre und dass es vor der Erfindung der „Smartphones“ eben üblicher gewesen sei, im Zug miteinander zu sprechen, während heute jeder sein eigenes Handy besitze, mit dem er sich an die Welt andocke, damit es eben bei ihm kein „FOMO“ gebe.

 

„Lasst uns auf andere zugehen“

Dann wurden auch die Zuhörer gefragt und eine jugendliche Schülerin meinte nur, dass es besser wäre, wenn die Schüler sich im Schulleben besser einbringen könnten. In Bayern sei das übrigens besser verankert als beispielsweise in Baden-Württemberg, ergänzte sie.

Das Publikum im Rathaussaal erfuhr noch, dass auch Kevin Kühnert sich bei Twitter abgemeldet habe und dass sein Großvater sich mit 75 Jahren über Facebook ein neues Tor zur Welt habe schaffen können. „Lasst uns auf andere zugehen“, mahnte dann abschließend Sigi Franz und es sei wichtig, anderen nicht die eigene Ideologie überstülpen zu wollen.

Als die Teilnehmer der Podiumsdiskussion abschließend zu ihren Vorhaben im Hinblick auf das Thema gefragt wurden, kam es wieder zu Aussagen, die mancher schon sehr oft gehört haben mag, man möge sich doch austauschen, anderen zuhören, die Generationen müssten in den Austausch kommen und man möge das Prinzip „Bares für Rares“ auch in die Beziehungen einbringen, indem man etwas Seltenes in die Gesellschaft einbringt und es mit den anderen teile.

Inwieweit damit „Gemeinsam Heimat“ gestaltet werden kann, dafür wird es wohl noch etliche Podiumsdiskussionen benötigen.

Das Publikum applaudierte und Günthzer Knoblauch verteilte noch Blumen und Anhänger, seinen Lieblingssatz wiederholend, in Bayern gelte zwar immer wieder „Mia san Mia“, aber wo blieben die anderen?

Und so ging man nach gut 90 Minuten Podiumsdiskussion zwar nachdenklich, wenngleich nicht ratlos, nach Hause.

 

PETER RINK