Krönender Abschluss der Inszenierungen bei den 17. Wasserburger Theatertagen


2018 ist das Stück „Sticks & Stones“ des englisch-indischen Autors Vinay Patel erstmals erschienen und Daniel Holzberg, der am gestrigen Abend in Wasserburg mehrere wichtige Rollen verkörperte, hat dieses Stück ins Deutsche übersetzt. Die Inszenierung gestern war der krönende Abschluss bei den 17. Wasserburger
Theatertagen.

Es geht in diesem Stück um B (hervorragend verkörpert von Natascha Heimes), die bei einem Meeting mit Kunden ihrer Firma einen Witz macht und nun dafür abgestraft wird, weil sie wohl einen Begriff verwendet hat, der sich nicht schickt, der beleidigen kann oder als Beleidigung ausgelegt werden kann. Dieses Meeting ist für B sehr wichtig, denn, wenn alles klappt, alles erfolgreich läuft, dann winkt eine Festanstellung bei der Firma, dann kann sie mit ihrer Tochter eine Reise unternehmen (nach Disneyland bei Paris), dann steht auch eine Gehaltserhöhung ins Haus. Welchen Begriff B verwendet, erfährt das Publikum nicht, aber so viel kann herausgehört werden, es sei ein böses Wort, ein Wort, das andere diskriminiere.

Und weil es jemanden gibt (wer es ist, erfährt das Publikum zunächst nicht), der sich beleidigt fühlt, ist die Erfolgsleiter von B plötzlich zerstört: Sie erhält die Festanstellung und die Gehaltserhöhung nicht, wird am Ende gar entlassen, was einen ihrer Hauptkonkurrenten in der Firma freut, denn die Ernte dieser Affaire kann nun er einfahren. Dieser Hauptkonkurrent, wunderbar verkörpert von Daniel Holzberg, passt in die moderne Welt. Allein seine von Anglizismen nur so strotzende Sprache, ihm scheint kein Anglizismus zu albern zu sein, legt beredt Zeugnis ab von der Denkweise des Kollegen.

Dann schlüpft Daniel Holzberg in die Rolle des Kollegen Fred, der eine abwegige Haltung vertritt. Seine Meinung stamme, so der Vorwurf der Mitarbeiter von B,  aus der Zeit der Dinosaurier. Damit wird in der Aufführung ein weiterer Aspekt angesprochen, der nicht unwichtig zu sein scheint. Wie stark muss ich mich von vermeintlich „aus der Zeit gefallenen“ Gedankengängen distanzieren, um zur „Ingroup“ zu gehören, um „hip“ zu sein, um zu verhindern, dass auch mein Denken als aus der Zeit gefallen bezeichnet werden könne?

„Ich fühle mich beleidigt, wenn andere sich beleidigt fühlen könnten“ ist die Kernaussage, um die es in diesem Stück geht: eine fast exhibitionistisch vorgetragene Betroffenheit, sei sie gespielt oder echt, als Waffe gegen Einzelne. Irgendwann wird es in diesem Stück auch philosophisch, wenn z.B. die Frage gestellt wird, ob „gut sein“ das gleiche sei wie „nett sein“. Und, das kann man an dem hämischen Triumph des Arbeitskollegen erkennen, gibt es für dieses „gut sein“ oder „nett sein“ auch weniger edle Motive?

Man dürfe niemanden für sein Aussehen loben, weil das ja hieße, dass man damit implizit andere für ihr Aussehen tadele und das könnte ja nun wieder verletzen. Und als eine der Beteiligten zu B sagt: „Ich wollte Dich nur unterstützen“, lässt sie unbeabsichtigt die Katze aus dem Sack. Getreu dem Aphorismus: „Gut gemeint ist der Gegensatz von gut gemacht“ werden die Konsequenzen von unendlicher Erinnerung, wo eben nicht mehr verziehen werden kann, deutlich. Die modernen Medien, die dieses unendliche Gedächtnis mit geschaffen haben, können eben auch zu einer Gesellschaft führen, die ihre Schwierigkeiten hat, Zufriedenheit und Freude zu bewahren, weil es eben so vieles gibt, was anprangernswert ist. Und B muss sich am Ende des Stückes fragen: „Will ich die Wahrheit oder will ich lieber die Komfortzone?“ Und wenn sie die Wahrheit will, wie gnädig darf sie sein zu jemandem, der aus Versehen einen Witz gemacht hat, der eben auch als Diskriminierung verstanden werden kann.

Und am Schluss des Abends kommt es heraus: Die engste Mitarbeiterin von B war es, die B bei der Firmenleitung denunziert hat, aber sie betont, es waren nur edle Motive, die sie zu diesem Verhalten veranlasst hätten.

„Sticks & Stones“ fragt letztlich mit diesem Stück, wie die Gesellschaft aussehen soll, in der wir leben wollen. Und das Publikum, das am Ende nicht ratlos, aber sehr nachdenklich zurückbleibt, fragt sich, wieviel Meinungsvielfalt wir ertragen können und sollten. In einer talk-show im Fernsehen hat einmal eine Journalistin auf den Hinweis eines Teilnehmers in der Runde, er würde gerne auch seine Meinung einmal äußern, ob dies gestattet sei, vehement antwortet: „Nein, denn meine ist die richtige!“

Die Frage, welche Meinung die richtige ist und welche frei geäußert werden darf in einer Welt, in der „gut sein“ und „nett sein“ zu falschen Synonymen zu verkommen drohen, ist berechtigt und kann nicht oft genug gestellt werden. Dies mag als ein dezenter Hinweis an alle verstanden werden, die glauben, man könne und müsse Menschen eben „zu ihrem Glück zwingen“, wie es die Vorsitzende einer der im Bundestag vertretenen Parteien vor kurzem in einem Interview äußerte.

„Sticks & Stones“ scheint, so gesehen, aktueller denn je: Natascha Heimes, Victoria Abelmann-Brockmann und Daniel Holzberg spielen dieses brandaktuelle Thema mit einer großen Dynamik, mit höchster Verve und brillantem Einfühlungsvermögen in die jeweilige Rolle. Dabei schlüpfen gerade Daniel Holzberg und Victoria Abelmann-Brockmann immer wieder in kürzester Zeit in die verschiedensten Rollen und dokumentieren damit auch ihre grandiose Fähigkeit, verschiedenste Charaktere anzunehmen und zu verkörpern.

Die Zuschauer, die am Ende das Ensemble mit lang anhaltendem Applaus bedachten, waren angetan vom schauspielerischen Können, der riesigen Energie, der hohen Fähigkeit der Schauspieler, blitzschnell in neue Rollen zu schlüpfen. Natascha Heimes tanzt in der Schlussszene wie wild auf der Bühne umher. Da konnte man spüren, wieviel Energie hier in den Personen existieren mag. 

Ein gelungener, von Spielfreude und großer Kompetenz sprühender Theaterabend zog die Zuschauer in den Bann, und zwar sowohl ins Heitere, als auch ins Nachdenkliche. Das war sehr gelungen!

PETER RINK