Serie: Wasserburg vor 100 Jahren – Teil 13
Sonntag, 1. Juli 1923: Der schwedische Kronprinz Gustav Adolf verlobt sich in London mit Lady Louise Mountbatten, einer Tochter von Ludwig Alexander Lord Mountbatten, Marquess Milfort Haven. Reichsbahn und -post erhöhen die Tarife und Gebühren. Die Post- und Telegrafengebühren werden verdreifacht, die Fernsprechgebühren verfünffacht. Die Reichsbahntarife steigen im Güterverkehr um 250% und im Personenverkehr um 300% (1. und 2. Klasse) beziehungsweise 200% (3. und 4. Klasse). An der Devisenbörse ist der US-Dollar mit 160 400 Mark notiert. In Kassel wird das erste Tapetenmuseum der Welt eröffnet.
I. Chronik vom 1. bis 31. Juli 1923
Montag, 2. Juli 1923
Die sprunghaft ansteigende Inflation hat ihre Ursache in den enormen Kosten des Ruhrkampfes. Zum einen muss der Staat für die Besoldung und Gehaltszahlungen der streikenden Beamten und Arbeiter aufkommen und zum anderen können in dem besetzten und abgeriegelten Gebiet keine Steuern eingenommen werden. Zudem verzichtet die Regierung auf Steuererhöhungen und muss für den Ankauf von Kohle auf den Devisenvorrat zurückgreifen. All diese Faktoren beschleunigen die Geldentwertung und so wurde schnell deutlich, dass der „passive Widerstand“ nicht lang durchgehalten werden kann.
In Tours gewinnt der Brite Henry O’Neal de Hane Segrave auf Sunbeam das französische Grand-Prix-Rennen für Automobile.
Der Völkerbundrat untersucht gemäß dem britischen Antrag die Lage im Saargebiet, das nach Bestimmungen des Versailler Vertrags (1919) unter französischer Verwaltung steht. Die Anwesenheit französischer Truppen wird als vertragswidrig bezeichnet.
In einem Schreiben an den päpstlichen Nuntius in Berlin, Eugenio Pacelli (der 1939 zum Papst Pius XII. Gewählt wird), verurteilt Papst Pius XI. deutsche Sabotageakte im besetzten Ruhrgebiet.
In einer Meldung der britischen Zeitung “The Observer” werden die britisch-französischen Beziehungen als gespannt bezeichnet. Die britische Regierung verurteile die französische Ruhrpolitik und sei an Verhandlungen mit dem Deutschen Reich interessiert.
Dienstag, 3. Juli 1923
Als Reaktion auf das Bombenattentat auf einen belgischen Militärzug am 30. Juni verhängen die Besatzungsbehörden eine verschärfte Grenzsperre zwischen dem besetzen Ruhr- und Rheingebiet sowie dem unbesetzten Deutschen Reich.
Der italienische Ministerpräsident und faschistische Duce Benito Mussolini plädiert für die beschleunigte Lösung der Reparationsfrage, die im Interesse der wirtschaftlichen Lage in Europa zu wünschen sei. Dafür sei u.a. der Rückzug Frankreichs aus dem Ruhrgebiet notwendig.
Erstmals übersteigen die Tageseinnahmen der Berliner Straßenbahnbetriebe eine Milliarde Mark.
Mittwoch, 4. Juli 1923
In Shelby (Montana) verteidigt der US-amerikanische Boxweltmeister Jack Dempsey (Schwergewicht) erfolgreich den Titel gegen Tom Gibbons (USA) mit einem Punktsieg über 15 Runden.
Nach der ungewöhnlich langen Schlechtwetterphase werden wieder sommerliche Temperaturen gemessen (Berlin: 21°)
Der Luxusliner “Leviathan” verlässt New York. Das größte und luxuriöseste Schiff der Welt (die ehemalige deutsche “Vaterland”) tritt seine Jungfernfahrt über den Atlantik an.
Die Berliner Stadtverordnetenversammlung erhöht die Hundesteuer. Für den ersten Hund eines Haushaltes sind nunmehr 48 000 Mark, für den zweiten 72 000 Mark und für den dritten 96 000 Mark jährlich zu entrichten.
Ricarda Huch veröffentlicht beim Insel Verlag (Leipzig) “Michael Bakunin und die Anarchie”.
In London bricht wegen Herabsetzung der Löhne am 1. Juli ein wilder Dockarbeiterstreik aus; 6000 Arbeiter befinden sich im Ausstand.
Donnerstag, 5. Juli 1923
Nach Abschluss des deutsch-sowjetischen Lieferungsabkommens wird die Sowjetunion in Kürze den Getreideexport aufnehmen. Vereinbart ist die Lieferung von 20 Millionen Pud (rund 328 Millionen kg) Getreide an das Deutsche Reich.
Wegen seiner Beziehungen zu den Faschisten wird der Berufsverband der italienischen Seeleute aus dem internationalen Transportarbeiterverband ausgeschlossen.
Große Erregung herrscht in der deutschen Bevölkerung über die rasante Preissteigerung, die besonders stark die Grundnahrungsmittel betrifft. In Berlin kostet ein Brot nunmehr 12 500 Mark.
Freitag, 6. Juli 1923
In Berlin befinden sich 90 000 Metallarbeiter im Ausstand, weil sie die von der Gewerkschaft ausgehandelte Lohnerhöhung angesichts der täglich steigenden Preise nicht akzeptieren.
Die Reichsdruckerei in Berlin liefert die ersten 500 000-Mark-Scheine an die Reichsbank. Die Banknote über eine Million Mark wird in Kürze ausgegeben.
Unmittelbar nach der Billigung durch das sowjetische Zentralexekutivkomitee tritt die erste Verfassung der UDSSR (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken) in Kraft. Zum Vorsitzenden der ersten Unionsregierung (Rat der Volkskommissare der UdSSR) wird Wladimir I. Lenin gewählt.
Wegen der verschärften Grenzsperre (3. 7.) gelangt nur etwa ein Drittel der bisherigen Lebensmitteltransporte in das besetzte Ruhrgebiet, so dass die Preise noch stärker als im übrigen Deutschen Reich steigen. Im besetzten Höchst kosten Nahrungsmittel 50% mehr als im benachbarten unbesetzten Frankfurt am Main.
Der deutsche Reichstag beschließt eine Reihe von Steuererhöhungen (u.a. Biersteuer), um die inflationsbedingt steigenden Ausgaben des Reichs zu decken.
Sonntag, 8. Juli 1923
Bei den Schwedischen Kampfspielen in Göteborg stellt der Schwede Arne Borg im 1500-m-Freistil mit 21:35,3 min den Weltrekord auf.
Sieger der Tennis-Meisterschaften in Wimbledon (London) sind William M. Johnston (USA), der seinen Gegner Frank Hunter (USA) im Herreneinzel mit 6:0, 6:3, 6:1 schlägt, und die Französin Suzanne Lenglen (genannt die Göttliche), die sich im Dameneinzel mit 6:2, 6:2 gegen die Britin Kathleen (Kitty) McKane durchsetzt.
Auf der Berliner Straße Unter den Linden landet ein Flugzeug vom Typ D 284. Der Pilot Antonius Rab aus Breslau erklärt, ein Motorversagen habe ihn zu der Notlandung gezwungen und er habe sich die breiteste Straße dafür ausgesucht.
Starke Verluste müssen die Sozialdemokraten und die Deutsche Demokratische Partei (DDP) bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Strelitz hinnehmen. Dagegen vergrößern die Kommunisten und die bürgerlichen Rechtsparteien (DNVP/DVP) ihren Stimmanteil erheblich. Erstmals zieht die Deutschvölkische Freiheitspartei in den Landtag ein (drei Sitze).
Montag, 9. Juli 1923
Das Volksgericht München verurteilt nach vierwöchiger Verhandlung den Schriftsteller Georg Fuchs wegen hochverräterischer Unternehmungen zu zwölf Jahren Zuchthaus. Der Mitangeklagte Johann Munk erhält eine Gefängnisstrafe von anderthalb Jahren.
In Lausanne einigen sich die Alliierten und die Türkei über die Räumung Konstantinopels (heute Istanbul), das zur Zeit noch von britischen Truppen besetzt ist.
Ein US-Dollar hat den Kurs von 180.000 Mark.
Für einen Liter Vollmilch in Berlin müssen 4.000 Mark gezahlt werden.
Dienstag, 10. Juli 1923
Während der vergangenen Nacht tobte ein sechsstündiges Gewitter über London. Die Blitzschläge zerstörten 14 Häuser und setzten die Telefonzentrale außer Betrieb.
In London wird der ägyptische Prinz Ali Kamel Fahmi Bey, Präsident der Nationalpartei, von seiner Frau erschossen.
Luigi Sturzo legt sein Amt als Parteiführer der italienischen Popolari (Partito Popolare Italiano) nieder. Damit hat die Oppositionsrolle der Partei gegen den Faschismus, für die Sturzo eintrat, ein Ende. Angeblich hat Ministerpräsident und Duce Benito Mussolini den Vatikan gedrängt, Sturzo zum Rücktritt zu bewegen.
Mittwoch, 11. Juli 1923
Nach offiziellen Angaben hat die Ruhrbesetzung und der „passive Widerstand“ bisher 92 Menschenleben gekostet. Zudem wurden 70.000 Menschen aus dem Gebiet ausgewiesen und 169 Schulen beschlagnahmt, wovon 50.000 Schüler betroffen sind.
Die deutsche Reichsregierung veröffentlicht folgende Bilanz der Ruhrbesetzung: 80 000 französische und 7000 belgische Soldaten sind im Ruhrgebiet stationiert, 17 000 Eisenbahner aus beiden Ländern tun die Arbeit ihrer ausgewiesenen Kollegen. Bisher wurden 92 Menschen getötet und über 70 000 ausgewiesen. Die Beschlagnahme von 169 Schulen betrifft 50 000 Schüler.
Gegen die bürgerlichen Stimmen nimmt der sächsische Landtag die neue Gemeindeordnung an, die eine radikale Umwandlung der bisherigen Verwaltungsordnung bedeutet.
Der österreichische Nationalrat billigt die Wahlreform, die eine Reduzierung der Mandatszahl von 183 auf 165 vorsieht.
Donnerstag, 12. Juli 1923
Im britischen Unterhaus fordert Premierminister Stanley Baldwin die Beendigung der Ruhrbesetzung, weil die Alliierten weniger Reparationen als vor der Besetzung erhalten hätten und zudem das Deutsche Reich in ein wirtschaftliches Chaos treibe, was die Aussicht auf Reparationszahlungen verringere.
Vorübergehend wird die Stadt Barmen (Wuppertal) von einer französischen Armee-Einheit besetzt.
Freitag, 13. Juli 1923
Hermann Ehrhardt, ehemaliger Führer der am Kapp-Putsch beteiligten Marine-Brigade Erhardt, kann aus der Untersuchungshaft in Leipzig fliehen. Am 23. Juli sollte gegen Ehrhardt wegen seiner Beteiligung am Kapp-Putsch (März 1920) verhandelt werden.
Eine Überschwemmungskatastrophe in Nordspanien verwandelt die Umgebung Saragossas in einen See. Die Bahnverbindung nach Barcelona ist unterbrochen.
Samstag, 14. Juli 1923
US-Außenminister Charles Evans Hughes gibt die französische Ratifizierung der Washingtoner Verträge bekannt, die nunmehr in Kraft treten können (17. 8.). Zu dem Vertragspaket (Vom 13. 11. 1921 bis zum 6. 2. 1922 in Washington ausgehandelt) gehören ein Flottenabkommen und das Viermächteabkommen, zwischen den USA, Großbritannien, Frankreich und Japan.
Das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (das spätere Jugoslawien) ratifiziert den Reparationsvertrag mit dem Deutschen Reich. Letzteres verpflichtet sich zur Lieferung von Eisenbahnmaterial.
Das belgische Kriegsgericht in Aachen spricht drei Todesurteile gegen Deutsche aus, die der Sabotage beschuldigt werden. Am 26. Juli wandelt das Gericht die Strafen in lebenslängliche Zwangsarbeit um.
Bei herrlichem Sommerwetter beginnt in München das 13. Deutsche Turnfest, das erste seit Kriegsende. Seit Tagen strömen Hunderttausende Besucher und Turner aus dem In- und Ausland in die festlich herausgeputzte Stadt, von der Bevölkerung freundlich empfangen zu den Turnertagen unter dem Motto: „Für Deutsches Volkstum, deutsche Ehre, Freiheit und Einheit“. Die Veranstalter betonen hingegen den unpolitischen Charakter des Festes. Über der französischen Gesandtschaft weht wegen des französischen Nationalfeiertags am 14. Juli die Trikolore. Vor der Gesantschaft versammelt sich eine wütende Menge, weshalb kurze Zeit später die französischen Diplomaten die Flagge einholen. Adolf Hitler, der nationalsozialistische Parteiführer, nutzt das 13. Deutsche Turnfest in München zu einer Großkundgebung seiner Partei im Zirkus Krone. Hier hält Hitler vor 5.000 Teilnehmern inmitten flatternder Parteifahnen seine Rede vom „Fluch der November-Revolution. Hier habe Hitler „gegen Regierung und Parlament gehetzt“, wie der Korrespondent des Berliner Tagblattes berichtet und sei anschließend mit dem Auto davongefahren. Obwohl während des gesamten Turnfestes das Zeigen von Parteifahnen, -abzeichen und dergleichen verboten war, hatte die NSDAP-Führung dazu aufgerufen, diese Anordnung zu ignorieren. Eine anschließende Demonstration der NSDAP wird von der Polizei gesprengt.
Sonntag, 15. Juli 1923
Als erste Türkin wird die Frau von Mustafa Kemal Pascha (Atatürk), dem Vorsitzenden der Nationalversammlung in Angora (jetzt Ankara) in die Nationalversammlung gewählt.
Montag, 16. Juli 1923
Der Flugverkehr zwischen München- Budapest wird eröffnet. In Wien müssen die Passagiere allerdings umsteigen.
Unaufhaltsam steigt der Dollarkurs. Am 16. Juli 1923 ist der US-Dollar mit 195.000 Mark an der Börse notiert.
Dienstag, 17. Juli 1923
Wegen nicht bezahlter Kohlensteuer besetzen die Franzosen die Hamborner Thyssenwerke und beschlagnahmen die Kohlen- und Koksvorräte.
Das Institut für Krebsforschung in der Berliner Charité erhält eine neue Abteilung für experimentelle Zellforschung, die Krebsbehandlungsmethoden erforschen soll.
Mittwoch, 18. Juli 1923
Die Reichsregierung sieht sich zu einer öffentlichen Stellungnahme zu der in der Presse erörterten Möglichkeit eines Bürgerkriegs genötigt. Die Mehrheit der Bevölkerung sei gegen eine gewaltsame Auseinandersetzung. Die Reichsregierung würde “alle Machtmittel rücksichtslos einsetzen”.
Besonders die SPD fordert im bayerischen Landtag die Aufhebung der bayerischen Notverordnung vom 11. Mai 1923, weil sie einseitig gegen die Linken eingesetzt werde. Viele Redner verurteilen den Versuch der Nationalsozialisten, das 13. Deutsche Turnfest zu stören.
Italien gibt sein Programm der Italienisierung Südtirols bekannt. Das bislang zu Österreich-Ungarn gehörende Südtirol ist seit 1919 italienisch, sehr zum Unmut der dortigen Bevölkerung.
Der Deutsche Katholikentag darf aufgrund eines Verbots der Rheinlandkommission nicht in Köln abgehalten werden.
Freitag, 20. Juli 1923
Der posteigene Sender in Königs-Wusterhausen beginnt mit der regelmäßigen Sendung eines eigenen Rundfunkprogramms.
Nach weiterem Kursanstieg müssen für einen US-Dollar nunmehr 284.000 Mark aufgewendet werden.
Die britische Regierung strebt eine gemeinsame Haltung der Alliierten in der Reparationsfrage an. Sie schlägt u.a. vor, die deutsche Zahlungsfähigkeit durch unabhängige Sachverständige feststellen zu lassen. Frankreich und Belgien lehnen dies am 29. Juli ab.
In Gleiwitz und Breslau kommt es im Anschluss an Demonstrationen zu schweren Ausschreitungen und Plünderungen durch zahlreiche Erwerbslose. Sechs Personen werden getötet und über 1.000 verhaftet.
Reichsarbeitsminister Heinrich Brauns (Zentrum) erlässt Richtlinien für die Löhne in der Privatindustrie. Der Maßstab für die Anpassung der Löhne an die Inflation ist der Lebenshaltungsindex. Die Lohnauszahlung soll in möglichst kurzen Zeiträumen erfolgen.
Samstag, 21. Juli 1923
Zum zweiten Mal misslingt dem US-amerikanischen Fliegerleutnant Russel Maugham der Transkontinentalflug über die USA. Wegen eines Motorschadens muss Maugham 598 Meilen (962 km) vor San Francisco landen. Jedoch hat er mit 15 Stunden einen Rekord im Dauerfliegen aufgestellt.
In seinem Finanzgutachten zur Reparationsfrage kommt das renommierte Institute of Economics (New York) zu dem Ergebnis, das Deutsche Reich könne zur Zeit nicht zahlen.
Die Separatistenführer Joseph Smeets, Hans Adam Dorten und Joseph Friedrich Matthes gründen die Rheinische Vereinigung, einen Zusammenschluss ihrer Bewegungen.
Montag, 23. Juli 1923
General Max Hoffmann, Kommandeur der deutschen Ostfront im Weltkrieg, veröffentlicht in der Zeitung “Manchester Guardian” seine Kriegserinnerungen.
Der Wert der Mark scheint im freien Fall, für einen US-Dollar werden an der Devisenbörse 350.000 Mark bezahlt.
Im britischen Unterhaus warnt der Labour-Abgeordnete Ramsey MacDonald vor erneuter Aufrüstung.
Da es wiederholt zu Teuerungsunruhen gekommen ist, erlässt die preußische Regierung ein Verbot von Versammlungen unter freiem Himmel.
Dienstag, 24. Juli 1923
Prinzessin Margarethe von Hohenlohe-Öhringen, eine Freundin des Freikorpsführers Hermann Ehrhardt, wird vom Staatsgerichtshof in Leipzig wegen Hochverratsbegünstigung und Meineids zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt.
In Lausanne unterzeichnen die Türkei einerseits und Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan, Griechenland, Rumänien und das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (das spätere Jugoslawien) andererseits, den Friedensvertrag von Lausanne (sog. Orientfrieden).
Mittwoch, 25. Juli 1923
In den Städten des Deutschen Reichs leidet die Bevölkerung unter einer zunehmenden Lebensmittelknappheit. Der Kartoffelverkauf in Berlin muss unter Polizeischutz stattfinden, weil sich die Händler dem Ansturm der Kunden nicht gewachsen fühlen.
An der Devisenbörse kommt es zu einem weiteren Marksturz. Der Kurs des US-Dollar steigt bis auf 600 000 Mark.
In Bayern werden kommunistische Kundgebungen verboten.
In London liefern sich die streikenden Dockarbeiter und die Polizei heftige Kämpfe, nachdem die Streikenden versucht haben, neuangeworbene unorganisierte Arbeiter an der Arbeit zu hindern.
Die italienische Kammer nimmt die von den Faschisten eingebrachte Wahlreform an, die ein die größte Partei bevorzugendes Prämiensystem vorsieht.
Donnerstag, 26. Juli 1923
Täglich lässt die Reichsbank zwei Millionen Banknoten drucken.
Durch das Reichswohnungsmangelgesetz werden Neubauten von der öffentlichen Bewirtschaftung ausgenommen.
Samstag, 28. Juli 1923
Reichspräsident Friedrich Ebert und die Reichsregierung richten an die wegen der katastrophalen Wirtschaftslage beunruhigte Bevölkerung einen Aufruf zur Ruhe und Ordnung. Gleichzeitig appellieren sie eindringlich an die Landwirtschaft, so schnell wie möglich die Ernteerträge (Kartoffeln) zu liefern.
Vertreter der Kleinen Entente (Bündnissystem zwischen der Tschechoslowakei, Rumänien und dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen) treffen in Sinaja (Rumänien) zusammen (bis 29. 7.).
Der Wert der Mark fällt weiter. An der Devisenbörse kostet ein US-Dollar heute 758.100 Mark.
Sonntag, 29. Juli 1923
In Berlin findet eine aufsehenerregende Pazifistenkundgebung statt. Einer der Redner ist der Physiker und Nobelpreisträger Albert Einstein.
Montag, 30. Juli 1923
Eine Gruppe von 30 Reichstagsabgeordneten der SPD-Fraktion um Paul Levi fordert den Rücktritt des Kabinetts Cuno und lehnt vorerst die Koaltionsunterstützung ab. Auch die Führung des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) spricht dem Reichskanzler in einer gemeinsamen Besprechung ihr Vertrauen ab.
Erstmals überschreitet der US-Dollar die Millionengrenze (amtliche Notierung). Ein US-Dollar hat einen derzeitigen Kurs von 1.100.000 Mark. Verglichen mit dem 1. Juli, ist damit eine Verzehnfachung der Preise eingetreten.
Scharf weist Reichswehrminister Otto Geßler (DDP) die Zweifel des SPD-Organs “Vorwärts” an der Verfassungstreue der Reichswehr zurück.
Bei einer Besprechung mit Reichskanzler Wilhelm Cuno in Berlin signalisieren die Führer der deutschen Gewerkschaften, dass sie das Vertrauen in seine Regierung verloren haben.
In Kreiensen kommen 52 Menschen bei einem schweren Eisenbahnzusammenstoß ums Leben.
Dienstag, 31. Juli 1923
Der Begriff „Raffke“ bezeichnet einen Wucherer, habgierigen Schleichhändler, Kriegsgewinnler, Emporkömmling (damals noch „parvenu“ genannt) oder ungebildeten Neureichen. Er ist eine Ableitung aus dem Mittelhochdeutschen „raffen“, was so viel heißt wie „eilig an sich reißen“.
Seine Berlinische Herkunft ist, so ähnlich wie bei „Piefke“ oder „Steppke“, unverkennbar. Den Ausdruck mag es schon länger geben, so richtig gebräuchlich ist er erst seit dem Ende des Weltkrieges. Als Inbegriff des „Raffke“ gilt Hugo Stinnes mit seinem gigantischen Montan-, Industrie- und Handelskonzern, in der Öffentlichkeit weniger bekannt hingegen ist Jacob Schapiro, ein aus Odessa stammender jüdischer Autohändler, Taxiunternehmer und Börsenspekulant. Durch ruppige Geschäftsmethoden hat er, die Inflation ausnutzend, riesige Gewinne erzielt und 40% der Aktien der Benz AG erworben, weshalb er folgerichtig am 31. Juli 1923 in den Aufsichtsrat der Benz AG gewählt wird.
II. Besatzung durch die Franzosen – deutsch-französische Animositäten – Frage der Reparationen
Frankreich wird zwar von den anderen Mächten in seiner Politik gegen Deutschland unterstützt, doch diese Unterstützung scheint zu bröckeln. Sowohl Großbritannien, als auch die USA oder der Vatikan versuchen Einfluss auf die Regierung Poincaré zu nehmen, dass diese nachsichtiger mit Deutschland umgehen sollen.
– Große Kartoffelnot in der Pfalz, WA 147/1923 vom 01.07.1923
– Poincaré kehnt Papstbrief ab, WA 148/1923 vom 03.07.1923
– Französisches Verbot für Teilnahme an Deutschem Turnfest, WA 148/1923 vom 03.07.1923
– Wien, Solidarität deutscher Ärzte, WA 149/1923 vom 04.07.1923
– Eine bedeutsame päpstliche Warung an Frankreich, WA 153/1923 vom 08.07.1923
– Der Hunger an der Ruhr, WA 157/1923 vom 13.07.1923
– Nicht einmal die Bienen wollen französisch sein, WA 159/1923 vom 15.07.1923
– Die Auffassung Breitscheids, WA 161/1923 vom 18.07.1923
– Die unangenehmen Photographien, WA 163/1923 vom 20.07.1923
– Der Gipfel gallischer Ungeheuerlichkeit, WA 165/1923 vom 22.07.1923
– Ein taubstummes Kind erschlagen, WA 166/1923 vom 24.07.1923
– Spartakus ruft zum Bürgerkrieg auf, Poincaré lacht, WA 170/1923 vom 28.07.1923
– Die Schandtafel, WA 170/1923 vom 28.07.1923
– Frankreichs Attentat auf den Welthandel, WA 171/1923 vom 29.07.1923
III. Inflationsentwicklung, Ernährungsversorgung, wirtschaftliche Entwicklung und Armut der Bevölkerung
Im Monat Juli verfällt der Kurs der Mark auf den internationalen Devisenmärkten dramatisch. Lag der Kurs Anfang des Monats noch bei ca. 140.000 Mark, so mussten Ende Juli bereits 1,1 Millionen Mark für einen US-Dollar aufgewendet werden. Als Folge trat eine massive Verarmung der egsamten Bevölkerung ein, was auf die Ruhrbesetzung durch Frankreich und den passiven Widerstand zurückzuführen sein dürfte.
– Pferdespeise, WA 149/1923 vom 04.07.1923
– Für Touren und Reisen, WA 149/1923 vom 04.07.1923
– Landshut, 4. Juli, WA 152/1923 vom 07.07.1923
– Zusammenbruch der Fleischversorgung in München, WA 153/1923 vom 08.07.1923
– Brotpreis und Publikum, WA 153/1923 vom 08.07.1923
– Über eine Milliarde Tageseinnahmen, WA 153/1923 vom 08.07.1923
– Mit der Aufschrift: „1 Million“, WA 153/1923 vom 08.07.1923
– Wie viel Geld darf?, WA 154/1923 vom 10.07.1923
– Der Wochenindex, WA 155/1923 vom 11.07.1923
– Gebt den Hunden Wasser, WA 157/1923 vom 13.07.1923
– Das zuckerlose Einmachen, WA 157/1923 vom 13.07.1923
– Übersee, 11. Juli, WA 158/1923 vom 14.07.1923
– An unsere Postbezieher, WA 160/1923 vom 17.07.1923
– Fleisch- und Brotnot in Bayern, WA 160/1923 vom 17.07.1923
– Eingesandt, Die Zuckerbelieferung im Juli, WA 161/1923 vom 18.07.1923
– Der neue Bierpreis, WA 162/1923 vom 19.07.1923
– Der wertbeständige Lohn, WA 164/1923 vom 21.07.1923
– Die Baukosten im Juni, WA 164/1923 vom 21.07.1923
– Ein Mann, der keine Angst hat, WA 164/1923 vom 21.07.1923
– An unsere Bezieher, WA 168/1923 vom 26.07.1923
– Hundesabgabe, WA 169/1923 vom 27.07.1923
– Die Zehntausendmark-Marke kommt, WA 171/1923 vom 29.07.1923
– Die Ernährungslage in Berlin, WA 171/1923 vom 29.07.1923
– Sitzung des Reichskabinetts, WA 172/1923 vom 31.07.1923
– Gegen die wachsende Not, WA 172/1923 vom 31.07.1923
IV. Vermischte Meldungen – allgemeine politische Entwicklung
Aus der bayerischen Notverordnung vom 11.05.1923:
„Ein Deutscher, der vorsätzlich während der in Friedenszeiten erfolgten Besetzung deutschen Gebiets durch eine fremde Macht dieser Macht Vorschub leistet, wird mit lebenslänglichem Zuchthause oder mit Zuchthaus nicht unter zehn Jahren bestraft.“
– Verheerender Wolkenbruch am Ossiacher See, WA 148/1923 vom 03.07.1923
– Aichach – unerwünschter Segen, WA 148/1923 vom 03.07.1923
– Ein Italiener als Theaterdirektor, WA 149/1923 vom 04.07.1923
– Ein Schwindler, WA 150/1923 vom 05.07.1923
– Der Völkische Beobachter, WA 151/1923 vom 06.07.1923
– BVP-Treffen in Wasserburg wg, bayerischer Notverordnung vom 11.5.23 (s.o.), WA 152/1923 vom 07.07.1923
– Geheimrat Dr. Held in Wasserburg (aus dem gleichen Grunde), WA 152/1923 vom 07.07.1923
– Geheimrat Dr. Held in Wasserburg, WA 154/1923 vom 10.07.1923
– Deutschland in den Völkerbund?, WA 154/1923 vom 10.07.1923
– Ein Attentatsplan auf Hitler?, WA 158/1923 vom 14.07.1923
– Verbot des Völkischen Beobachters, WA 161/1923 vom 18.07.1923
– Neuer Milliardenraub, WA 163/1923 vom 20.07.1923
– Schlageter, WA 164/1923 vom 21.07.1923
– Die heilige Pflicht, WA 165/1923 vom 22.07.1923
– Neubau des Deutschen Museums, WA 166/1923 vom 24.07.1923
– Freigabe der drahtlosen Telephonie, WA 167/1923 vom 25.07.1923
– Fangen auch die Italiener an?, WA 167/1923 vom 25.07.1923
– Hundstage, WA 168/1923 vom 26.07.1923
– Der Antifaschistentag, WA 168/1923 vom 26.07.1923
– Tschechoslowakei rechnet Bürgerkrieg in Deutschland, WA 169/1923 vom 27.07.1923
V. Bemerkenswertes aus Wasserburg und Umgebung
– Frauenverein vom roten Kreuz Wasserburg – Gedenktafelenthüllung, WA 147/1923 vom 01.07.1923
– Umgebung und angrenzende Bezirke, Enthüllung der Gedenktafel, WA 148/1923 vom 03.07.1923
– Gedächtnisrede des Herrn Bürgermeister Winter, WA 149/1923 vom 04.07.1923
– Wang – Eigentümlicher Einfall, WA 149/1923 vom 04.07.1923
– Zitherkonzert in Wasserburg, WA 150/1923 vom 05.07.1923
– Amerang, 4. Juli
– Griesstätt, WA 154/1923 vom 10.07.1923
– Eine Morgenaufführung der Liedertafel, WA 158/1923 vom 14.07.1923
– Die Semmelwährung, WA 159/1923 vom 15.07.1923
– Die Roggenernte, WA 163/1923 vom 20.07.1923
– Erkärung, WA 163/1923 vom 20.07.1923
– Grund- und Hausbesitzerverein, WA 166/1923 vom 24.07.1923
– Amerang, Fahnenweihe, WA 170/1923 vom 28.07.1923
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