Mordfall Hanna W.: Verhandlung gestern in Traunstein fortgesetzt 

Pünktlich um 9 Uhr eröffnet die Vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler gestern den dritten Verhandlungstag in der Mordanklage gegen Sebastian T. vor dem Schwurgericht in Traunstein (wir berichteten). Sie wendet sich als erstes an den Angeklagten, der bisher nichts, aber auch gar nichts aussagen will. Die Richterin signalisierte ihm deutlich, dass sie ihn für einen möglichen Täter hält. „Solche Aussagen einer Richterin mögen nicht üblich sein“, räumt sie ein, aber hier sei es angebracht. „Es ist wie ein Puzzle“ und das Gericht wolle alle Puzzleteile zusammentragen lassen, bis das Bild vollständig ist. „Sie können jederzeit aussagen“, wendet sie sich an den Angeklagten, „je früher Sie es tun, desto besser für Sie“, ergänzt sie und fügt noch hinzu: „Es werden Freunde von Ihnen aussagen, die haben kein Zeugnisverweigerungsrecht und müssen die Wahrheit sagen. Es wird Ihren Druck erhöhen, hier uns auch die Wahrheit zu sagen.“

 

Hanna W. war am 3. Oktober in der Nacht zwischen 2.30 und 3 Uhr in Aschau zunächst mit einem Stein bewusstlos geschlagen worden und ist dann in der Prien ertrunken. Die Richterin wendet sich  eindringlich an den Angeklagten: Am 17. Oktober 2022 habe er bei der Polizei Aussagen gemacht, die Informationen enthalten haben, die nur der Täter haben konnte. „Hatten Sie Täterwissen oder haben Sie hellseherische Fähigkeiten?“ Richterin Aßbichler: „Ich rate Ihnen, reden Sie offen mit Ihren Verteidigern.“ Und an Harald Baumgärtl und Dr. Markus Frank, die beiden Verteidiger des Angeklagten gerichtet, meint sie nur: „Ich habe den Eindruck, Ihr Mandant versteht den Ernst der Lage nicht.“

Bevor das Gerichtsverfahren mit der weiteren Einvernahme des leitenden Kriminalkommissars fortgesetzt wurde, meldete sich noch der Staatsanwalt zu Wort: Ein Häftling der Haftanstalt, in der der Angeklagte einsaß und mit dem er eine Zelle teilte, habe ausgesagt, dass der Angeklagte ihm gegenüber den Mord an Hanna W. zugegeben habe.

Daraufhin baten die Verteidiger um eine Unterbrechung der Verhandlung um 15 Minuten. Tatsächlich wurde der Prozess für über 30 Minuten unterbrochen. Am Ende der Unterbrechung sagt der Angeklagte jedoch erneut nichts.

Der am ersten Verhandlungstag vernommene Kriminalhauptkommissar wurde noch einmal in den Zeugenstand gerufen. Er führte aus, dass der heute Angeklagte am 11. Oktober, also acht Tage nach dem Mord, als Zeuge vernommen worden sei. Während der ersten Vernehmung habe der Angeklagte bereits blass und innerlich aufgewühlt gewirkt. Bei der Verhandlung verhält sich der Angeklagte ruhig, so, als wollte er den Eindruck erwecken, mit allem, was hier verhandelt wird, nichts zu tun zu haben. Seine Kleidung wurde erst am Tag nach der seiner Aussage sichergestellt, weil man von Zeugen solche Beweismittel für gewöhnlich eben nicht sicherstellt. Bei der forensischen Untersuchung wurden an der Kleidung des Angeklagten Sebastian T. Blutreste gefunden. Da die Kleidung aber mehrfach gewaschen worden sei, sei eine Zuordnung zum Mordopfer nicht mehr möglich gewesen.

Richterin Aßbichler will vom Zeugen wissen, was der entscheidende Punkt gewesen sei, durch den der Angeklagte ins Visier der ermittelnden Beamten geriet. Man habe zwei Bekannte als Zeugen vernommen, die aus Gesprächen mit Sebastian T. Wissen erlangten, das eindeutig Täterwissen nahegelegt habe.

Die 18-jährige Schwester einer jungen Frau, um die sich Sebastian T. mehrfach erfolglos bemüht haben soll, wurde gestern als Zeugin vernommen. Sie sagte aus, der der Angeklagte nach dem 3. Oktober 2022 mehrfach im Hause ihrer Familie anwesend gewesen sei, immer häufiger vorbeigeschaut habe. Auch sie beschrieb Sebastian T., ähnlich wie vorher der leitende Ermittler der Kripo,  als schüchtern und vielleicht ein wenig spröde. Auf jeden Fall hatte er eigentlich keine Freunde. „Er ist irgendwie anders.“ Was aber aufgefallen sei, ist die Tatsache, dass er sich nach dem 3. Oktober 2022 regelmäßig „mit Alkohol zugeschüttet“ habe, sich dann habe übergeben müssen und dann nicht selten bei der Familie übernachtet.

Der 18-jährigen Frau fiel es gestern schwer, sich vor Gericht zu äußern, sie war von den vielen Menschen, die ihr zuhörten und von ihr Dinge wissen wollten, die sich vor einem Jahr ereignet hatten, sichtlich verunsichert.

Am Tag der Ermordung von Hanna W., dem 3. Oktober 2022, sei sie am Nachmittag mit dem Angeklagten in Felden beim Tischtennisspielen gewesen. Da habe ihr der Angeklagte erzählt, dass in Aschau eine Frau getötet worden sei. Zu dem Zeitpunkt, als er dies erzählt habe, so wird im Laufe der Verhandlung deutlich, habe es aber noch überhaupt keine Pressemitteilung über einen Todesfall in Aschau gegeben.

„Ich bringe Dich um“

Ein ermittelnder Beamter der Kripo wurde gestern auf Grund der Aussagen der jungen Frau deutlich: Der Angeklagte saß mit den beiden Schwestern im Auto, Sebastian T. auf dem Beifahrersitz, die von ihm verehrte Schwester sei am Steuer gewesen, die 18-jährige Schwester auf dem Rücksitz. Da habe Sebastian T. seine Hand auf den Oberschenkel der Fahrerin gelegt und sei von beiden Frauen aufgefordert worden, das zu unterlassen, dann habe er ein Klappmesser gezogen, der Fahrerin an den Hals gehalten, habe gelacht und gesagt: „Ich bringe Dich um“ und habe das Taschenmesser wieder eingesteckt. Dann habe er lauthals gelacht, aber beiden Frauen hätten das Ganze als höchst unangenehm empfunden. Die 18-jährige Schwester äußert sich zu diesem Erlebnis in der weise, dass er etwas von ihrer Schwester „wollte“. „Einmal hat er sie an Stellen berührt, die nicht normal sind.“

Schließlich wurde noch die Mutter der beiden Schwestern vernommen, auch ihr fiel es schwer, vor Gericht auszusagen. Sie beschrieb den Angeklagten als sehr ruhig, teilweise als „auffallend ruhig“. Sebastian T. sei Nichtraucher gewesen und habe nach dem 3. Oktober 2022 mehrfach geraucht und er habe immer ein Taschenmesser bei sich geführt, sei stolz gewesen, eins zu besitzen. Auch die Mutter bestätigte, dass Sebastian T. sich nach dem 3. Oktober 2022 regelmäßig „mit Alkohol zugeschüttet“. Bei einer Hausparty am 17. November 2022 sei Sebastian sehr ruhig gewesen und habe dann plötzlich und unvermittelt gesagt: „Ja, i hab’s umbracht!“. Sie habe ihm daraufhin geraten, er solle sich einen Anwalt nehmen. Ob der Satz tatsächlich so gefallen sei, wollte die Richterin von der Mutter nochmals genau wissen. Letztere bestätigte das und erklärte, sie habe danach „ersten einmal eine rauchen“ müssen. Und auf die Frage warum sie am 22. November 2022 diesen Satz bei der Polizei nicht geäußert habe, wusste sie keine Antwort zu geben, sie konnte nur noch bestätigen, dass Sebastian T. nach dem 3. Oktober 2022 seinen Kontakt zu ihrer Familie intensiviert habe. Er habe irgendwie ihre Wohnung als Rückzugsort angesehen.

Das Gericht hat sich gestern nach längerer Verhandlung vertagt und will in der kommenden Woche den Mithäftling, der aussagen soll, dass Sebastian T. den Mord an Hanna W. zugegeben habe, vor Gericht vernehmen.

Da der Angeklagte nichts sagt, wird das Puzzlespiel, von dem die Richterin sprach, wohl fortgesetzt werden müssen.

 

PETER RINK