Konzert-Höhepunkte so unangestrengt und frisch: Der Wasserburger Bach-Chor
Es ist müßig zu spekulieren, welchen Platz Johann Sebastian Bach heute unter den reichsten Männern dieser Erde einnehmen würde – wenn er noch lebte: Allein das „Weihnachtsoratorium“ wurde heuer im nahen Umkreis mehrmals aufgeführt. Das Publikum füllt nach wie vor die Säle und Kirchen, um dem Goldglanz Bachscher Weihnachtsmusik zu lauschen. Das Werk des Thomaskantors nützt sich auch bei oftmaligem Hören nicht ab – im Gegenteil, in der reichen Fülle entdeckt man immer wieder neue Details, die man bisher im dramatischen Fluss nicht bewusst wahrgenommen hatte.
Der Wasserburger Bach-Chor und seine Leiterin Angelica Heder-Loosli (Foto) wollten sichtlich nicht mit breitem Pinsel arbeiten, sondern die sprudelnde und expressive Frische vieler Einzelheiten in hellem Licht erstrahlen lassen. Dazu stand ein exzellentes Orchester zur Verfügung, wie auch profilierte Gesangssolisten mit persönlicher Ausstrahlung. Blitzblank erreichte das Publikum Bachs Musik der Kantaten 4 bis 6 (also Teil Zwei des Oratoriums), als handelte es sich um eine ambitionierte Uraufführung.
Dass Teil Zwei nicht „zweite Wahl“ bedeutet wurde schnell deutlich. Zwar fehlt jetzt die „Kripperl-Romantik“ und das Weihnachts-Geschehen wird mehr theologisch ausgelotet: Der Name Jesu erscheint als tröstendes „Mantra“ für jede Lebenslage, als Schutzschild gegen Tod und das „Schnauben der stolzen Feinde“. Und schließlich stehen sich Licht und Finsternis gegenüber – König Herodes und die Weisen aus dem Morgenland…Stephan Ametsbichler machte moderierend Anliegen und Intentionen des von Bach dramatisch aufbereiteten Textes transparent und setzte damit auch wohltuende Zäsuren zwischen den einzelnen Kantaten.
Zu den Details:
Die Sopran-Arie (am Neujahrstag) sang Gerlinde Sämann schlicht, innig und zu Herzen gehend: „Flößt mein Heiland auch den allerkleinsten Samen jenes strengen Schreckens ein? Nein, du sagst ja selber: nein.“ Und nun gestaltet Wiebke Stüper ihr echohaftes „Nein“ nicht nur als puren Nachhall, sondern pointiert und fordernd bekräftigt sie diese Verneinung. Ebenso die folgende zuversichtliche Bejahung: „Oder soll ich mich erfreuen? Ja, du Heiland sprichst selbst: ja“! Komplettiert wird diese Arie von den delikat anschmiegsamen Solo-Oboen (Aliya Battalova und Christelle Lecointe).
Herodes, der skrupellose Machtmensch, schlägt den drei Weisen vor, sie möchten ihm doch kundtun, wo das königliche Kind zu finden sei. In dem kurzen, prägnanten Rezitativ lässt der Bass Florian Dengler die Scheinheiligkeit des Herodes hörbar werden. Mit körnig sonorer Stimme entlarvt er den gerissenen Diplomaten und akzentuiert den kleinen melodischen Schnörkel bei den Worten: „…dass ich auch komme und es anbete“. Heuchelei! pur!
Ein weiterer berührender Moment
Der Tenor Moon Yung Oh, der als Evangelist nicht nur als „braver“ Berichterstatter fungiert, sondern auch, wenn‘s sein muss, die Worte mit Kraft und Härte artikuliert, zählt mit Nachdruck die Geschenke der Drei Könige auf: „Gold, Weihrauch und Myrrhen.“ Pause – einige Sekunden lang. Und fast unvermutet beginnt der große Chor in zartestem Piano, ganz auf den Atem gestützt mit dem Choral „Ich steh an deiner Krippen hier…“ Grandios!
Gegen Ende der fünften Kantate findet eine kleine dramatische Szene statt: Sopran und Tenor jammern: „Ach, wann wird die Zeit (des Messias) erscheinen?“ Da fährt ihnen mit Vehemenz der Alt in die Parade: „Schweigt, er ist schon wirklich hier!“ Kerstin Rosenfeldts Alt-Stimme besitzt Kraft und Gewalt, die mühelos die Klagenden zur Raison bringt.
Die rasanten instrumentalen Solo-Partien sind nur absoluten Könnern anzuvertrauen: Marija Hackl und Angela Büsel wetteiferten in der Tenor-Arie „Ich will dir zu Ehren leben“, brillierten mit stupender Virtuosität und ordneten sich doch maßvoll ins Gesamtgeschehen ein. Für den unabdingbar schmetternden Glanz sorgten solistisch auf Trompete und Horn Konrad Müller und Christoph Eisert. Zuverlässig, rhythmisch geschmeidig und immer am Ball die Continuo-Gruppe: Rafael Gütter (Violoncello), Monika Aufschläger (Kontrabass) und Thomas Pfeiffer (Orgel).
Was bleibt nachzutragen? Der Chor! Sind Solisten ja meistens Profis, so besteht eine chorische Vereinigung aus singbegeisterten Laien. Ihnen die Stimme zu bilden, das technische Knowhow zu vermitteln und nicht zuletzt eine harmonische Stimmung, ein freundschaftliches Miteinander zu schaffen – das ist und war schon immer die Sache der erfolgreichen Chorleiterin Angelica Heder-Loosli.
Der zahlenmäßig starke Chor war in der Pfarrkirche St. Georg in Schloßberg auf Podesten gut sichtbar als zentraler Klangkörper postiert – die erste Aufführung fand im Wasserburger Rathaussaal statt.
Die Freude an der gelungenen Leistung, das Singen mit dem ganzen Körper, die unglaubliche Präsenz waren auch ein optischer Zugewinn fürs Publikum. Die Spitzentöne im Sopran, die Ausgewogenheit der Stimmen, die unglaubliche Leichtigkeit und rhythmische Präzision etwa zu Beginn der fünften Kantate „Ehre sei dir Gott“ – alles klang unangestrengt, frisch und spannend.
Vierzig Jahre und kein bisschen müde: Man darf dem Wasserburger Bach-Chor zu dieser Jugendlichkeit gratulieren.
Walther Prokop
Foto: Werner Gartner
Endlich mal eine richtige, aussagekräftige Zeitungskritik von einem informierten Schreiber! Ich habe sie gerne gelesen. Danke dafür.