Plädoyers im Prozess um den Tod von Hanna W. - Verteidigung plädiert auf Freispruch - Urteil am 19. März

Der 34. Verhandlungstag im Prozess um die gewaltsame Tötung von Hanna W. ging gestern vor dem Landgericht Traunstein über die Bühne. Und es dürfte wohl der vorletzte Termin in dieser Angelegenheit gewesen sein, denn gestern standen  die Plädoyers vom Staatsanwalt, der Nebenklage und der Verteidiger auf dem Programm. Die Staatsanwaltschaft forderte neuneinhalb Jahre Haft für den Angeklagten, die Verteidiger plädierten auf Freispruch.

Der Prozesstag begann mit einem Paukenschlag: Vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler bat die Anwesenden um Verständnis für die Tatsache, dass heute alle Besucher eingehender hätten kontrolliert werden müssen, außerdem gebe es eine verstärkte Polizeipräsenz im Gerichtssaal. „Wir haben einen konkreten Amok-Hinweis an das Gericht erhalten.“ Man müsse sich aber keine unnötigen Sorgen machen, denn „wir haben alles im Griff.“

In der Tat, die Schlange der Menschen, die auf Einlass ins Gerichtsgebäude warteten, war wesentlich länger als an den anderen Verhandlungstagen. Natürlich war auch der Andrang deutlich höher, denn viele wollten dabei sein, wenn der Mordprozess Hanna W. mit den Plädoyers des Staatsanwalts, des Nebenklägervertreters und der Verteidiger in die Schlussphase einbiegt.

Vor fünf Monaten, am 12. Oktober 2023, war der Prozess eröffnet worden und am 34. Verhandlungstag wurden nun die Plädoyers gehalten. Staatsanwalt Wolfgang Fiedler begann sein sechzigminütiges Plädoyer mit einer akribisch genauen Schilderung der letzten Stunden im Leben der Hanna W. Er sagte vor dem Gericht, dass er insbesondere die Geschehnisse zwischen dem 2. Oktober 2022, 19.50 Uhr und dem 4. Oktober2022, 0.56 Uhr unter die Lupe nehmen wolle. Und Fiedler betonte immer wieder, wie akribisch die Sonderkommission „Club“ hier gearbeitet und ermittelt habe.

Hanna sei um 23.15 Uhr an diesem 2. Oktober 2022 gemeinsam mit ihrem Bekannten zur Discothek „Eiskeller“ in Aschau gegangen und habe die Discothek am 3. Oktober um 2.19 Uhr wieder verlassen. Um 2.26 Uhr sei sie in die Kampenwandstraße eingebogen, um 2.32 Uhr habe sie über die Notruffunktion ihres Handys versucht, daheim bei ihren Eltern anzurufen, zu einem Kontakt sei es aber nicht mehr gekommen. Ab 2.33 Uhr und 35 Sekunden, so habe es die Auswertung ihres Handys ergeben, seien die Daten ungenau gewesen.

Die Darstellung der Tatumstände erfuhr nun einen zeitlichen Abbruch und wurde erst um 14.26 Uhr wieder aufgenommen. Das war der Moment, als der leblose Körper von Hanna W. in der Prien im Ortsteil Kaltenbach gefunden wurde. Um 16.02 Uhr, so führte Fiedler weiter aus, habe man dann die Leiche der Hanna W. geborgen. Um wen es sich dabei handelte, wusste man zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht. Als um 17.31 Uhr eine Leichenschau vorgenommen wurde, war die Identität des Todesopfers noch unklar. Erst nach 22.13 Uhr an diesem Tage verdichtete sich zur Gewissheit, dass es sich um Hanna W. handeln musste, nämlich, als Hannas Vater seine Tochter als vermisst meldete. Um 23 Uhr sei dann die Polizei zu den Eltern von Hanna W. gefahren und habe die traurige Nachricht überbracht, nämlich, dass Hanna W. das Todesopfer aus der Prien sei.

Tod durch Unfall scheidet aus

Und am 4. Oktober 2022 um 0.56 Uhr waren sich die ermittelnden Beamten auf Grund der Verletzungen von Hanna W. sicher, dass ein Gewaltverbrechen vorliegen müsse. Die Obduktion hatte ergeben, dass die Verletzungen von dritter Hand zugefügt worden seien. Ein Unfall scheide auf Grund der Verletzungen von Hanna W. als Todesursache aus. Die Obduktion ergab wohl auch, dass Hanna W. nicht selbst verschuldet in den Bärbach gefallen sein könne, zumal es auch keine Stelle in der Prien gebe, an der die Verletzungen, die der Körper von Hanna W. aufwies hätten entstanden sein können.

Hanna W. sei anschließend fünfmal auf den Kopf geschlagen und dann, zumindest bewusstseinstrüb, in den Bärbach geworfen worden. Sie sei nur nach weiteren fünf Minuten auch an ihrer starken Alkoholisierung verstorben.

Nunmehr wendete sich Staatsanwalt Fiedler dem Angeklagten zu. Er sei zur Tatzeit am Tatort gewesen, die von ihm beschriebene Laufstrecke führe sowohl am Eiskeller, als auch am Tatort vorbei. Es gebe Zeugen, führte Fiedler aus, die den Jogger, gemeint ist der Angeklagte, gesehen hätten, einen weiteren Jogger habe es nicht gegeben. Die Einlassung, der Angeklagte habe zur Tatzeit das Computerspiel „clash of clans“ gespielt, sei abwegig, da dieses Spiel erst ab 2.42 Uhr in dieser Nacht aufgerufen worden sei. Es sei ein verzweifelter Versuch, dem Angeklagten ein Alibi zu geben, meinte Fiedler.

Angeklagter hatte Täterwissen

Die zwei Geschwister, mit denen der Angeklagte befreundet gewesen sei und die den Angeklagten später belastet hätten, hätten überhaupt keinen Grund gehabt, den Angeklagten ohne Not zu belasten. Auch die Versuche der Verteidigung vor Gericht, die Gespräche zwischen den Geschwistern und dem Angeklagten um 24 Stunden auf den 4. Oktober zu verschieben, gingen ins Leere, da der 3. Oktober ein Feiertag gewesen sei und am 4. Oktober zumindest eine der beiden Schwestern nachweislich in der Berufsschule in Traunstein gewesen sei. Das wichtige Gespräch, als der Angeklagte den beiden Schwestern gegenüber von einer Toten aus Aschau gesprochen habe, müsse also zwingend am 3. Oktober 2022 stattgefunden haben. An diesem Tage, zu diesem Zeitpunkt, habe aber niemand von dem Tode Hanna W. wissen können, also sei zwingend bewiesen, dass der Angeklagte über Täterwissen verfügt habe, denn selbst in den Online-Medien sei von dem Tode Hanna W. erst ab dem 4. Oktober 2022 nach 16.50 Uhr berichtet worden.

Darauf wandte sich der Staatsanwalt der Persönlichkeit des Angeklagten zu. Der Angeklagte habe fast autistische Züge. Unter der Oberfläche brodele es aber, Ärger und Stress stauten sich auf wie in einem Vulkan. Dies erkläre auch das manchmal festzustellende hyperaktive Auftreten des Angeklagten, Sebastian T. habe kein „Emotionskontrollierungssystem“, wie der Staatsanwalt anmerkte. Er reagiere sehr aggressiv und impusiv, besonders, wenn er beim weiblichen Geschlecht zurückgewisen werde.

Die schweren Verletzungen der Handmittelknochen, die er sich selbst in der Untersuchungshaft zugefügt habe, seien nur so zu erklären. Die Untersuchung seines Handys habe ergeben, dass 97 Prozent der aufgerufenen Dateien gewaltpornographischer Natur seien und aus der Durchsicht der aufgerufenen Dateien könne man unschwer die sexuellen Phantasien des Angeklagten erkennen.

Zwei bis drei Wochen nach dem Tode von Hanna W. habe er sich in auffälliger Weise regelmäßig mit Alkohol „zugeschüttet“ und am 17. November 2022 habe er gegenüber Freunden die Tat eingeräumt: „Ja, ich war es, ich hab sie umgebracht“. Auch die Gutachter hätten eindeutig gezeigt, dass die Verletzungen von Hanna W. nicht durch einen Unfall hätten verursacht werden können.

Auch gegenüber seinem Mithäftling habe der Angeklagte die Tat zugegeben, wie dieser vor Gericht aussagte. Und so fasste der Staatsanwalt sein Plädoyer zusammen, indem er davon sprach, dass der Angeklagte zunächst keine Tötungsabsicht gehabt habe, dass er aber, als Hanna W. bereits nachezu bewusstlos gewesen sei, sie in den Bärbach geworfen habe, um seine Tat zu „verdecken“. Damit nahm er den Tod Hanna W.’s billigend in kauf, es handle sich also um eine gefährliche Körperverletzung mit Mord.

Dann sei, so Fiedler, zu bedenken, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt 20 Jahre und zehn Monate alt gewesen sei, vom Alter her also ein Heranwachsender. Hier habe das Gericht die Entscheidung zu fällen, ob der Angeklagte nach allgemeinem oder nach Jugendstrafrecht zu verurteilen sei. Auf Grund der vor Gericht vorgelegten Gutachten sei er zu der Überzeugung gelangt, dass Sebastian T. in seiner gesamten Entwicklung verzögert sei, wofür es mehrere Hinweise in der Persönlichkeit des Angeklagten gebe. Die Tatsache, dass er noch bei den Eltern wohne, führte der Staatsanwalt ebenso an wie die Tatsache, dass auch die Sauberkeitspflege seines direkten heimischen Umfeldes durchaus auf eine Entwicklungsverzögerung hinwiesen.

Er wies auch darauf hin, dass die Härte der Verletzungen des Opfers, als auch die sexuelle Motivation des Täters eine besondere Schwere der Schuld begründeten, andererseits der Angeklagte bislang noch nicht strafrechtlich auffällig gewesen sei.

Staatsanwalt Fiedler schloss seinen Vortrag mit der Anmerkung, dass dieser brutale und völlig sinnlose Angriff auf das Leben von Hanna W. in der gesamten Region höchste Wellen geschlagen habe.

Er forderte aber, das Jugendstrafrecht anzuwenden und den Angeklagten zu neun Jahren und sechs Monaten Gefängnis zu verurteilen.

Im Anschluss daran hielt der Anwalt der Nebenklage, Walter Holderle, sein Plädoyer. Es wurde deutlich, dass auch er den Angeklagten für den Täter hält. Er habe sich bereits bei der Befragung als Zeuge in Widersprüche verwickelt, habe bei zwei Befragungen unterschiedliche Angaben zu seiner Laufstrecke gemacht und habe auch nicht plausibel erklären können, warum er gerade in jener Nacht nach 2 Uhr morgens bei derart schlechtem Wetter unbedingt joggen musste. Der Konsum gewaltpornographischer Filmdateien sei in den Tagen vor der Tötung Hanna W. aber extrem hoch gewesen. Und es verwunderte den Anwalt, dass die Hose, die der Angeklagte während des Joggens in jener Nacht trug, verschwunden sei, ebenso wie das Messer, das er wohl immer bei sich trug. Sebastian T. sei ein strategisch denkender Mensch, lässt der Anwalt ein. In der JVA spiele er regelmäßig Schach. Und dass diese Dinge wie die Hose oder das Messer, nicht gefunden worden seien, meint er, habe wohl strategische Ursachen.

Der Angeklagte verzog beim Vortrag von Rechtsanwalt Holderle kaum eine Miene. Richterin Aßbichler und die Mutter von Hanna W. beobachteten den Angeklagten und sein Gebaren immer wieder. Die Wahlverteidigerin Regina Rick, die neben dem Angeklagten saßen und vor ihren beiden männlichen Kollegen, wendeten sich immer wieder um und schaut ihre beiden Kollegen an, hofften auf Reaktionen, aber die erhielten sie nicht. Dr. Markus Frank und Harald Baumgärtel schauten sehr häufig auf den Boden.

Zum Schluss seines Vortrages dankte Walter Holderle dem Staatsanwalt für sein Plädoyer, der SOKO „Club“ für ihre Ermittlungen. So ein Strafverfahren sei für die Eltern des Opfers ein Durchleben der Trauer, die Eltern hätten einiges erleben müssen, fügte er an. Und dann griff er die seit November 2023 als Wahlverteidigerin agierende Regina Rick persönlich an. Sie habe mit dem Präsentieren von Manfred Genditzki, der mit diesem Verfahren gar nichts zu tun habe und mit weiteren öffentlichkeitswirksamen Einlassungen lediglich eine „eigendarstellerische Inszenierung“ dargeboten, ihr gehe es weder um den Angeklagten, geschweige denn um das Opfer oder deren Eltern, sondern ausschließlich um sich selbst. „In diesem Verfahren geht es aber nicht um Sie, sondern um Hanna W. Ihr Vorgehen ist eines Gerichtsverfahrens unwürdig“, rief er ihr zu. Anschließend schloss er sich dem Antrag der Staatsanwaltschaft vollinhaltlich an.

Anwältin beantrag Freispruch

Nach einer zwanzigminütigen Pause wurde die Verhandlung mit dem Plädoyer der drei Verteidiger fortgesetzt. Regina Rick begann ihren Vortrag, indem sie jenen E-Mail-Briefwechsel zwischen der Vorsitzenden Richterin Jacqueline Aßbichler und Staatsanwalt Wolfgang Fiedler vom 3. Januar 2024 vorlas, der den Anlass für den inzwischen zurückgewiesenen Befangenheitsantrag der gesamten Kammer darstellte. Darin hätten Richterin und Staatsanwalt bereits vor Abschluss der Beweisaufnahme das Urteil vorweggenommen. Deshalb halte sie kein Plädoyer.
Sie sagte nur. „Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Ich beantrage Freispruch für den Angeklagten.“

Rechtsanwalt Harald Baumgärtl begann mit dem Grundsatz, dass ein Strafverteidiger verpflichtet sei, seinen Mandanten bestmöglich zu verteidigen. In diesem Prozess seien Frau Rick und er bedroht worden und das wolle er nur kurz kund tun. Und er wies auf die wichtige Ungewissheit hin, ob die Bemerkung des Angeklagten, in Aschau sei eine junge Frau ums Leben gekommen, am 3. oder 4. Oktober 2022 gefallen sei. Damit stehe und falle die Anklage. Und auch er beantragte den Freispruch.

Dr. Markus Frank, der dritte Verteidiger des Angeklagten, ging eingehend auf die Zeugenaussage des Mithäftlings ein und versuchte, dessen Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Er habe durch die Aussage gegen Sebastian T. viel gewinnen können und wenig riskiert, da er wegen einer anderen Angelegenheit bereits nach Bernau verlegt worden sei. Er attestierte dem Zeugen darüber hinaus eine border-line Störung und eine hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens.

Auch seien die Aussagen der Geschwister in sich widersprüchlich, sodass diese Indizien für eine Verurteilung nicht ausreichten. Auch er beantragte einen Freispruch.

Regina Rick meldete sich noch einmal zu Wort und gab dem Gericht einen Katalog von Aspekten an die Hand, die bedenkenswürdig seien und nach deren Würdigung man zum Schluss kommen müsse, den Angeklagten freizusprechen. Mit der Bemerkung „Alles, was sich Staatsanwaltschaft und Gericht ausgedacht haben, kann nicht mit der Realität erklärt werden“, schloss sie ihren Vortrag.

Richterin Aßbichler bat Regina Rick um das Manuskript ihres Schlussvortrags und schloss die Sitzung. Am 19. März um 12 Uhr tritt die Kammer wieder zusammen und will das Urteil verkünden.

 

PETER RINK