Wasserburger Theatertage 2024 gestern mit Lionel Goldsteins „Halpern & Johnson“ eröffnet
Dass Udo Samel die Auftaktveranstaltung der diesjährigen Wasserburger Theatertage mit gestalten würde, ahnte wohl schon im Vorfeld jeder, der die Tradition dieses Theatertreffens der bayerischen Privattheater kennt, denn Samel eröffnet schon seit vielen Jahren dieses Festival bayerischer Bühnen. Das Format Theatertage ist mittlerweile bundesweit einzigartig und einzigartig war auch das, was Udo Samel und Gerd Wameling gestern auf die Bühne stellten und dort verkörperten.
Die Geschichte ist schnell erzählt: Auf der Beerdigung seiner Ehefrau trifft der Wittwer Halpern (Udo Samel) einen Mann, Johnson (Gerd Wameling), der behauptet, während der fünfzig Ehejahre, die Halpern mit seiner Frau verlebt hat, mit seiner Frau eine „tiefe Freundschaft“ gepflegt zu haben. Ja, er kenne dessen Frau sogar schon länger als der Ehemann. Halpern wusste nicht, dass seine verstorbene Frau eine Freundschaftsbeziehung zu Johnson pflegte, man habe sich so etwa dreimal im Jahr getroffen und der behauptet nun, am Friedhof, „Ihre Frau und ich, wir waren einander sehr zugetan!“ Ja, sogar, als seine Frau zuletzt im Krankenhaus lag, habe Johnson sie dort besucht und er geht sogar noch weiter und behauptet: „Es gab für Ihre Frau nur mich, bis zu dem Tag, als Sie sich kennenlernten.“
Der vollkommen sprachlose Wittwer Halpern versucht Worte zu finden und stellt nur fest: „Sie sind ein Dreckskerl! Wissen Sie das?“ Ein zweites Leben brauche er, um über diese Sache nachzudenken, dass seine Frau während der 50 Jahre eine freundschaftliche Beziehung zu einem Mann pflegte, von dessen Existenz er nicht die Spur einer Ahnung hatte.
Die beiden Männer sprechen miteinander und sie empören sich abwechselnd, zum Beispiel, wenn Halpern mit dem Mut der Verzweiflung Johnson vorhält, dass seine Frau kein Recht gehabt habe, mit Johnson über „Dinge in unserem Haus zu sprechen“ und er feststellen muss, dass er dies nun niemandem mehr vorhalten könne, weil seine Frau eben verstorben sei. Die hilflose Wut sucht ihren Weg, wenn Halpern ausruft: „Die Schlampe!“ und Johnson ihm widerspricht: „Sie war Ihnen treu!“ Und dann bekennt Johnson: „Ein Teil meiner Seele gehört ihr! Ihre Frau hat sehr viel Geduld und Toleranz gezeigt!“
Das ist der Moment, an dem Halpern eingesteht, dass auch er während der fünfzigjährigen Ehe eine Liaison hatte, sich heimlich mit einer Frau getroffen habe, die er auch geliebt habe, die dann aber einen anderen geheiratet habe.
Mit der Feststellung, dass nicht die Zeit das Maß aller Dinge sei, sondern die Gefühle und die Erinnerungen, spielt die letzte Szene erneut am Grab der verstorbenen Ehefrau Halperns. Halpern wirkt verbittert über seine Frau, sie habe ihm, dem Ehemann, etwas gestohlen, aber er stellt auch fest, dass „ein wenig Folter“ die „Garantie für eine lange Beziehung“ sei und die beiden Männer freunden sich nunmehr an, gehen gemeinsam regelmäßig in jenes Schnellrestarurant, in dem sich Johnson jahrelang mit Halperns Frau heimlich getroffen hat.
Udo Samel und Gerd Wameling brillieren bei der Eröffnung der Theatertage in einmaliger Art und Weise. Sie benötigen gar nicht viel Gestik für die Darstellung der beiden auf ihre Weise gehörnten Männer, es reicht ein wenig Mimik, ja nicht einmal der visuelle Bezug zur Textvorlage stört, denn hier stehen zwei Herren auf der Bühne, die über ein derart einzigartiges Einfühlungs- und Darstellungsvermögen verfügen, das es ihnen erlaubt, eindringlich zu wirken ohne scheinbar großen wahrnehmbaren Aufwand.
Ein Stück, das das Publikum in einigermaßener Nachdenklichkeit in den lauen Juniabend entlässt, denn die Frage, wie gut wir einander eigentlich kennen, wird dadurch immer wieder neu gestellt.
Nach dem lang anhaltenden und nicht enden wollenden Applaus im vollbesetzten Wasserburger Theater an der Salzburger Straße luden Annett Segerer, Constanze Dürmaier und Nik Mayr die anwesenden Zuschauer auf ein Glas Prosecco ein. Damit hat das Publikum an einem höchst gelungenen Auftakt zu den 18. Wasserburger Theatertagen teilnehmen können, die, wie Nik Mayr schmunzelnd anmerkte, damit auch volljährig geworden seien.
Die 18. Wasserburger Theatertage warten nun bis Samstag, 22. Juni. mit jeweils einem Theaterstück auf (wir berichteten). Wenn die Theatertage so weitermachen, wie sie am Freitag begonnen haben, darf man sich auf Hochkarätiges freuen.
Peter Rink / Fotos: Christian Flamm
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