Zum Brenner-Nordzulauf an die heimische CSU-Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig

Wie berichtet, hat die heimische Bundestagsabgeordnete der CSU, Daniela Ludwig, jetzt einen Antrag gestellt, der Bundestag möge sich möglichst bald mit dem Brenner-Nordzulauf auseinandersetzen und bessere Alternativen diskutieren, wie es hieß. In einem offenen Brief wendet sich jetzt Gerhard H. Müller, Bundesbahndirektor a.D. und ehemaliger Projektleiter vieler großer Bahnprojekte, an Daniela Ludwig. Hier der Wortlaut …

Sehr geehrte Frau Ludwig,

ich beziehe mich auf Ihren Antrag, der Bundestag möge sich möglichst bald mit dem Brenner-Nordzulauf auseinandersetzen und „bessere Alternativen“  diskutieren. (…) dieser lässt erkennen, dass es hierbei aber nur um zusätzliche Tunnelabschnitte der Neubaustreckenvariante handelt, die aus Sicht der dort stark betroffenen Gemeinden wünschenswert sind.

Ich vermisse seit langem eine sachliche Auseinandersetzung mit folgenden Hauptthemen:

1. Die Funktionsfähigkeit des Brennernordzulaufs muss schon mit Inbetriebnahme des Brennerbasistunnels hergestellt sein, also mindestens zehn Jahre früher als mit dem Neubaustreckenkonzept. Das ist möglich, weil der Abschnitt Kufstein-Rosenheim schon vor 25 Jahren (als ABS 40) für eine höhere Leistungsfähigkeit ausgebaut wurde. Deutschland käme gegenüber Österreich und Italien nur in Verzug, wenn die Ausbaustrecke München-Mühldorf-Freilassing (-Salzburg) weiterhin fahrlässig ohne Priorität behandelt würde.

2. Der Bedarf, den Brennernordzulauf leistungsfähiger zu machen, kann nicht ernsthaft bestritten werden. Insofern zweifle ich nicht an der im Raumordnungsverfahren zu Grunde gelegten Prognose (400 Züge/Tag an der Übergabestelle Kufstein). Diese große Zahl ist  allerdings erst schrittweise möglich, wenn auch im Südzulauf nach und nach die gesamte Strecke viergleisig ausgebaut ist. Das wird noch sehr lange dauern.

3. Der Bedarf für eine Strecke, die mit 230 km/h befahren werden kann, ist äußerst fragwürdig. Wieviele Züge sollen denn diese Geschwindigkeit in unserer Region fahren? Die Züge, die Rosenheim anfahren jedenfalls nicht. Es bleiben nur sehr wenige Züge, für die diese extrem teure Projektanforderung nützlich ist. 

4. Das mit meiner Unterstützung von den Bürgerinitiativen und dem BUND Naturschutz entworfene Alternativkonzept (ich gehe davon aus, dass es Ihnen bekannt ist) wird vom Projektteam der Bahn abgelehnt, weil es angeblich nicht die verkehrlichen Ziele des Bundesverkehrswegeplans erfüllt. Das ist nur vordergründig richtig und gilt nur für die relativ nutzlose Geschwindigkeit 230 km/h. Alle anderen Ziele sind mit unserem Alternativkonzept wesentlich schneller, billiger und wirkungsvoller zu erreichen.

5. Das Neubaustreckenkonzept verursacht folgende wesentlichen Konflikte:

– Überlastung der weiterhin zweigleisigen Strecke Grafing-München

– Überlastung des Knotens München

– Hoher CO2-Verbrauch, kaum zu kompensieren

Wie sind diese absehbaren Konflikte erfasst, planfeststellungsrechtlich beurteilt und finanziell bewertet?

6. Hinsichtlich der Bundesverkehrswegeplanung ist festzustellen, dass unser Alternativvorschlag in wesentlich größerem Umfang den Zielen der Bundesverkehrswegeplanung entspricht. Die verbesserte Erschließung der Region durch Schienenverkehr, die Vermeidung der Überlastung des Knotens München und die Verringerung der Inanspruchnahme von Natur, Landschaft und nicht erneuerbaren Ressourcen sind erheblich bedeutender als der marginale Vorteil durch sehr wenige Züge, die 230 km/h fahren können. Der prognostizierte Güterverkehr kann in vollem Umfang auf die Schiene verlagert werden.

7. Aus der Sicht einer Sachdiskussion muss man feststellen, dass der Bundesverkehrswegeplan beim Projekt Brenner-Nordzulauf hinsichtlich der allgemeinen Ziele ein erhebliches Defizit aufweist. Der Bundesverkehrswegeplan ist keine Festlegung für immer, er muss den aktuellen Erkenntnissen und neuen oder veränderten Anforderungen entsprechend aktualisiert („fortgeschrieben“) werden. Das Projektteam der Bahn sieht sich offensichtlich an seine Aufgabenstellung gebunden und behandelt dies Themen nur „formaljuristisch defensiv“, was ich verstehen kann.

Ergebnis:

Die hiermit vorgeschlagene Sachdiskussion muss baldmöglichst beginnen. Es besteht die Gefahr, das es zu kaum abschätzbaren Verzögerungen kommt, denn:

– Ein Nutzen/Kostenverhältnis von über 1,0 ist nahezu ausgeschlossen

– Die in den Planfeststellungsverfahren erforderliche Abwägung (mit Alternativen-Prüfung) wird die Genehmigungsfähigkeit verhindern, spätestens bei gerichtlicher Überprüfung

– Es wird sehr schwierig sein, die für die Realisierung erforderlichen Finanzmittel bereitzustellen

Ich habe bei vielen Politikern (fast aller Parteien) den Eindruck, das sie etwas Nützliches unterstützen wollen, aber die gesamte Problematik nicht richtig beurteilen können. „Mehr Geld für die Schiene ist gut“, ja richtig, aber es muss trotzdem richtig eingesetzt werden.

Ich bitte Sie, sich zum Nutzen der Region, der Bahn und des Bundes sachlich mit diesen Themen zu befassen. 

Mit freundlichen Grüßen

Gerhard H. Müller

Bundesbahndirektor a.D.