Ein Besuch in der Raublinger Turnhalle, einer Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge im Landkreis
Wer kümmert sich um Geflüchtete, wenn sie hier im Landkreis ankommen – welche Aufgaben haben die sozialen Träger – mit welchen Herausforderungen haben sie zu tun – und wie geht es den Geflüchteten? Sind Konflikte bei diesen Arten von Sammelunterkünften vorprogrammiert? Dagmar Kopriva von „Startklar-Soziale Arbeit Rosenheim-Ebersberg“ hat jetzt die Ankunfts-Einrichtung in der Raublinger Turnhalle besucht. Hier ihr Bericht für die Leser der Wasserburger Stimme dazu. Das Foto zeigt das dort eingerichtete Büro der Initiative.
„Ich habe die Gemeinschaftsunterkunft und Erstaufnahmestelle in der Turnhalle des Gymnasiums in Raubling und das dort arbeitende Migrationsteam
von ‚Startklar Soziale Arbeit Rosenheim – Ebersberg‘ besucht.
Weil aktuell über eine neu einzurichtende Sammelunterkunft des Landkreises in Rott am Inn intensiv diskutiert wird, nehme ich die
Gelegenheit wahr, der breiten Öffentlichkeit die Arbeit der ‚Startklar-Sozialpädagogen‘ in der Raublinger Unterkunft vorzustellen.
Man kennt natürlich die Bilder aus den Medien von Turnhallen, die notdürftig mit Planen und Stellwänden in kleine Parzellen abgetrennt sind. Ein Besuch vor Ort ist aber etwas ganz Anderes.
Ich hatte vorher Sigrid Kratochvil und Serge Kounouvi, die beiden Sozialpädagogen, die unbegleitete minderjährige Flüchtlinge dort betreuen, meinen Besuch angekündigt. Beide freuen sich sehr, dass sich endlich mal Jemand für ihre Arbeit interessiere.
Wir sitzen im ‚Krankenzimmer‘ der Turnhalle. Das ist das Büro der Beiden. Die Krankenliege dient als Schreibtisch. Es gibt noch einen kleinen Tisch und ein paar Stühle. Im Raum stehen noch mehrere Garderobengestelle, wie sie in Umkleidekabinen in Schulturnhallen üblich sind.
Sie verfügen über die für sie nötigen Arbeitsmaterialien, wie Laptop, Diensthandys und dergleichen, aber einen vernünftigen Platz, um mit den jungen Flüchtlingen
Gespräche zu führen, die Ankunft einigermaßen angenehm zu gestalten oder organisatorische Arbeiten in Ruhe durchzuführen, haben sie nicht, wie sie sagen.
Die oberen Bereiche der Turnhalle sind mit weißen großen Planen verhängt, wegen der zu leistenden Privatsphäre für die Geflüchteten, wovon überhaupt keine Rede sein kann. Die sanitären Anlagen sind außerhalb der Turnhalle im Außenbereich, die innenliegenden dürfen nicht von den Flüchtlingen benutzt werden. Die Lautstärke in der Halle ist enorm. Ich frage mich, wie man unter solchen Bedingungen arbeiten, oder gar „wohnen“ kann. Der Ort ist alles andere als einladend. Mir kommt Artikel 1 unserer Grundgesetze in den Sinn: „Die Würde des Menschen ist unantastbar …
Viele der Geflüchteten haben den ‚Märchen‘ der Schleuser geglaubt und sich auf den Fluchtweg begeben. Dafür haben sich die Familien im Herkunftsland oft sehr hoch verschuldet.
Sigrid Kratochvil und ihr Kollege Serge Kounouvi sind zuständig für zur Zeit meines Besuches 30 minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge. ‚Alles ausschließlich Burschen zwischen 13 und 17 Jahre alt, manchmal auch älter“, sagt die Sozialpädagogin, ‚Mädchen werden nicht allein auf den Fluchtweg geschickt, erkkären sie.
Die Beiden machen die so genannte Erstversorgung. Die Jugendlichen kommen in einem völlig verwahrlosten Zustand an und haben nichts dabei, außer ihrer Kleidung, die sie seit Wochen auf der Flucht tragen. Sie sind hoch traumatisiert und meist sehr krank. Sie kommen dann zur Behandlung ins Rosenheimer Krankenhaus. Daher müssen sich Sigrid Kratochvil und Serge Kounouvi als Erstes um den Arztbesuch, Versorgung mit Kleidung und Hygieneartikeln, das Erstgespräch im Jugendamt, das für die Jugendlichen gefühlt oft mehr als ein ’normales Gespräch‘ ist, erzählen die Sozialpädagogin und ihr Kollege, kümmern.
Serge Kounouvi hilft bei der Verständigung zwischen den Geflüchteten und den jeweiligen Ämtern und beim Arzt.
Er spricht, abgesehen von Deutsch, fließend Französisch und Englisch. Das hilft allen Beteiligten sehr. Und dann ist da noch bei anderen Sprachen der Internet
Übersetzer, der hilft auch noch.
Die Einteilung der Schlafplätze für die Jugendlichen übernimmt das pädagogisch kompetente Personal der Security, die sehr gut und eng mit dem Migrationsteam
zusammenarbeitet. Sie achten dabei auf Sprache, Kultur und Herkunft, um mögliche Konflikte schon im Vorfeld zu vermeiden. Denn alle hier ankommenden Geflüchteten kommen aus den unterschiedlichsten Ländern, wie Ukraine, Afghanistan, Syrien, Mali, Burkina Faso, Eritrea …
In all diesen Ländern herrschen entweder Kriege oder andere meist lebensbedrohliche Zustände, die die Menschen in die
Flucht treiben.
Jede ‚Box‘, wie die abgetrennten Räume hier manchmal genannt werden, ist etwa zwei mal drei Meter groß, in der bis zu sechs Personen in jeweils drei Zweier
Stockbetten schlafen können. Jedem Geflüchteten stehen sieben Quadratmeter Raum zu. Diese Quadratmeterzahl ist von der Bundesregierung für die Unterbringung von Flüchtlingen vorgegeben.
In anderen Ländern ist das wieder anders. Ich denke wieder: Die Würde des Menschen ist unantastbar …
Man kann sich gut vorstellen, dass Konflikte unter diesen Lebensbedingungen unter den etwa 180 Untergebrachten schnell ausbrechen können.
Die Sozialpädagogen sind Ansprechpartner für alle Probleme der unbegleiteten, minderjährigen Jugendlichen und manchmal auch für die Probleme und Sorgen der
übrigen, ebenfalls hoch traumatisierten Bewohner.
Ich höre bei meinem Besuch viele gute Gründe und schlimme Geschichten, warum man seine minderjährigen Kinder oder sich selbst auf eine gefährliche Flucht mit
Schleusern schickt. Ich höre von Angst, gedrückter Stimmung, Depressionen und Enttäuschung unter den Flüchtlingen. Die Sorge, den Erwartungen der Familie im
Herkunftsland nicht entsprechen zu können, zum Beispiel zur Unterstützung der Daheim-Gebliebenen kein Geld schicken zu können, weil hier in Deutschland eben
doch sehr viel anders ist, als es die Schleuser den Menschen erzählt haben.
Das sind große Belastungen gerade für die Jugendlichen, denn diese kommen hier teils hochmotiviert an, mit denen Sigrid Kratochvil und Serge Kounouvi vor Ort umgehen müssen. Das sei nicht einfach, sagen sie.
Und, ich frage die Beiden, wie sie das alles aushalten. ‚Viel miteinander reden‘, sagen sie und neben den professionellen Angeboten zur eigenen Entlastung sei es
auch manchmal einfach ‚Galgenhumor‘, der sie ihre Arbeit weitermachen lasse.
Sie werden gebraucht und empfinden ihre Arbeit trotz aller Widrigkeiten und bürokratischen Hindernisse als sehr sinnstiftend. Vor allem dann, wenn ihre
Unterstützung bei den Jugendlichen wirklich etwas bewirkt. ‚Das Beste ist, wenn ein Jugendlicher sobald wie möglich in die Schule gehen kann, wir eine angemessene Unterkunft für ihn gefunden haben, ein Bleiberecht gewährt wurde und der Jugendliche in eine Ausbildung kommt ‚, erzählen sie. Dafür lohne sich jede Minute ihrer Arbeit.
Ich verlasse die Sammelunterkunft – ich verlasse sie sehr nachdenklich, tief beeindruckt von der Arbeit meiner beiden Kollegen und bin von den Berichten sehr berührt. Und ich frage: Die Würde des Menschen ist unantastbar?“
Dagmar Kopriva, Startklar-Soziale Arbeit Rosenheim-Ebersberg