Premiere einer eindringlichen Inszenierung von Nik Mayr

Friedrich Schiller schrieb „Die Räuber“ eigentlich als Lesedrama und dann wurde es 1782 in Mannheim doch als Schauspiel uraufgeführt. Es geht um Neid, um Missgunst, um das Streben nach der besseren Welt und der der Frage, wie wir zu dieser besseren Welt gelangen können. Und es geht in diesem Erstlingswerk Schillers um die Familie, ihre Bedeutung und ihre Belastung für den Einzelnen. Nik Mayr ist in seiner Inszenierung für das Theater Wasserburg von der Vorlage von Schillers Sturm-und-Drang Drama abgewichen. Nicht nur, dass er sämtliche Figuren – außer Karl und Franz Moor, die einander feindlich gesinnten Brüder – streicht, er verdoppelt sie gleichzeitig, indem er ihnen je ein weibliches Alter-Ego zuordnet. Damit gelingt es ihm, Schillers Botschaft präziser und konzentrierter darzustellen.

Mayr lässt die beiden Helden grundsätzlich nur mit ihrem Alter-Ego sprechen. Die Handlung ist also als zwei ausgeprägte Monologe gestaltet. Die Konstruktion mit dem weiblichen Part erlaubt natürlich auch eine gewisse Dramatik, die ein Monolog alleine wohl nicht so hätte umsetzen können. Die Reduktion auf die beiden Protagonisten schärft aber den Blick auf das Thema: Die feindlich gesinnten und dennoch immer wieder aufeinander bezogenen Brüder.

Das Bühnenbild spricht symbolische Bände: Ein Wald von Pflanzen hat das Team vom Theater Wasserburg aufgebaut, in dem nun aber nicht der revolutionäre Karl Moor sein Unwesen treibt, sondern Franz Moor mit seinem Alter-Ego gärtnerische Pflege walten lässt. Oder ist es gar kein Wald, den das Publikum sieht, sondern ein Garten? Ist es das alte Bild, das auch Schiller so intensiv beschäftigte, der unauflösbare Konflikt zwischen Naturerfahrung und Naturbeherrschung? Jedenfalls spürt Franz Moor immer wieder die Enge seines Gartens, den er so penibel pflegt, wenn er förmlich cholerisch gegen die gläserne Wand schlägt, als wolle er aus seinem gläsernen Gefängnis ausbrechen.

Karl betritt hingegen diesen Garten nie, er geht um ihn herum, sieht ihn ständig. Auch Karl hat immer wieder Wutausbrüche, weil er die Freiheit als Ziel der menschlichen Existenz nicht schnell genug erreichen kann. Seine Ungeduld wird ihm zur Fessel. Karls alter ego bringt diese Zerrissenheit auf den Punkt, als sie vom „Wettrennen nach Glückseligkeit“ spricht, sie Karl auffordert: „Lerne die Tiefe des Abgrunds kennen, bevor Du reinspringst“ und sie ihn daran erinnert, wie liebevoll er immer gewesen sei: „Nicht mal eine Fliege konntest Du leiden sehen.“

Nun denkt er über Tugenden und Schande nach. Er reckt seinen Mittelfinger in die Höhe und ruft: „Das ist Gottes Finger“. Lieber gehe er kinderlos in den Himmel als mit Kindern in die Hölle. Und er berichtet von einem Ausflug ins Kloster, wo er mehrere Nonnen sexuell missbraucht haben will. „Kann er so brutal sein?“, fragt sich der Zuschauer, um sofort wieder mitgenommen zu werden in eine philosophische Erörterung, was die Freiheit in der Zukunft befördern mag: Gesetzestreue oder Gesetzlosigkeit.

Der biedere Franz Moor ist in Wirklichkeit ein kalt berechnender Mörder, der sich mit der Aura des pedantisch peniblen Gärtners umgibt, was die Wut seines Bruders nur noch steigert, denn ihm geht es um das Recht des Erstgeborenen, deshalb erfindet er den Tod des älteren Bruders und führt den Mord am Vater durch.

„Der Mensch entsteht aus dem Morast“ hört das Publikum und am Schluss gibt es das „Rabengleichnis“, in dem Franz Moor ausführlich schildert, wie er einem Raben mehrfach die Eier gestohlen und verzehrt habe und dann selbst vom Täter zum Opfer wurde.

Nik Mayr hat mit seiner Inszenierung von „Die Räuber“ einen neuen Blick auf Schillers Erstlingswerk geschaffen, in dem das Publikum mehreres erkennen mag: Die innere Zerrissenheit der beiden Brüder, die geschickt dargestellt wird durch die Verdopplung der Rollen, die Reduzierung auf den brüderlichen Konflikt als einen gesellschaftlichen Konflikt und schließlich das Scheitern beider Wege. „Du kannst keinen Engel schlachten“, hört das Publikum und erkennt, dass es in diesem Stück gar keinen Engel gibt.

Die alte Frage, wie beherrschen wir pflegend die Natur, durch Respekt vor der Geschichte, was hier zu Neid und Missgunst führt, oder durch Zerschlagen der alten Ordnung, was vielleicht fairer wäre, aber alles zerstören würde, bleibt bestehen.

Amelie Heiler und Hilmar Henjes verkörpern Karl Moor in einer ausgesprochen überzeugenden, das Publikum mitnehmenden Weise. Die Verzweiflung, die Welt nicht ohne Gewalt ändern zu können und nur durch Gewalt Gewaltlosigkeit und Freiheit erreichen zu können, haben beide höchst gekonnt auf die Bühne transportiert. Doch auch der doppelte Franz Moor, ausgesprochen eindringlich interpretiert von Rosalie Schlagheck und Thorsten Krohn, wusste dessen Niedertracht gekonnt zu inszenieren. Den erreichten Besitz will er bewahren, koste es, was es wolle, und auch der Mord am Vater ist für dieses hehre Ziel nicht niederträchtig genug, das alles hat der Zuschauer verstehen können.

Wer in der Premiere war, hat eine höchst interessante und gelungene Interpretation von Schillers Räubern gesehen.

Das Theater Wasserburg wird dieses Stück noch am 20. Oktober, am 8 und 10. November sowie am 14., 15. und 16. Februar 2025 zeigen. Vorstellungsbeginn ist freitags und samstags jeweils um 20 Uhr und sonntags um 19 Uhr.
Am 20. Oktober um 18.15 Uhr findet im Rahmen der „VOR.REDEN“ das Publikumsgespräch statt. Ute Mings wird mit Nik Mayr über seine Inszenierung sprechen.

Karten gibt es bei dder Tourist-Info, bei Versandprofi Gartner in Wasserburg, bei Foto-Flamm in Haag sowie allen Vorverkaufsstellen von Inn-Salzach-Ticket.

PETER RINK / Fotos: CHRISTIAN FLAMM