Landgericht Traunstein fällte gestern Urteil im Prozess um den Mord an Dr. Rainer Gerth aus Gabersee
Es war Tag Vier im Prozess um die Tötung am Oberarzt der forensischen Psychiatrie in Wasserburg, Dr. Rainer Gerth. Der 41-jährige Beschuldigte Dominik S. musste sich gestern erneut für die Tötung am beliebten Wasserburger Oberarzt verantworten. Die Plädoyers und das Urteil standen auf dem Programm. Der Angeklagte wird lebenslang in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht.
Die 5. Strafkammer beim Landgericht Traunstein fasste zunächst die Ergebnisse der Verhandlung noch einmal kurz zusammen. Der Beschuldigte, geboren in Oberschlesien, sei im Alter von fünf Jahren nach Traunreut im Landkreis Traunstein verzogen, habe die Grund- und Hauptschule besucht, dort die erste und die fünfte Klasse wiederholt und nach der 8. Klasse die Schulbildung abgebrochen. Eine Lehre als Einzelhandelskaufmann habe er kurz nach Beginn abgebrochen. Seit seinem 14. Lebensjahr habe er regelmäßig Alkohol und Drogen konsumiert und seit seinem 17. Lebensjahr sei er wiederholt als Straftäter auffällig gewesen. Als er 15 Jahre alt gewesen sei, hätten sich seine Eltern getrennt.
Der Beschuldigte sei mehrfach in psychiatrischen Krankenhäusern untergebracht gewesen. Der Vorsitzende Richter Volker Ziegler zitierte dann aus dem Bundeszentralregister und führte aus, dass der Beschuldigte bei einem Aufenthalt in einem psychiatrischen Krankenhaus zunächst starke Entzugserscheinungen gehabt habe, eine Pflegekraft habe von bizarren Verhaltensweisen berichtet. Er habe erzählt, aus einer ostpreußischen Adelsfamilie zu stammen, weil er zwei „t“ im Familiennamen habe. Aber er sei immer darum bemüht gewesen, eine gesunde Fassade aufrechtzuerhalten. Der Beschuldigte habe seinerzeit auch erklärt, Abkömmling des letzten Kaisers des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ zu sein und er habe den Auftrag, das Kaiserreich wieder herzustellen. Zuletzt sei er 2013 aus der Entziehungsanstalt entlassen worden und unter Führungsaufsicht gestellt worden. Diese Führungsaufsicht habe 2018 geendet.
Nach diesen Ausführungen schloss das Gericht die Beweisaufnahme.
Daran anschließend bat die Tochter des ermordeten Arztes, Verena Gerth, um das Wort. Sie wandte sich direkt an den Beschuldigten. Im Gerichtssaal hätte man eine Nadel fallen hören können, so berührt waren die Zuhörer von ihren Worten. Sie duzte den Beschuldigten und sagte nur: „Du hast keine Institution getötet, sondern einen Menschen. Worin sahst Du die Legitimation, unseren Papa zu ermorden?“ Mit den Tränen kämpfend, ergänzte sie: „Wir haben unser Selbstverständnis von Sicherheit verloren. Ich hoffe nur, dass Du eines Tages begreifst, was Du da getan hast!“
Nach einem längeren Moment der Stille erteilte der Vorsitzende Richter Ziegler dem Staatsanwalt Wolfgang Fiedler das Wort für sein Plädoyer. Er fasste die Tötung von Dr. Gerth durch den Beschuldigten noch einmal zusammen (wir berichteten).
An der Täterschaft und dem Motiv der Tat bestehe daher kein Zweifel, führte Fiedler aus. Dann beschäftigte er sich mit der Frage, ob Dr. Gerth ein Zufallsopfer gewesen sei. Schon Wochen vor der Tat habe sich der Beschuldigte auf Dr. Gerth konzentriert, habe drei Wochen vor der Tat das Messer erworben, habe ihn tagelang beobachtet, um ihn dann zu verfolgen, von hinten anzugreifen und zu töten. Der Beschuldigte habe die Hilflosigkeit seines Opfers erkennen können. Dennoch, so der Staatsanwalt, sei der Beschuldigte schuldunfähig, weil ihm die Einsichtsfähigkeit in die Tat fehle. Trotz der verabreichten Medikamente habe er ein wahnhaftes Erleben und es bestehe ein sehr hohges Wiederholungsrisiko. Deswegen sei er dauerhaft in einer geeigneten psychiatrischen Einrichtung unterzubringen.
Der Rechtsbeistand der Nebenklägerin Verena Gerth, Harald Baumgärtl, griff in seinem Plädoyer die Frage nach dem Motiv des Beschuldigten auf. Dominik S. habe über einen längeren Zeitraum den beliebten Oberarzt ausgespäht, es sei also keine Zufallstat oder eine Tat im Affekt gewesen. Diese Tat, so Baumgärtl, sei als Mord zu werten. Habe er das Unrecht seiner Tat einsehen können? Diese Frage habe vor Gericht nicht beantwortet werden können, da der Beschuldigte sich auch zu seiner Tat nicht geäußert habe. Warum ausgerechnet Rainer Gerth das Opfer dieser Bluttat geworden sei, diese Frage blieb vor Gericht unbeantwortet.
Mord-Opfer aus Zufall?
Auch der Rechtsbestand des Sohnes von Dr. Rainer Gerth, Dr. Markus Frank, äußerte sich anschließend und sagte nur, dass er im Grund nicht viel hinzuzufügen habe. Er wolle nur die Frage der Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten ein wenig beleuchten. Der Beschuldigte habe eine etwa 800 Kilometer lange Reise unternommen, um den Oberarzt zu töten, habe bei seinem Bruder, bei dem er geschlafen habe, keinerlei Andeutung über seine geplante Tat gemacht, habe sich wohl auch am Garten der Lebensgefährtin des Todesopfers aufgehalten. All diese Tatsachen sprechen gegen eine fehlende Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten. Er habe diese Tat geplant und zielsicher durchgeführt, aber der Beschuldigte sei Opfer seines systematischen Wahns gewesen. Insofern sei seine Steuerungsfähigkeit aufgehoben gewesen. Und Dr. Rainer Gerth sei sein Zufallsopfer gewesen, weil er für das Inn-Salzach-Klinikum in Wasserburg-Gabersee stand, das sei die besondere Tragik dieses Falles.
Schließlich ergriff der Rechtsbeistand der Schwester des Mordopfers, Jörg Zürner, das Wort und plädierte. Zürner stellte die Frage: „Ist der Angeklagte bei der Tat wirklich schuldunfähig gewesen? Ich habe da erhebliche Bedenken“, sagte er. Er habe die Tat gezielt geplant, sei nach Wasserburg gefahren, habe alles ausgekundschaftet, habe sich einen Plan zurecht gelegt, drei Wochen vor der Tat ein Messer erworben. Der Plan habe also schon länger bestanden, daher glaube er nicht, so Zürner, „dass Gerth ein Zufallsopfer war.“
Wenn der Beschuldigte nicht wegen Mordes verurteilt werden könne, ergänzte Zürner, dann müsse er dauerhaft in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht werden, nur so sei ein Schutz der Gesellschaft möglich. Er habe Dr. Gerth seit 20 Jahren gekannt, es gebe nur wenige Menschen wie Rainer Gerth, die mit so viel Empathie stets das Gute im Menschen sehen könnten. „Wie schwer muss es die Kinder und seine Schwester getroffen haben“, fragte Jörg Zürner die Menschen im Gerichtssaal. Und wenn sich der Beschuldigte dann hinstelle unmd behaupte, er habe es „für Euch getan“, dann sei dies eigentlich nicht zu ertragen. Abschließend betonte er, dass er den Beschuldigten nicht für schuldunfähig halte und bat das Gericht zu überlegen, ob nicht doch eine Verurteilung wegen Mordes in Frage kommen könnte.
Der Verteidiger des Beschuldigten schloss sich daran anschließend den Ausführungen der Staatsanwaltschaft an.
Der Beschuldigte hatte das letzte Wort in diesem Prozess und er betonte, gesundheitlich sehr angeschlagen zu sein. Er wolle sich bei Familie Gerth für das Erlittene entschuldigen. Mit einer Verurteilung sei er einverstanden.
Nach einstündiger Beratung wurde dann der Beschluss der Kammer verkündet: Der Beschuldigte wird gemäß dauerhaft in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Der Angeklagte, so die Kammer, leide unter sehr starken Wahnvorstellungen, diese verbreiteten sich. Er habe auch behauptet, dass man ihm Sender unter die Haut implantiert habe. Seine Wahnvorstellungen seien für den Beschuldigten leider Realität. Deshalb habe er auch Briefe geschrieben, in denen er Hilferufe abgesetzt habe, unter anderem an den Generalbundesanwalt, an die seinerzeitige Bundeskanzlerin und den seinerzeitigen Bundesinnenminister, aber er habe sich nirgends ernst genommen gefühlt. Er glaube wirklich, dass viele bedroht würden. Auch deshalb habe er planmäßig das Opfer angegriffen, mit voller Kraft zugestochen, sein Opfer habe nicht damit gerechnet, auch nicht damit rechnen können und sei deshalb hilflos verblutet und habe sich nicht mehr helfen können und auch keine Hilfe mehr rufen können. Was der Beschuldigte getan hat, sei ein heimtückischer Mord, aber der Beschuldigte sei eben schuldunfähig, deshalb war dieser Beschluss geboten. Seine fehlende Unrechtseinsicht mache ihn aber besonders gefährlich. Sein Wahn komme als einziges Tatmotiv in Betracht.
Damit schloss die Kammer die Verhandlung und der Beschuldigte wurde in Handschellen und Fußfesseln abgeführt und in das psychiatrische Krankenhaus zurückgebracht.
PETER RINK
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