Premiere am Theater Wasserburg von „Bilder Deiner großen Liebe“
Es war Wolfgang Herrndorfs (1965 – 2013) letztes Werk: Sein Romanfragment „Bilder Deiner großen Liebe“. Annett Segerer hat jetzt im Theater Wasserburg dieses Romanfragment zu einer dramatischen Produktion geformt und aufgeführt. Das Publikum erlebt, wie das Licht verlöscht und Musik erklingt. Man hört eine Stimme singen: „Du bist es nicht wert, dass sich die Welt um Dich dreht, ich pfeif auf Dich, Realität.“
In dem Moment, in dem man das Bühnenbild wahrnehmen kann, sieht man viel gelb aufscheinen: Die vier Akteure, Susan Hecker, Amelie Heiler, Carsten Klemm und Andreas Hagl, sie sind alle barfuß, warten mit gelb lackierten Finger- und Zehennägeln auf, man sieht einen gelb lackierten Blumentopf, einer der beiden männlichen Schauspieler trägt eine gelbe Krawatte, auf der Bühne stehen drei gelb angestrichene Bierkästen, der Hocker ist gelb und das kleine Tuch im Jackett eines der beiden Männer ist ebenfalls gelb. Gelb scheint also die dominierende Farbe an diesem Theaterabend zu sein. Eine Antwort auf die Bedeutung des Gelben darf das Publikum sich aber selbst geben.
In den ersten 25 Minuten des Abends reden die vier Akteure nicht miteinander, hat es das Publikum mit einem vierfachen Ich zu tun. Wir haben Annett Segerer nach dem Ende der Premiere hierzu gefragt. Sie meinte nur, dass diese Aufspaltung einer Person auf vier Figuren bis zum Ende erhalten bleibe. Man kann verstehen, warum die vier Schauspieler, die ihre verschiedenen Rollen als Personifizierung von Charakteren ein und derselben Person darbieten. Sie lösen sich anfänglich im Sprechen eines Monologs ab und kommen erst nach knapp 25 Minuten dazu, auch miteinander zu spielen, miteinander zu sprechen.
„Bilder Deiner großen Liebe“, dieses Romanfragment hat Wolfgang Herrndorf geschrieben, als er bereits wusste, dass er unheilbar krank war und bald sterben müsse. Der Hirntumor hat zunehmend Besitz von ihm ergriffen, bis er sich entschied, seinem so äußerst schmerzhaften Leben selbst ein Ende zu setzen. 48-jährig, schied er 2013 aus dem Leben.
„Bilder Deiner großen Liebe“ sei der Fortsetzungsroman seines wohl bekanntesten Werkes „Tschick“. Annett Segerer inszenierte diesen Roman mit sehr großer Liebe zum Detail, mit hoher dramaturgischer Kunst, wenn sie die handelnden Personen sich paarweise engumschlungen hinsetzen lässt, nur um kurz darauf wieder die Trennung der vier Akteure zu visualisieren.
Es wird erzählt, dass einer der vier Akteure glücklich werden wollte und deshalb eine Bank überfallen habe. Es sei nicht schwer, eine Bank zu überfallen, erfährt das Publikum, viel schwieriger sei es, den Bankraub geheim zu halten. Damit das Geheimnis bewahrt werden könne, sei die Beute am Bahndamm vergraben worden. So oft wie möglich fahre der Täter an die Stelle, um sich zu vergewissern, dass die Beute dort noch vergraben sei. Er führt ein fast spießig anmutendes bürgerliches Leben, nimmt einen Beruf auf, lebt sehr bescheiden, im Wissen um seine Beute, er heiratet, „nur Kinder fehlen noch zur Fassade“. Seine Beute rührt er nicht an. Ist er glücklich mit seinem Reichtum?
„Das Leben ist schon ein Hurensohn“ ist das Fazit dieser Erkenntnis.
Anschließend wird über die Frage gesprochen, ob Freiheit im Sinne von Fehlen von Verantwortung glücklich mache oder eben die Pflichterfüllung. Auch diese Frage wird jeder sicher anders beantworten.
Es wird von einem Taubstummen erzählt, der sei glücklicher, weil er nicht hören muss, was sich die Menschen alles erzählen. Ein anderer mäht den Rasen im eigenen Garten. Macht das glücklich?
Dann wird über eine Kiste mit Fotos einer Familie gesprochen. Fotos als Sammlung von Erinnerungen, macht so etwas glücklich? Hilft Erinnerung dabei, glücklich zu sein?
An diesem Abend werden sehr viele Fragen gestellt und fast keine abschließend beantwortet. Insofern geht der Besucher auch fragend nach Hause. Das hat das Team um Annett Segerer wohl auch genau so beabsichtigt. Die Eindringlichkeit, mit der die vier Darsteller ihre Rolle auf die Bühne bringen, berührt das Publikum sehr. „Das Glück macht nie so glücklich wie das Unglück unglücklich macht“, hören wir von der Bühne und „Du hast keine Ahnung, was Zeit ist!“ Ja, genau das ist die Frage!
Ist Rasen mähen Zeitvertreib oder Zeitvergeudung? Jeder wird dazu eine eigene Auffassung haben. Denn, und auch das ist eine wichtige Erkenntnis an diesem Abend: „Nicht die Liebe ist wichtig, sondern der Weg zu ihr.“ Die Dynamik vom Handeln in der Zeit hilft beim Glücklich-Werden und eben nicht die Statik des Glücklich-Seins. Die Erkenntnis, dass Bepanthen viele Wunden heilen kann, aber eben nicht die Melancholie, greift an diesem Abend Raum. Und auch die Frage nach dem besten Schriftsteller wird beantwortet: Karl Philipp Moritz, jener Schriftsteller des Sturm und Drang, der Klassik und auch der Romantik, jener Moritz, der sich im Alter von 23 Jahren den Freimaurern anschloss, Goethe sah in ihm einen jüngeren Bruder. Dieser Karl Philipp Moritz hatte einen bewegten Lebenslauf mit zahlreichen Höhen und Tiefen. Ist das der Hinweis auf Qualität?
Zum Abschluss des Theaterabends erfährt das Publikum noch, dass Leben das sei, „was geschieht“.
Eine eindringliche, einzigartig inszenierte, herausragend berührend gespielte Aufführung über das Leben und all das, was ihm wohl Sinn geben kann.
Die anwesenden Zuschauer applaudierten am Ende intensiv und lang anhaltend. An den Gesichtern der Akteure konnte man anschließend auch ablesen, dass sie zufrieden waren.
Einen solchen gelungenen Theaterabend kann man im Theater Wasserburg auch live miterleben, und zwar noch am 24.11. (19 Uhr), am 6. und 7.12. (20 Uhr) und am 8.12. (19 Uhr), sowie am 17. und 18.1.2025 (jeweils um 20 Uhr) und zum Abschluss am 19.1.2025 um 19 Uhr.
Das Theater Wasserburg weist darauf hin, dass am 17. 1.2025 der Theatertag stattfinde, wo alle Eintrittskarten zum ermäßigten Preis von 14 Euro erworben werden können.
Karten gibt es in der Tourist-Info Wasserburg, beim Versandprofi Gartner in Wasserburg, bei Foto-Flamm in Haag sowie allen Vorverkaufsstellen von Inn-Salzach-Ticket und natürlich im Internet unter: www.theaterwasserburg.de
An der Abendkasse werden natürlich auch die restlichen Karten verkauft.
Lohnenswert ist der Besuch auf alle Fälle.
PETER RINK/FOTOS: Christian Flamm
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