Ja, es gibt sie, die so lieben Menschen - Über eine Begegnung im Altlandkreis, die nachhallt
Prosit Neujahr – das ging ja schon mal gut los! Unter dieser Überschrift hat uns Leserin Ulrike Rüd-Bschoch ihr Erlebnis einer kalten Nacht am Jahresbeginn im Altlandkreis aufgeschrieben. Wir sagen ein herzliches Dankeschön dafür …
1. Januar 2025, alles fing eigentlich so schön an, aber dann … Kaum war Silvester vorbei, wollte ich sofort einen meiner vielen guten Vorsätze in die Tat umsetzen. Zum Beispiel: Noch viel mehr Kultur in München genießen. Also her mit dem Programm der Alten Pinakothek. Mit meiner Tochter. Sie war sofort einverstanden.
Was sollte es sein? Eine Ausstellung über die niederländische Barockkünstlerin Rachel Ruysch. Wir schlenderten durch die Räume der Kunst und die Zeit verging im Flug. Der Nachmittag neigte sich dem Ende zu, es dämmerte und wir entschlossen uns noch zu einem Essen im Schneiderbräu.
Mit dem wohligen Gefühl eines gelungenen Jahresbeginns verabschiedeten wir uns am Bahnhof.
Dann kam die Wende. Ich träumte in der Bahn noch vor mich hin, als mich kurz vor Grafing jäh ein Blick auf die Bahn-App aus meinen Gedanken riss. Ich würde meinen Anschlusszug nicht mehr erreichen. Aber ich hoffte es eben doch. In Grafing wurde die Realität sichtbar, der Anschlusszug war bereits abgefahren. Außer mir war niemand mehr auf dem Bahnsteig zu sehen.
Die nächsten 15 Warteminuten für die nächste S-Bahn nach Ebersberg ertrug ich noch mit Gleichmut – es war ja mein Fehler, schließlich hatte ich wohl die entsprechenden Durchsagen bereits am Ostbahnhof vor lauter Umarmungen nicht wahrgenommen. Der nächste Zug würde bestimmt kommen. Und mein Fellmantel wärmte mich.
Angekommen in Ebersberg zeigte die Anzeigetafel aber erbarmungslos 50 Warte-Minuten an. Auch hier kein Mensch zu sehen. Ein komisches Gefühl kroch langsam in mir hoch. Sollte ich ein Taxi rufen, für 45 Euro? „Ach nein – ich warte. Mir ist ja warm. Ich kann ja meine Freundin Silvia anrufen, die wohnt hier …“
Gedacht, getan! Anruf in einer beleuchteten Ecke des Bahnhofes. Mein Ohr hing am Handy und die Wartezeit verkürzte sich. Und um 22.20 Uhr trudelte der ersehnte Zug ein.
Wieder ließ ich mich in einer Ecke eines leeren Waggons sinken und nahm mir vor, ab jetzt besser hinzuhören, wenn irgendeine Durchsage käme. Endlich erreichten wir Forsting. Jetzt wäre ich ja in zehn Minuten zuhause. Rein theoretisch.
Ausgestiegen steuerte ich gleich im kalten Forstinger Bahnhof auf das einzige Auto auf dem Parkplatz zu. Meins. Ich kramte nach dem Schlüssel. Noch einmal linke Mantel-Tasche, rechte Tasche, den Innenbezug nach außen gestülpt – nichts. Da ist ja noch der Rucksack. Ich leerte ihn auf dem erleuchteten, mit Raureif bedeckten Boden aus.
Was da alles rauspurzelte. Lippenstift, Handykabel, Notizbuch, Handy, Nagelfeile, Portemonnaie. Auch das Ausschütteln des Rucksacks erzeugte kein Schlüsselgeklirr. Die harte Realität war jetzt auch in meinen Gedanken angekommen. Hier am Forstinger Bahnhof.
Minus fünf Grad Celsius. Nebel, Leere, Dunkelheit. Nur mein Auto und ich. Ohne Autoschlüssel. Ganz einsam. Noch zehrte ich ein klein wenig von meiner Neujahrs-Energie – wollte nicht wahrhaben, dass es jetzt gerade nicht gemütlich weitergehen würde.
Ich hatte ja das Handy. Und da ist ja auch ein Bekannter, der mir immer versichert, ich könne auch spätabends anrufen.
Aber leider: Nicht erreichbar.
Auch eine andere Bekannte war nicht da in der Nacht – „hm“ – dann der Brauereigasthof in Forsting, da ist vielleicht noch jemand? Aber alles dunkel, geschlossen.
Und jetzt hier draußen bei immer stärker werdendem Nebel? Doch nicht etwa jetzt vier Kilometer zu Fuß durch den dunklen Wald laufen?
Ich gab noch nicht auf.
Hatte ich doch gerade einen Schatten gesehen, ganz weit hinten am Bahnhofsende.
Ich näherte mich. Ein Mann stand da in Hausschuhen mit einer Bierflasche in der Hand. Er musterte mich interessiert, als wollte er sagen: „Was macht die denn bei der Kälte hier allein?“ Ich ging auf ihn zu und nach einem klaren „ein gutes, neues Jahr“ von mir verzog sich sein Gesicht zu einem Lächeln. Nachdem ich ihm mein Missgeschick geschildert hatte, drehte er sich um und verschwand einfach.
Was jetzt? Ich stand wie festgefroren. Also doch der Weg durch den Wald nachts zu Fuß?
Nach fünf Minuten aber kam der Mann in Hausschuhen mit einem jungen Mann zurück, der mich ebenfalls interessiert musterte.
Ich versuchte mein bestes Lächeln. Wortlos drehte auch dieser sich um und verschwand in einem Haus in der Nähe.
Plötzlich tauchte er wieder auf: „Wennst no a paar Minuten wartst, ko di mei Freindin mitnehma, die muass auf Rosenheim.“
Wie gerne habe ich diese weiteren zehn Minuten in der Kälte gewartet – voller Freude, dass ich Hilfe bekommen hatte, an einem Ort, der so verlassen wirkt, wenn es dunkel und noch dazu Winter ist und sehr kalt und dennoch die Wärme der Hilfsbereitschaft vorhanden ist.
So darf das neue Jahr wirklich gerne beginnen.
In diesem Sinne wünsche ich allen ein gutes 2025,
Ulrike Rüd-Bschoch
PS: Mein Autoschlüssel wurde tatsächlich einen Tag später bei der Deutschen Bahninformation am Ostbahnhof abgegeben. Es gibt eben sehr nette Menschen …
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