Tiefe Einblicke in die Anatomie einer Schleusung - Landgericht Traunstein setzt Prozess gegen Syrer fort
Es war der 5. Verhandlungstag gegen einen Syrer, der allein im August 2023 auf mindestens 29 Schleuserfahrten insgesamt 140 Menschen nach Deutschland gebracht haben soll. Der 26-jährige Angeklagte sagte auch an diesem Tag vor dem Landgericht Traunstein nichts, nicht einmal seinen Geburtsort wollte er kennen, ließ sich aber jedes Wort vom Übersetzer, der neben ihm Platz genommen hatte, übersetzen.
Das System der Schleuserkriminalität wurde auch an diesem Verhandlungstage deutlich: Jemand, der in Syrien oder im Irak oder auch Afghanistan lebt, möchte gerne, ob vorübergehend oder für immer, nach Deutschland kommen. Dafür bezahlt er sehr viel Geld. Ein Betrag von 13.000 bis 15.000 Euro wurde vor Gericht immer wieder genannt. Wer der Empfänger dieses Geldbetrages ist, konnte jedoch niemals ermittelt werden.
Was das Gericht auf Grund der Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft aber in Erfahrung bringen konnte, ist, dass der Angeklagte, ein 26-jähriger Syrer, für jeden erfolgreich in Deutschland ausgesetzten Flüchtling 400 Euro erhalten sollte. Wer die Hinterleute sind, wo sie sich aufhalten und auf welchen Wegen das Geld übermittelt wird, blieb auch an diesem Prozesstag im Dunklen.
In jedem Fall wird bei der Ankunft in Deutschland, sehr häufig ist das im Landkreis Rosenheim oder angrenzenden grenznahen Landkreisen, ein „Ankunftsvideo“ erstellt. Dieses Ankunftsvideo schickt der Schleuser dann an ein Mobilfunktelefon. Daraufhin erhält er seinen „Schleuserlohn“. Insgesamt werden ungefähr fünf bis acht Personen, die die Schleusung betreiben, entlohnt. Zuerst wurden die Flüchtenden zum Beispiel auf dem Landwege von Syrien in die Türkei gebracht, von dort weiter nach Bulgarien transportiert und von hier über Serbien oder Rumänien nach Ungarn gefahren. Dann ging es weiter nach Österreich. Und hier übernahm dann der Angeklagte den Transport.
Lotsen, die auf dem gesamten Transportwege tätig sind, kundschaften die Grenzen aus, damit der Schleuserfahrer nur solche Grenzübergänge benutzen kann, an denen jeweils nicht kontrolliert wird.
Jeder Schleuserfahrer, jeder Lotsenfahrer oder solche Beteiligte, die zum Beispiel den Flüchtlingen für eine Nacht Unterkunft gewähren, erhalten in etwa 200 bis 400 Euro pro Person für diese Maßnahme. Insgesamt dürften die Hinterleute sechs bis acht Personen auf diese Weise für ihre Mithilfe bei der Schleusung entlohnen, wobei die Kosten für die Lotsentätigkeit auch nicht selten durch den Schleuserfahrer getragen werden müssen.
Und damit wird auch deutlich, dass der Verdienst steigt, wenn die Transportbedingungen unmenschlich sind.
Wenn die Hinterleute ungefähr 2.000 Euro für die Schleusung an die Schleuserfahrer und Lotsen bezahlen und vielleicht noch ungefähr 1.000 Euro für die Transportmittel und die Unterkunft für jeden Flüchtling aufwenden müssen, bleiben ihnen noch 11.000 bis 12.000 Euro für jeden Flüchtling. Bezogen auf die 140 Personen, die im August 2023 geschleust wurden, geht es da doch um sehr viel Geld. Und man fragt sich auch, woher die Flüchtlinge diese Summen nehmen, wenn man weiß, dass Menschen in Syrien doch deutlich weniger verdienen als bei uns.
Hat der Schleuserfahrer die Flüchtlinge über die Grenze nach Ober- oder Niederbayern gebracht, erstellt er das Ankunftsvideo, setzt die Flüchtlinge, so, wie sie sind, auf der Straße aus und fährt zurück, um den nächsten Transport zu bewerkstelligen.
Dem Angeklagten im vorliegenden Prozess wird vorgeworfen, dafür gesorgt zu haben, dass insgesamt 140 Personen auf 29 Fahrten allein im August 2023 von Wien oder Linz nach Oberbayern gebracht worden sind. Im Gerichtssaal wurden nun am 5. Verhandlungstag mehrere Ankunftsvideos gezeigt. Man sieht Personen, die in einem Fahrzeug sitzen, mehr oder weniger erschöpft lächeln, auf arabisch sprechen, ihren Namen sagen und betonen, dass sie jetzt in Deutschland seien. Teilweise kauern die Menschen im Kofferraum oder sitzen, eng zusammengefercht, auf dem Rücksitz des Fahrzeugs. Meistens sind es junge Männer, aber auch Frauen mit kleinen Kindern sind zu sehen. Das jeweilig benutzte Fahrzeug war für fünf Personen zugelassen, wie die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten vorhält, bei 19 der auf den 29 in der Anklageschrift dokumentierten Fahrten seien aber jeweils mehr Personen transportiert worden. Daraus resultiert der Anklagepunkt, dass die Geschleusten durch den Angeklagten „einer das Leben gefährdenden, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung“ ausgesetzt gewesen seien.
Am ersten Verhandlungstag in diesem Prozess hatte der Angeklagte, der seinerseits die Lotsen beschäftigen musste und deren Lohn teilweise von seinem eigenen Schleuserlohn zu zahlen hatte, noch betont, dass alles ein Missverständnis sei, er habe gar keine Schleuserfahrten organisiert oder selbst durchgeführt, sondern ein Doppelgänger von ihm. Wie es dann sein konnte, dass die Ankunftsvideos auf seinem Mobiltelefon gespeichert seien, dazu konnte er keine Angaben machen. Als am ersten Verhandlungstag die Verteidiger, die Staatsanwältin und das Gericht über einen Strafrahmen sprachen, wenn der Angeklagte geständig sein könnte und umfassend aussagen würde, lehnte er dieses Angebot mit Hinweis auf seinen Doppelgänger ab.
Und so wurden aus den ursprünglich geplanten vier Verhandlungstagen nunmehr mindestens sechs, möglicherweise sogar sieben.
Im Anschluss an die Vorführung mehrerer Ankunftsvideos verlas Richterin Christina Braune die Einträge im Bundeszentralregister. Hier wurde bekannt, dass der Angeklagte in Deutschland nicht vorbestraft sei, wohl aber in Österreich. Im November 2022 wurde der Angeklagte in Österreich zu 24 Monaten Gefängnis verurteilt, weil er sich mehrfach der „Schlepperei“ schuldig gemacht habe, wie es in Österreich heißt. Er hatte zahlreiche Menschen ohne gültige Papiere nach Österreich gebracht. Das Gericht habe seinerzeit die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungszeit endet im November 2025.
Das Gericht vertagte sich bis kommenden Mittwoch und es bleibt ein merkwürdiger Nachgeschmack, auch, weil die Geschäftsidee wohl sehr lukrativ zu sein scheint, sodass doch recht viele Menschen daran mitwirken und mithelfen, die wahren Nutznießer dieser Schleusungen aber unentdeckt zu bleiben scheinen. Wir berichten weiter …
PETER RINK
Hinterlassen Sie einen Kommentar